Die Leut´ im Grätzel

In "Homemad(e)" interviewt Ruth Beckermann Freunde und Bekannte, die in der Marc-Aurel-Straße bzw. im Café Salzgries herumhängen. Viele davon haben wenig zu sagen.

Der Wiener hat so seine Eigenheiten: Oft verläßt er seine angestammten paar Dutzend Quadratmeter Stadtgebiet nur äußerst ungern, weil er dort täglich dieselben Locations (meist Kaffeehäuser) frequentiert und sich so einen Mikrokosmos aus freundschaftlichen Beziehungen und vertrauten Umgebungen schafft. Ruth Beckermann ist vielleicht so ein Fall - jedenfalls vermittelt ihr Film "Homemad(e)" diesen Eindruck.

Frau Beckermann lebt also in der Marc-Aurel-Straße im ersten Bezirk (zwischen Hohem Markt und "Profil"-Redaktion) und scheint Stammkundin im traditionsreichen Café Salzgries zu sein. In "Homemad(e)" spielt sie die Rolle der Kamera, und ihre Freunde und Bekannten aus ebendieser Straße sind die Protagonisten. Es handelt sich durchwegs um recht eigene, manchmal schrullige Charaktere - Wiener Originale, möchte man fast sagen. Da ist der alteingesessene Textilhändler, der das KZ überlebt hat und ausdauernd an der alten Zeit des ehemaligen Textilviertels festhält, auch wenn die Geschäfte längst vernachlässigbar laufen. Etwas weiter oben hadert der iranische Hotelier, einst Anhänger des Schah und deshalb vertrieben, mit Akzeptanz und Gleichstellung. Und unten im Café Salzgries treffen sich Intellektuelle, Anrainer und Medienleute zum vorbehaltlosen Meinungsaustausch. Die Diskussionsrunden haben reichlich Stoff, denn gerade hat "der Haider" das politische Ruder in Österreich mit Hilfe seines Gesellen Schüssel rumgerissen, und alle haben Angst.

Anfangs sind die Lebensgeschichten, Erzählungen und Bonmots der Interviewten interessant, verstehen es zu berühren und Echtheit zu vermitteln. Mit der Zeit aber geht ihnen der Stoff aus; dann stehen sie nur noch sinnlos in der Gegend herum und wissen nicht, was sie sagen sollen, während die Kamera verbissen und gänzlich ohne Zeitdruck an ihnen hängenbleibt. Das wird zuerst fad, und dann beginnt das Verständnis des Zusehers dafür, daß man Leuten dabei zusehen muß, wie sie nichts tun und nichts sagen und nur peinlich berührt in die Kamera und an die Wand starren, ordentlich zu bröckeln. Filmemachen kostet bekanntlich sehr viel Geld. Daraus ergibt sich zwingend folgendes Fazit: Das, was man in "Homemad(e)" zu sehen bekommt, hätte auf 30 bis 45 Minuten zusammengeschnitten werden müssen, um uneingeschränkte Berechtigung zu haben.

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