Glutheißer Disco-Schizo-Punk

Einer der besten Spike-Lee-Joints hat es endlich in unsere Kinos geschafft. Im Rekordhitze-Sommer von 1977 treibt der Serienkiller "Son of Sam" (richtiger Name: David Berkowitz) die italienische Bronx in einen paranoiden Ausnahmezustand.

Die jungen Bewohner des italienischen Teils der Bronx haben einen gemeinsamen Helden: John Travolta, das damalige Aushängeschild des Disco-Lifestyle. Musik, Autos, Klamotten und sogar das legendäre Studio 54 (nebst anderen einschlägigen Clubs) werden in Spike Lees Streifen in einer Weise reanimiert, die einen glauben läßt, der Film sei wirklich damals gedreht worden.

Es ist glühend heiß in diesem Jahr. Die Klimaanlagen laufen Sturm, und der Dunst steigt vor allem einem ins Hirn: dem Vietnam-Veteranen David Berkowitz, der eines Nachts loszieht, um langhaarige brünette Mädchen mit ihren Liebhabern kaltblütig abzuknallen, während sie im Auto herumknutschen. Der völlig durchgedrehte Fettwanst schreibt satanistische Bekennerbriefe ("Das ist Manson-Kacke, Mann!"), nennt sich "Son of Sam" und versetzt die italienische Bronx in Panik. Reihenweise lassen sich die Mädchen die Haare bleichen, kaum jemand traut sich nachts noch aus dem Haus - und doch erwischt er immer wieder neue Opfer. Milizen und Lynch-Kommandos bilden sich im Viertel; plötzlich ist jeder verdächtig, und die Paranoia kennt keine Grenzen. Als es dann zu allem Überfluß zum großen, legendären Stromausfall in New York kommt, tritt endgültig der Ausnahmezustand ein.

Spike Lee erzählt die Geschichte, ohne sich allzusehr auf den Serienkiller zu konzentrieren. Sam ist an sich nur der Auslöser für eine Tragödie ganz anderer Art. Hauptfigur ist der Italo-Starfriseur Vinnie (John Leguizamo), der zwar mit der bildhübschen Dionna (Mira Sorvino) verheiratet ist, sie aber im Bett nicht befriedigen kann, weil ihm das unanständig erscheint. Die Sauereien zieht er nur mit seinen zahllosen One-night-stands, Quickies und Affären durch. Seine Clique dealt ein bißchen mit Haschisch und hat einen guten Stand im Viertel; Vinnie ist cool und in den angesagten Clubs gerngesehen.

Als sein alter Freund Ritchie (Adrien Brody) von einem London-Aufenthalt als stachelhaariger Punk zurückkehrt, wenden sich alle aus der Clique gegen ihn. Mit einem derartigen Freak will niemand etwas zu tun haben. Nur Vinnie steht vorerst zu ihm. Die selbstbewußte Ruby (Jennifer Esposito), einst eine Geliebte von Vinnie, findet Gefallen an Ritchies neuem Stil und beschließt, ebenfalls Punk zu werden und ihn bei seinen Rockstar-Versuchen zu begleiten. Die beiden werden ein Paar, obwohl Ritchie nicht genau weiß, ob er nun schwul oder hetero ist. Zumindest strippt (und bläst) er ab und zu in einem Schwulenclub.

Als Vinnies Clique eine Verdächtigenliste in Sachen "Son of Sam" zusammenstellt, steht Ritchie darauf an erster Stelle. Aber Vinnie kann nicht helfen, er hat andere Probleme: Seine Ehekrise strebt dem Finale entgegen; Dionna verläßt ihn. Völlig fertig und emotional am Ende, verrät er seinen Kumpels Ritchies Adresse. Und während der "Son of Sam" endlich festgenommen wird, hilft Vinnie seinen Freunden dabei, Ritchie zu lynchen...

Die verkappte, gequälte Religiosität, die machohafte Intoleranz und der endlose Negerhaß der Italo-New-Yorker - das sind Lieblingsthemen des Bedford-Stuyvesant-Apologeten Spike Lee, und er versteht es auch diesmal wieder, sie grandios und beiläufig in Szene zu setzen.

"Summer of Sam" ist ein elegantes, detailreiches und mitreißendes Sittenbild New Yorks zu jener Zeit, als die Punk-Subkultur begann bzw. versuchte, den Disco-Mainstream wachzurütteln. Serienkiller und Stromausfall bilden nur den historischen Hintergrund; sie sorgen für Action und Thrills in einem höchst gewandten Gefühls- und Problemfilm. Unbedingt ansehen!

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