Dörfliche Gefühls-Einöde

Eine Teenie-Freundschaft muß mit Krankheit, marodem Elternhaus und Ehebruch fertig werden - und mit dem Regisseur, der sie abbildet. "Grüne Wüste" ist ein etwas unentschlossener Versuch, einfühlsames Alltagskino zu machen.

Die heile Dorfidylle ist längst passé. Hinter den bürgerlich-sauberen Fassaden lauern menschliche Abgründe oder die ganz normalen Alltagsdramen. Diese versucht Regisseur Anno Saul in seinem Debüt möglichst einfühlsam einzufangen - und sein Ansatz ist zunächst nicht der schlechteste. Im Mittelpunkt des Geschehens steht die 14jährige Katja (Tatjana Trieb), die zumindest gedanklich vor der Misere ihres Elternhauses auf der Flucht ist. Mit ihrem einzigen Freund, dem gleichaltrigen Johann (Robert Gwisdek), fabuliert sie sich in die phantastische Welt einer regionalen Rittersage hinein. Das gemeinsame Vorhaben, die Überreste der historischen Personen und Ereignisse auszugraben und irgendwann einmal als berühmte Archäologen an die Stätte ihrer Kindheit zurückzukehren, schweißt die beiden zusammen - bis der Junge plötzlich an Leukämie erkrankt und ins Krankenhaus muß.

Dies unterzieht alle Beteiligten einer schweren Belastungsprobe; vor allem das prekäre Beziehungswirrwarr der Erwachsenen kommt durcheinander. Katjas Mutter (Martina Gedeck) steht zwischen zwei Männern, ihrem Ehemann Detlev (Ulrich Noethen) und Johanns alleinerziehendem Vater Simon (Heimo Ferch), mit dem sie eine "offene Beziehung" hat. Hin- und hergerissen zwischen ihren Gefühlen, Pflicht und Schuld pendelt sie zwischen beiden und ist unfähig, eine Entscheidung zu treffen. Die Situation spitzt sich zu, als Johann nach kurzer Zeit daheim einen Rückfall erleidet und wieder im Spital landet.

Dazwischen steht Katja mit ihren eigenen Nöten ziemlich verloren da. Als Mitwisserin des verqueren elterlichen Ehebruchsdramas muß sie abwechselnd in die Rolle der Vertrauten, der Trösterin oder der rebellischen Göre schlüpfen. Auszuhalten ist diese Situation nur mit Johann. Zwischen den Teenies entwickelt sich so etwas wie eine unschuldige Romanze, die der Todkranke aber vor seinem Rückfall jäh beendet, indem er Katja die Freundschaft aufkündigt. Den Grund dafür erfährt sie erst später.

Wenige Filme schaffen es, den seltsamen Schwebezustand zwischen Kindheit und einsetzender Pubertät einigermaßen authentisch einzufangen. Umso überraschender ist es, daß Anno Saul dies in seinem ambitionierten Debüt über weite Strecken recht gut gelingt. Die ebenfalls überraschend gut photographierten Stellen sind auch die mit Abstand besten Momente: Das Mädchen, dessen Welt aus den Fugen gerät und das mit dem eigenen Erwachsenwerden konfrontiert wird, ist gut und mit einigem Gespür beobachtet. Der Regisseur bemüht sich redlich, lebendige Figuren mit durchaus realistischen Problemen und Schicksalen relativ undepressiv darzustellen. Seine Protagonisten agieren - abseits von Hollywood-Abziehbildern - gelegentlich auch plan- und hilflos, und Saul bringt ihnen Verständnis entgegen.

Leider beschränkt sich "Grüne Wüste" nicht auf die Darstellung dieser Freundschaft, sondern überfrachtet seine ohnehin nicht einfachen Themen im Verlauf der Handlung. Der anfangs noch recht dichte Erzählversuch scheitert spätestens dann, als völlig unmotiviert ein unsäglicher Downtempo-TripHop-Track erklingt. Hier rutscht das gewollt Einfühlsame ins (ästhetisiert) Gefühlige ab, und dem akustischen Holzhammer werden noch ein paar andere nachgereicht, bis sich die stimmigen Momente im Dickicht der Handlungsfäden verlieren - und Katja, die interessanteste Figur, in der grünen Wüste des angehäuften (mit)menschlichen Leids fast verschwindet. Zugutehalten muß man der von zwei Fernsehsendern mitfinanzierten Koproduktion, daß sie sehr "filmisch" wirkt. Aber im Gegensatz zu ähnlichen Vorgängern des gehobenen Film/Fernsehspiels (vor allem der 70er Jahre) verfügt sie eben nicht über deren nötige Konsequenz.

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