Der Zufall will es nicht

In "Die Liebenden des Polarkreises" zeigt der Spanier Julio Medem, daß ein Liebesfilm weder kitschig noch peinlich sein muß - und daß das Leiden immer eine Rolle spielt.

Ana (Najwa Nimri) und Otto (Fele Martinez) lernen sich als Kinder kennen und haben so ziemlich von Anfang an ein inniges, aber stets unausgesprochenes Verhältnis zueinander - sie lieben einander ohne große Worte und genügen sich durch bloße Zweisamkeit. Anders wäre ihre Beziehung auch nicht denkbar, denn Anas Mutter und Ottos Vater sind zufällig auch ein Liebespaar, und als sie heiraten, besiegelt das Schicksal (oder der Zufall?), daß die beiden Kinder nun als Geschwister aufzuwachsen haben. Jahrelang treffen sie sich nur im Auto auf dem Weg zur Schule. Ihre Liebe besteht jedoch fort - auf einer tiefen, spirituellen Ebene, die keiner Worte bedarf.

Als Teenager zieht Otto schließlich in das Haus seiner Stiefmutter, um bei Ana zu sein. Nun können die beiden endlich ein "echtes" Paar sein. Sie verbringen eine Nacht zusammen und ihre spirituelle Romanze gewinnt die körperliche Ebene dazu. Aber die inzestuöse Optik zwingt sie zu einem Versteckspiel, das auf Dauer nicht gutgehen kann. Otto verläßt Ana schließlich, um Pilot zu werden. Jahre ziehen ins Land, ohne daß sich die Liebenden jemals treffen - ihre Wege kreuzen sich zwar, aber das Schicksal will sie einfach nicht zusammenführen. Schicksal und Zufall spielten schon immer eine zentrale Rolle in Anas Weltsicht. Was es für sie letztendlich bereithält, sei hier nicht verraten...

Der ehemalige TV-Regisseur Julio Medem, mehrfach ausgezeichnet für seine ersten beiden Filme "Vacas - Kühe" und "Das rote Eichhörnchen", erzählt seine Love-Story in äußerst klar geschnittenen Bildern, die in deutlichem Kontrast zur Gefühlswelt der Protagonisten stehen, was die Intensität der dargestellten Gefühle spürbar verstärkt. Die experimentelle Erzählform - eigentlich ist "Die Liebenden des Polarkreises" ein fragmentarisches Epos, weil sich seine Geschichte über 17 Jahre spannt, wobei der Zuseher die Mosaiksteinchen zu einem Gutteil selbst zusammenfügen muß - sorgt für zusätzliche Spannung. Von Anfang an läßt der Film einen nur wenig hören und sehen, dafür umso mehr spüren. Besonderes Geschick zeigt Medem z. B. in der ersten Nacht, die Ana und Otto gemeinsam verbringen; sanfte, unschuldige Szenen vertiefen die Romantik ohne jegliche voyeuristische Erotik. Als sich die Wege der Liebenden dann trennen, beginnt auch für den Zuschauer ein Leidensweg, weil man diesem Paar nichts mehr wünscht als das Glück, endlich zueinander zu finden.

"Die Liebenden des Polarkreises" ist ein kraftvolles Lebenszeichen des europäischen Films und ein weiterer Beweis dafür, daß die Kunstform Kino derzeit fast ausschließlich in der Alten Welt weiterentwickelt wird. Und er ist der modernste Liebesfilm, den man in den letzten fünf Jahren vorgesetzt bekommen hat. Ein kleines Meisterwerk also.

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