Sex, Crime & Videotape

Trashig, lebensecht, morbid und brutal: Filme wie "Nachtfalter" bringt in Österreich nur Franz Novotny zusammen. (Und das ist ausschließlich positiv gemeint.)

Die Hochkultur-Weißbrote in Cannes zu begeistern, ist allem Anschein nach kein vorrangiges Ziel für den verdienten Wiener Regisseur und Produzenten Franz Novotny. Seine Filme (u. a. "Exit 2 - Verklärte Nacht") spielen auf einem anderen Planeten als die repetitiven Handwerksübungen eines Michael Haneke. Im Gegensatz zu ihm hat Novotny nämlich nicht vergessen, daß der Wiener im Durchschnitt weder besonders hochdeutsch noch bzw. schon gar nicht französisch spricht (wuä?) - und daß er sich, weil er es immer ein bisserl mit Leichen und dem Sterben hat, ohne Genierer tief hinunterlassen kann, um z. B. aufs Trottoir zu speiben. Ist ja sowieso alles nur temporär. Aber auch das goldene Wienerherz, das weinerlich-weinselige Gemüt, der Sinn für Sauereien und die posthöfische Dekadenz versteht Novotny in seinen Filmen einzufangen und festzuhalten. Kein/e andere/r österreichische/r Regisseur/-euse kann das.

Obwohl die Gesellschaft in seinem neuesten Film "Nachtfalter" eher schaumweinselig durch die Nächte zieht, weil sich Koks und Sperma mit edlen Tropfen leichter die Kehle runterspülen lassen, tritt Novotnys typische Echtheit auch diesmal wieder voll zutage. In seinem sechsten Langfilm seit 1977 erzählt er die Geschichte der aufstrebenden Edelnutte Katrin, die "sich lieben läßt, um zu herrschen", sich letztlich aber doch nicht als hart genug für diese Welt erweist - obwohl es allen anderen Beteiligten im Endeffekt noch viel schlechter ergeht.

Die schöne Katrin (Eva Lorenzo) wird von der leicht verschlampten Claudia (Maria Schuster) im Escort-Service des Altzuhälters Karli (Hanno Pöschl) angelernt. Ab jetzt heißt sie auch Claudia, weil eben alle Huren Claudia heißen. Die beiden Klautscherl geben sich die Kunden im Akkord. Zu pervers ist ihnen dabei nichts - die Kohle ist das einzige, was zählt, um den Rest kümmern sich Champagner, Koks und Heroin. Claudia 1 zeigt Claudia 2 das Handwerk und führt sie bei den guten Kunden ein. Aber schon bald erfreut sich Claudia 2 einer konkurrenzlosen Beliebtheit. Herr Kefer (Klaus Händl), ein Fassadenspießer, der sich mit seiner Frau regelmäßig die Huren ins Haus holt, entwickelt sogar eine Art Abhängigkeit von ihr. Frustriert stürzt sich Claudia 1 ins Internet-Sexbusineß und beginnt alles, was geil ist, auf Video aufzuzeichnen. Karli ist davon begeistert und macht ihr dauernd Komplimente, aber das reicht ihr nicht - ihr Heroinkonsum steigt kontinuierlich. Claudia 2 blüht einstweilen voll in ihrem Geschäft auf. Keine Gefühle, nur Egoismus, Geld und subtile Machtspiele sind das, was sie wollte - und sie kriegt es.

Aber dann taucht Rafael (Michey Hardt) auf. Karli hat bei ihm einen Haufen Koks bestellt, aber sein soziopathischer Bote schlägt Rafael zusammen, weil er neben dem Koks auch das Geld einstreifen will. Als Rafael ihn niederschießt und Claudia 2 dabei zusieht, deckt sie ihn. Da schau´ her, da hat sich jemand verliebt - ein Traum, der in diesem Milieu einfach nicht wahr werden kann. Aber obwohl unaufhaltsam alles den Bach runtergeht, schafft Katrin/Claudia am Schluß doch eine Art Happy-End. Es war eh schon arg genug...

Fragmentarisch und zwischen den Zeilen erzählt Novotny zwei tragische Liebesgeschichten: Karli liebt Claudia 1, aber er hat einfach nie gelernt, wie man so etwas zur Sprache bringt. Er verpaßt den richtigen Zeitpunkt, und danach ist es zu spät. Claudia 2 glaubt, daß Rafael ihr Glück verheißen kann, aber die Realität läßt sich nicht austricksen, und offene Rechnungen verfallen eben nicht einfach.

Wer heutzutage noch schockiert werden kann, findet in "Nachtfalter" sicher reichlich Anlässe. Aber eigentlich erzählt der Film nur von der vieldimensionalen Realität im Nuttenmilieu, von Grauslichkeiten, Brutalitäten, erbärmlichen Verlierern, Träumen und menschlichen Schwächen. Zynismus und Ironie werden hier nicht platt auf die Leinwand gekleckst, sondern sind Interpretationssache und damit umso bemerkenswerter.

Das mit nur fünf Millionen Schilling relativ knappe Budget macht Novotny zur Tugend. Videobilder und Wackelkamera zeigen niemals den aufgesetzten Selbstzweck der dänischen "Dogme"-Filme, sondern werden so selbstverständlich eingesetzt, als wäre die statische Kamera etwas Unnatürliches. Obwohl die Erzählstruktur stellenweise extrem verkürzt ist und die Dialoge bisweilen künstlich erscheinen, fällt der Film nie aus seinem Rahmen und bleibt konsequent bis zuletzt.

Es gibt jedoch einige kleine "Flaws":

In einer Art Traumszene läßt Rafael sein Blut auf Katrins Gesicht tropfen. Als sie am nächsten Morgen frisch geschminkt und gekampelt in den Rückspiegel blickt, entdeckt sie einen getrockneten Blutstropfen auf ihrer Stirn. Kunstgriff hin, filmisches Ausdrucksmittel her - dazu kann man nur sagen: Niemals!

Im Ende des Films, als die unerklärte Liebe zwischen Karli und Claudia 1 in die Katastrophe schlittert, sagt Karli zu ihr: "Aber ich hab dich doch so gern gehabt." Danke, das hätten wir auch so kapiert. Wenn der Page in Takeshi Kitanos "Brother" mit angefressenem, enttäuschten Gesicht die Suite des Yakuza-Bosses verläßt, weil er im Gegensatz zum letzten Mal keinen Groschen Trinkgeld erhalten hat, bräuchte er auch nicht "Scheiße, kein Trinkgeld!" zu schreien und dabei die Arme in die Luft zu werfen.

Und wenn Claudia 1 an ihren Internet-Terminals hantiert, um ihre Pornovideos zu streamen, versteht man kurzfristig die Welt nicht mehr. Mit kruden, plakativ-schablonenenhaften Screendesigns, wie sie der ORF-Teletext nicht schlechter hinkriegen würde, werden die Schweinereien des Internet-Pornobiz symbolhaft wiedergegeben, und eine grenzlächerliche Nachrichtensprecherstimme betet dazu Schmuddelbegriffe herunter. Hier hat man sich entweder ein bisserl zu sehr in kunstkünstlerische Symbolismen verstiegen oder das gesamte "Nachtfalter"-Team hat noch niemals im Web gesurft.

Darüber kann man aber locker hinwegsehen, denn "Nachtfalter" ist unterm Strich einer der unverkrampftesten Filme, die dieses Land je hervorgebracht hat. Hier sind Leute am Werk, die eine vielschichtige Geschichte zu erzählen verstehen. Der Untertitel "Eine billige Dreigroschengeschichte" ist ein elegantes Understatement und trotzdem überaus treffend. Vor allem die beiden weiblichen Hauptdarsteller sind großartig. Und obwohl die Geschichte in jeder anderen größeren Stadt genauso funktionieren würde, behält sie genug Wiener Kulturidentität bei, um dem Zuseher ein heimeliges Gefühl zu vermitteln. Das macht den Film international. Man sollte sich nicht wundern, wenn "Nachtfalter" weltweit zum Kultfilm avanciert.

Fazit: brutal, geil, widerwärtig, traurig, witzig, exzessiv, sehenswert.

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