Die Rückeroberung des Planeten Heimat

Früher existierte nicht einmal eine nennenswerte österreichische Musikszene, heute gibt es hierzulande sogar eine blühende Indie-Kultur. Auch in der Steiermark - dort sitzt nämlich Kürbis-Chef Wolfgang Pollanz, und der hatte eine Idee. Die war nicht geklaut, sondern eine eigene, und mit dem Sampler "Heimat" hatte er sie als erster.

Heimat ... was ist das? Was auf den ersten Blick wie eine Hausaufgabe für Taferlklassler wirkt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als die Infragestellung bestimmter Klischees - von volkstümlicher Trottelei bis hin zur seltsamen "Lodenseligkeit" mancher Regierungsmitglieder und ihrem Drang, österreichisches Liedgut in Buchform zum Mitsingen zu veröffentlichen und somit für sich allein in Anspruch zu nehmen.

"Home Is Where the Heart Is", so ein englisches Sprichwort; und wer einmal ein Seminar über kontrastive Sprachforschung absolviert hat, der weiß, daß es das Wort "Heimat" im Englischen gar nicht gibt. Irgendwas hat es also auch mit Standort und Identität zu tun. Heimat ist vielleicht dort, wo wir uns zu Hause fühlen, vielleicht ist es aber auch bloß nur ein weiteres Wort, das mit zunehmender Globalisierung und virtueller Vernetzwerkung in seiner ursprünglichen Bedeutung bedroht ist.

Es werden ja sonst auch Compilations zu jedem nur erdenklichen Themenkreis produziert, warum also zum Kuckuck nicht über die Heimat? Entweder haben es alle verschlafen, oder man hat sich wohl wegen zu erwartender Komplexität schlichtweg nicht drübergetraut.

Es sei also an der Zeit, den Begriff "Heimat" zurückzuerobern, ihn zu säubern von politischem Agit-Schmutz, ihn dorthin zurückzuholen, wo er hingehört - aufs Land. Das meint zumindest Wolfgang Pollanz, Chef eines der originellsten heimischen Kulturvereine, der dieses Konzept schnell Realität werden ließ. Sämtliche Freunde und Bekannte wurden eingeladen, ein Stück Musik zum Thema zu komponieren - Stil und Mittel egal, Hauptsache, es hat was mit "Heimat" zu tun.

"Was als erstes überrascht, ist die Vielfalt", wie Herr Pollanz sagt. Doch diese Vielfalt ist Fluch und Segen zugleich. Musikalisch gesehen liegen hier Kraut und Rüben nebeneinander: von Curd Ducas Blaskapellen-Loop-Häckseln über echtes, fast Drahdiwaberlsches Musikkabarett (Lassos Mariachis) bis hin zu Indietronic-Sketches (Ultrascope) und echten experimentellen Höhepunkten (Roedelius). Dazwischen liegen viel Staub und Schutt, doch die sind manchmal von so glorioser Naivität, daß es einfach schmunzelsympathisch ist. Und gibt es eine bessere Methodik, um sich dem Suchbegriff zu nähern?

Selbst die Bundeshymne blieb nicht verschont (Binder & Kriglstein: "Erdlochrauchen im Kaiserwald") und erinnert an die Flying Lizards und ihre bekannte Theorie, daß Musik, wenn sie altert, einem ebensolchen Verfallsprozeß unterliegt wie z. B. Bäume, Autos und Erde. Gilt das auch für die Heimat? Das letzte Stück auf der unglaubliche 21 Tracks zählenden CD bestreiten dann Ensemble Acoustic Ressource aus Slowenien - eine politisch korrekte Geste, die aber gar nicht nervt. In einer freien Welt gibt es ja angeblich keine Grenzen.

Wie dem auch sei - vielleicht hätte man sich doch auf einen bestimmten stilistischen Zugang einigen sollen, denn experimentelle Elektronik und Indie-Rock auf ein und derselben Kompilation haben noch nie gut funktioniert.

Was zählt, ist jedoch die Idee - und Ideen hat Herr Pollanz genug. Schon für nächstes Jahr ist eine ähnliche Kompilation angedacht; das Thema will er noch nicht verraten (es hat mit "Romantik" zu tun). Man darf also gespannt sein. "Heimat" sei allen Spinnern, Querköpfen und Individualisten empfohlen, die einem zünftigem Spaß nicht abgeneigt sind.

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