Kommerz mit Wiener Morbitität

Dank der Oscar-Nominierung für "Die Siebtelbauern" arbeitet der Wiener Regisseur Stefan Ruzowitzky nun in Krautwood. Sein von der deutschen Columbia/TriStar produzierter Teenie-Slasher "Anatomie" ist in vielerlei Hinsicht sehenswert.

Die ehrgeizige Medizinstudentin Paula (Franka Potente) wird zu einem begehrten Anatomiekurs an der Uni Heidelberg zugelassen. Während ihrer Anreise im Zug rettet sie einem schwerkranken Kommilitonen das Leben; wenig später trifft sie ihn wieder - als Studienobjekt auf dem Seziertisch. Weil ihr die Sache nicht geheuer ist, beginnt sie Nachforschungen anzustellen und kommt dabei einer geheimen Medizinerloge auf die Spur, die sich der Forschung ohne Grenzen verschrieben hat und sich "Anti-Hippokraten" nennt. Die nicht nur unethischen, sondern schwer illegalen Machenschaften dieser Ärzteverschwörung reichen bis zu brutalen Morden mit einer verbotenen chemischen Substanz, die Mensch und Tier bei lebendigem Leib plastiniert. (Man erinnere sich: Die Kunst der Plastination war unlängst in der Ausstellung "Körperwelten" zu bewundern.) Schließlich, nachdem immer mehr Mitstudenten auf unerklärte Weise verschwinden, wird es auch eng für Paula: Sie ist der Wahrheit zu nahe gekommen und soll nun selbst dran glauben...

Stefan Ruzowitzky, bislang erfolgreich mit "Tempo" und "Die Siebtelbauern", siedelt seinen neuen Film in der Tradition von "Scream" und "Ich scheiß drauf, was du letzten Sommer getan hast" an, ist dabei allerdings in vielen Belangen um Klassen besser als seine US-Vorbilder. "Anatomie" profitiert von der morbiden Ausstrahlung Heidelbergs und den historischen Aspekten der Story; vor allem die Sache mit der Geheimloge funktioniert beachtlich gut. Ruzowitzky versteht es, mit Paranoia zu hantieren und hält seine Gut-Böse-Einteilung in möglichst weiter Entfernung zum schwarzweißen US-Vorbild. Spannung und überraschende Wendungen - Dr. Mengele läßt grüßen - sowie das wirklich gut konstruierte Netz aus logischen Nebenhandlungssträngen erwecken Hoffnung für die Zukunft des deutschsprachigen Films. Außerdem geht es nicht um Teenager, sondern um Twens, was vor vielen zwangsläufigen Peinlichkeiten rettet. Und daß die Schauspieler häufig viel älter wirken, als sie sein sollten, ist an sich egal: Man weiß ja, daß in Europa "ewig" studiert wird, und wenn Patricia Arquette in "Stigmata" eine 23jährige spielen darf, kann Franka Potente ruhig auch mal Anfang zwanzig sein.

Schwäche zeigt "Anatomie", wenn es um banale Dinge wie Studenten-Smalltalk, Flirten oder Erotik geht. Außerdem sind die Protagonisten erschütternd schlecht gekleidet, aber das ist wohl im Mediziner-Milieu üblich. Daß der einzige Kiffer natürlich auch der Spießgeselle des geisteskranken Mörders ist, ist in vielerlei Hinsicht unglaubwürdig und unnötig; aber bitte, Kiffen ist ohnehin was für Ex-Hippies und Politiker, die Jugend steht heute bekanntlich auf Koks und Heroin.

Wäre ein Film wie "Anatomie" vor fünf bis zehn Jahren erschienen, hätte man ung´schaut davor warnen können - er wäre bloß ein Anlaß gewesen, sich im Kinosessel vor Peinlichkeit zu winden. Dank Ruzowitzky scheinen sich die Zeiten aber zu ändern. Hoffentlich.

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