Seit kurzem schlägt sich auch im deutschen Sprachraum die "Emma Peel der 90er" wieder wacker durchs TV-Programm. Dabei hat man bereits mehrmals versucht, sie "abzusägen" - und das, obwohl "La Femme Nikita" die erste Crime-Serie ist, die nicht nur gelungen einen Film und sein Remake adaptiert, sondern diese auch noch übertrifft. Martin Compart berichtet.

Ausgerechnet Deutschlands schlimmster Trash-Sender strahlt momentan die anspruchsvollste TV-Serie der letzten Jahre aus! Ein Schicksal, schlimmer als der Tod...

RTL 2 macht es "Nikita", der nach "Akte X" größten Kultserie der 90er Jahre, natürlich nicht leicht. Immer wieder wurde mit der Ausstrahlung begonnen, um dann mitten in der ersten Staffel abzubrechen. Jetzt wird ein weiterer Versuch gestartet, der mit Folge 8 der ersten Staffel einsetzt und erst mit Abschluß der zweiten Season enden soll. In den USA, wo die Serie die erfolgreichste Action-Show im Kabel ist, sind bereits vier Staffeln gelaufen. Als die Produktionsfirma Warner Brothers im Mai die Einstellung der Serie verkündete, rauschte es nur so im Internet; eine "Unterschriftenaktion" wurde organisiert, an der sich 100.000 Fans aus 50 Ländern beteiligten. Mit Erfolg: Im September wurde die Fortsetzung von "Nikita" über 2001 hinaus garantiert.

Der Hauptverantwortliche für die Qualität der Serie ist Joel Surnow, der sich abwechselnd als Produzent und "executive consultant" bezeichnen läßt. Er gehört zu den neuen Genies unter den Produzenten/Autoren des amerikanischen Fernsehens. Erste Meriten verdiente er sich als Autor bei "Miami Vice"; Produzent Michael Mann war von seiner Arbeit so angetan, daß er ihn zum Chefdramaturgen machte. Bereits hier zeigte sich Surnows scharfsichtiger Blick auf das politische System. Es folgten Arbeiten als Producer-Autor für "Wiseguy" ("Kampf gegen die Mafia"), "Nowhere Man", "The Commish" ("Der Commissioner"), "Equalizer"und andere. Surnows "Tanzkarte" kann sich also durchaus sehen lassen. Es gibt wohl kaum eine qualitativ hochwertige Crime-Serie seit den 80er Jahren, an der er nicht maßgeblich beteiligt war.

"In gewisser Weise ist 'Nikita' die weibliche Version von 'Wiseguy'. In beiden Serien geht es um gequälte Menschen, die durch einen Führungsagenten in eine beklemmende, gefährliche Welt geschickt werden. Beide versuchen, ihren Frieden zu finden und gegen das System ihr eigenes Leben zurückzubekommen. Meine Helden sind keine wirklichen Helden."
Joel Surnow


Bisher wurden ja mehr Fernsehserien ("Auf der Flucht", "Mission Impossible", "Star Trek" usw.) erfolgreich für das Kino adaptiert als umgekehrt. Der Weg von der Leinwand auf den Bildschirm funktionierte nur bei zwei Comedys ("Männerwirtschaft" und "M.A.S.H.") und einer Action-Serie ("Highlander"). "La Femme Nikita" (dt. Titel: "Nikita") ist die erste Crime-Serie, die nicht nur gelungen einen Film und sein Remake adaptiert, sondern diese auch noch übertrifft.

"Nikita" verzichtet auf Happy-Ends und die üblichen Konfliktlösungen innerhalb des gewohnten 45-Minuten-Schemas üblicher TV-Produktionen - und ist somit das Zynischste, was je als Serie über die Bildschirme flimmerte. Die in Toronto gedrehte Endlos-Story hat es bereits auf fast 100 Folgen in fünf Jahren gebracht und das Niveau nicht nur gehalten, sondern sogar gesteigert. Immer wieder gab es Probleme mit den Buchhaltern von Warner, denen das Budget von einer Million Dollar pro Folge ziemlich auf den Magen schlägt (lächerlich, angesichts der weltweiten Verkäufe in über 50 Länder). Bedenkt man den Look und die ausgefeilte Ästhetik der Serie, die 180 Mitarbeiter beschäftigt, ist diese Summe auch garantiert nicht zu hoch gegriffen.

Zur Handlung: Durch eine falsche Mordanklage wird die junge Frau Nikita zur Mitarbeit in einem Supergeheimdienst erpreßt. Ihr Leben gehört nicht länger ihr - denn sollte sie die Mitarbeit verweigern, würde der Dienst sie ins Gefängnis oder auf den elektrischen Stuhl bringen. Die Prämisse ist bekannt: Luc Bessons stilisierter Thriller über ein junges, asoziales Mädchen, das von einer amoralischen Geheimorganisation zur Superkillerin konditioniert wird, wurde in den USA zuvor schon als Kinostreifen mit Bridget Fonda remaked.

Die Abteilung, die Nikita zur Mitarbeit zwingt, nennt sich Sektion Eins. Sie ist nominell eine Anti-Terror-Organisation, deren Agenten ausschließlich gefühlskalte Killer und Manipulateure sind. Jede emotionelle Regung wird als Schwäche verurteilt und bekämpft. Ohne mit der Wimper zu zucken, läßt dieser Geheimdienst zu, daß unschuldige Bürger getötet werden, wenn es nur höheren Interessen dient. Zum Erhalt des Systems wird skrupellos gemordet oder ein gerade noch bekämpfter Giftgashändler ans Herz gedrückt ("Solange er an beide Seiten verkauft, muß er sich keine Sorgen wegen seiner Geschäfte machen") und zum Verbündeten erklärt.

In der ersten Staffel der Fernsehserie wird ausführlich gezeigt, wie die junge Frau durch die Organisation psychisch neu konditioniert wird. Aber noch behält sie sich einen Rest Menschlichkeit, und das zwingt sie oft zur Verstellung gegenüber ihren Vorgesetzten. Es ist wahrlich atemberaubend, wie Hauptdarstellerin Peta Wilson das spielt. Absolut glaubwürdig agiert sie in diesen Szenen als eine Schauspielerin, die einen Charakter spielt, der schauspielert. Nikita muß verbergen, daß sie nie wirklich so skrupellos werden will, wie man es von ihr erwartet. Die TV Kritikerin Shelly Lyons verglich die Weltsicht der Serie mit Bertolt Brecht, und Peta Wilsons Darstellung der Nikita brachte ihr die ehrenvolle Bezeichnung als "Emma Peel der 90er" ein.



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