Der kanadische Verlag Ash-Tree Press spezialisiert sich auf bibliophile Ausgaben seltener und hochqualitativer Horror- und Phantastikliteratur und bringt dabei so manch verschollenes Kleinod ans Tageslicht. Walter Robotka hat sich in das Grauen eingelesen.

Ash-Tree Press wurde im Jahr 1994 von Barbara und Christopher Roden gegründet - und zwar in Wales. Das Paar hatte sich einige Jahre zuvor auf einem Phantastik-Meeting kennengelernt und kurz darauf den Bund der Ehe geschlossen.

Barbara Roden stammt ursprünglich aus Vancouver im kanadischen British Columbia und ist gelernte Journalistin sowie Mitbegründerin der Sherlock Holmes Society. Seit ihrem Umzug nach Wales im Jahr 1992 ist sie auch aktives Mitglied der exzellenten Ghost Story Society und rief deren Klubpublikation "All Hollows" ins Leben - eine Zeitschrift, die sich sowohl auf Rezensionen aktueller Phantastikbücher als auch auf Autorenporträts und Erstveröffentlichungen neuer Geistergeschichten spezialisiert.

Christopher Roden wurde im englischen Worcestershire geboren und gründete 1989 die Arthur Conan Doyle Society. Der Name "Ash-Tree Press" bezieht sich einerseits auf den Namen des ersten gemeinsamen Wohnortes der Rodens, nämlich Ashcroft, andererseits auf eine berühmte Gespenstergeschichte von M. R. James, "The Ash-Tree". Im Jahre 1997 wanderte das Paar in Barbaras Heimat Kanada aus und arbeitet seit dieser Zeit hauptberuflich an seinem Verlag.

Tibetanische Geheimnisse

Die erste Publikation der Ash-Tree Press erschien 1994, und - wie könnte es anders sein? - natürlich hatte auch hier der britische Phantastikexperte und Musiker David Tibet (Current 93) seine Finger im Spiel. Tibet war zu dieser Zeit gerade müde von der Arbeit für seinen eigenen Verlag Ghost Story Press und suchte jemanden, der eine kleine Sammlung phantastischer Kurzgeschichten publizieren wollte. Die Rodens fanden die Idee eines unabhängigen Kleinverlags interessant und veröffentlichten ihr erstes Booklet "Lady Stanhope´s Manuscript" als broschiertes Heftchen in einer Auflage von nur 150 Stück. Es verwundert nicht, daß dieses Werk heute zu aberwitzigen Preisen versteigert wird - ab 10.000 Schilling ist der interessierte Fan dabei.

Im März des darauffolgenden Jahres erschien dann die erste wirkliche Buchpublikation der Ash-Tree Press: M. R. James´ "The Five Jars". James schrieb diese Geschichte ursprünglich für Kinder; dementsprechend ist sie auch voll von Elfen und sprechenden Tieren, verrät aber kaum etwas von der Meisterschaft des Autors in Sachen gruselige Geistergeschichten. Allerdings wollten die Rodens ihre Verlagskarriere mit einem ganz großen Phantastikautor starten - und wer hätte da besser gepaßt als James?

Das Kalkül fiel auf fruchtbaren Boden: Ash-Tree Press war unter Eingeweihten bald in aller Munde. Das zweite Hardcover-Buch war dann das erste wirkliche Juwel für Freunde unheimlicher Literatur: A. N. L. Munbys "Alabaster Hand" ist ein Klassiker der britischen Ghoststory-Geschichte. Munby schrieb dieses Buch, übrigens sein einziges in diesem Genre, während des Zweiten Weltkriegs in deutscher Kriegsgefangenschaft. Seine Kurzgeschichtenssammlung atmet - wie die Werke seines eindeutigen literarischen Vorbilds James - den Geist des Antiquarischen, und die Protagonisten gehören allesamt der Gattung "verstaubter britischer Gelehrter" an. Aufgrund der unerwartet großen Nachfrage nach diesem Titel mußte der Verlag das Buch einige Jahre später sogar nachdrucken; auch diese Auflage ist mittlerweile vergriffen und zählt zu den begehrtesten Schätzen für Ash-Tree-Sammler.

Bald darauf begann das Ehepaar Roden auch mit anderen Genreexperten zusammenzuarbeiten. Bis dato haben keine geringeren als u. a. Jack Adrian, David G. Rowlands, Rosemary Pardoe, Hugh Lamb, Jessica Amanda Salmonson oder sogar der britische Übergelehrte Richard Dalby Story-Sammlungen oder Biographien für den Verlag lektoriert.

Archivare des Schreckens

Die erste verlegerische Großtat der Rodens war die Herausgabe des phantastischen Gesamtwerks von A. M. Burrage. Burrage war ein profilierter Vielschreiber im Großbritannien der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, und man konnte damals kaum eine Zeitschrift finden, die nicht die eine oder andere Kurzgeschichte des Autors enthielt. Dementsprechend schwierig und aufwendig muß es gewesen sein, Burrages Stories zusammenzutragen - und dabei gelang es dem Verlag und Jack Adrian sogar noch, eine ganze Menge nie veröffentlichter Geschichten auszugraben und die geplante Edition von vier auf fünf Bände zu erweitern.

Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des Verlags war sicher auch die Wiederveröffentlichung der Phantastiksammlungen von Herbert Russell Wakefield. Im Gegensatz zu James & Co. war Wakefield tatsächlich von der Existenz des Übernatürlichen überzeugt, was seinen Werken eine unglaubliche Authentizität verleiht, die man sonst nur von H. P. Lovecraft kennt, der ebenso an Gespenster und andere paranormale Phänomene glaubte. Barbara Roden verfaßte für diese Edition noch eine ausgezeichnete sechsteilige Biographie des Autors, die zusätzlich zum Verständnis seines Werks beiträgt.

Andere Ash-Tree-Kompletteditionen von Phantastikautoren sind etwa die mehrteilige Serie "Spook Stories" von E. F. Benson, ein Buch mit dem gesammelten Œuvre des hierzulande (naturgemäß zu Unrecht) unbekannten Autors Frederick Cowles oder etwa die Werke des neuen britischen Shooting-Stars Terry Lamsley, dessen Sammlung "Under the Crust" unter dem deutschen Titel "Geistergeschichten aus Buxton" bereits im ausgezeichneten Festa-Verlag in Almersbach erschienen ist.



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