Im britischen Yorkshire verlegt der Kleinverlag Tartarus Press seit 1995 wunderbare Bücher aus dem Grenzbereich der phantastischen Literatur. Im Gegensatz zur kanadischen Ash-Tree Press ist man hier allerdings nicht auf traditionelle Geistergeschichten, sondern auf grenzüberschreitende "weird fiction" spezialisiert, die sich kaum einem Genre klar zuordnen läßt.

Der Verlag Tartarus Press wird seit seiner Gründung von Raymond Russell und Rosalie Parker geführt, die heuer zum zweiten Mal für den World Fantasy Award nominiert wurden. Wie auch bei der kanadischen Ash-Tree Press (siehe EVOLVER-Story) spielte der Musiker, Maler und Poet David Tibet bei der Firmengründung eine große Rolle; im Vorjahr kam es sogar zu einer echten Kollaboration zwischen Tartarus und Tibets Durtro Press: Gemeinsam verlegten sie die gesammelten phantastischen Storys des britischen Autors Robert Aickman in einer zweibändigen Ausgabe.

Heidentum und Sexualität

Die erste Publikation des Verlags war jedoch eine Anthologie mit dem Titel "Tales from Tartarus". In dieser Sammlung waren so unterschiedliche Autoren wie der britische Horror-Jungstar Rhys Hughes, Gruselgroßmeister Ramsey Campbell oder auch Herausgeber Russell selbst vertreten. Bald darauf wurde klar, daß es sich Tartarus Press zur Hauptaufgabe gemacht hatte, das Werk von Arthur Machen herauszugeben. Bisher erschienen nicht nur all die Romane und Erzählungen der Genrelegende, sondern (in broschierter Form) auch eine Unmenge an Machen-Sekundärliteratur und so obskure Titel wie "Pubs in London, die Arthur Machen gern besuchte".

Machen wurde im Jahr 1863 in Südwales geboren. Schon als Kind war er von Ausgrabungen in seiner Heimat fasziniert, die Relikte heidnischer Kulturen ans Tageslicht förderten. Durch seine Begeisterung für das Lesen und Schreiben kam er zu einem Job als Journalist in London. Angespornt vom Erfolg seiner ersten Gedichte verlegte er sein Hauptinteresse bald in den Bereich der Literatur. "The Great God Pan" und danach "The Three Impostors" sorgten im prüden England des späten 19. Jahrhunderts durch ihre Verknüpfung von Horror, Heidentum und recht explizit dargestellter Sexualität schnell für Aufsehen. Machen wurde zu einem Vertreter der aus Frankreich stammenden Strömung der Dekadenz.

Diplomaten-Hobby

Ein weiterer Tartarus-Autor, der englische Diplomat und spätere Botschafter John William Wall, trat nur unter dem Pseudonym Sarban in Erscheinung. Der Hobbyliterat verfaßte in seiner Freizeit drei schmale Bändchen mit meisterhafter Phantastik, die nun zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder aufgelegt wurden. Experten streiten noch heute darum, was als Sarbans Hauptwerk gelten soll - das märchenhafte "The Doll Maker" oder die politische Science-Fiction-Erzählung "The Sound of His Horn".

Im ersten der beiden Bücher erzählt der Autor die Geschichte eines jungen Mädchens im Internat, das auf seinen unerlaubten Streifzügen durch die Umgebung den Besitzer eines kleinen Hauses im Wald kennenlernt. Der junge Mann fasziniert die Protagonistin durch seine lebensnahen selbstgebastelten Puppen, die er auch noch so geschickt in einer Nacht vorführt, daß man glaubt, die Puppen wären am Leben. Die beiden beginnen eine Romanze, die erst endet, als das Mädchen erkennt, daß sie nicht die einzige Internatsinsassin ist, mit der ihr Freund eine Affäre hat. Sie entdeckt, daß ihr Held die Seelen der Mädchen dazu benützt, seine Puppen zu animieren, und entkommt ihm nur mit großer Mühe. Über dem ganzen Buch liegt eine Atmosphäre des Märchenhaft-Phantastischen, die sich in den Schilderungen der Hauptfiguren, der Wälder, der Puppen, aber auch des Internats selbst äußert.

Völlig anders ist der Ton des zweiten Hauptwerks "The Sound of His Horn". In dieser politischen Story beschreibt Sarban eine Parallelwelt, in der die Nazis gesiegt haben. Einer ihrer Gefangenen beschreibt seine persönliche Leidensgeschichte: Politisch Andersdenkende werden in eingezäunte Reviere gesperrt und dort von den hohen Offizieren wie Tiere gejagt und im Extremfall auch verspeist. Überraschend bei dieser Erzählung ist zum einen die deutliche Anklange des NS-Regimes und seiner sadistischen Praktiken, zum anderen die Eindringlichkeit der Darstellung, die für die damalige Zeit (die 50er Jahre) doch recht heftig ausgefallen ist.

Vergessene Großmeister

Mit Oliver Onions haben Tartarus Press einen weiteren Meister des traditionellen Schreckens im Programm, der sowohl im englischen als auch im deutschen Sprachraum bisher stark vernachlässigt wurde. Onions schreibt Kurzgeschichten in der Tradition von M. R. James oder H. R. Wakefield und ist unbestreitbar einer der eindringlichsten Autoren traditioneller Gespenstergeschichten.



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