Kennt die Volksverblödung durch Hitparaden-Musik noch Grenzen? Wenn man MTV oder einen der vielen Gute-Laune-Radiosender des deutschsprachigen Raums einschaltet, kann die Antwort darauf nur "nein" lauten.Benjamin Denes formulierte für den EVOLVER eine Anklageschrift an den Mainstram der ausgehenden 90er Jahre.

Zwei Zuschneider im Teppichmarkt unterhalten sich über Freizeitgestaltung; Videokassetten bilden den Schwerpunkt ihrer Diskussion. Der ältere der beiden, vermutlich schon Vater, schwärmt von den deutschsprachigen Versionen der "Discovery Channel"-Reihe. Woraufhin der andere lachend erwidert: "Det is ja wie im Chart-Hit. Kennste doch! 'You and me were animals, so we make it like the Discovery Channel!' Läuft doch ständig im Radio!"

Schon faszinierend, daß ein Song mit einem solchen Text sich mehrere Wochen auf der Sonnenseite unserer Charts behaupten konnte. Nicht, daß die Comedy-Rocker nicht gut wären, im Gegenteil, die Expansion ihrer musikalischen Fertigkeiten ist sogar irgendwie bewundernswert; die Frechheit ihrer Texte scheint jedoch am Großteil der Konsumenten vorbeigegangen zu sein. "The Bad Touch" ist ein Begriff aus dem Lehrbuch puritanischer Erziehung in Amerika und beschreibt das Gegenteil einer rein väterlichen Berührung. Alles klar? Falls nicht, dann reicht es wohl auch, den Refrain einmal richtig zu verstehen: "You and me baby, we´re nothing but mammals, so let´s do it like they do on the Discovery Channel!" Eigentlich hätte man mit einem Airplay-Verbot durch die FSK rechnen müssen; immerhin haben wir es hier mit einer Anleitung der Marke "Pädophiler Inzest - leicht gemacht" zu tun. Doch wahrscheinlich konnte das Video, das eher auf Anbahnungsversuche zwischen Gleichaltrigen anspielt, die drohende Zensur abwenden.

Außerdem: Wer kennt denn schon die Texte der Chart-Hits so genau - vor allem, wenn es sich um englische handelt? Chart-Hits sind Single-Hits, und die meisten Single-Booklets verzichten auf die Angabe der Lyrics. Musikwissenschaftler der Universität Köln haben 1997 in einer Studie herausgefunden, daß neben der Musik die Videos inzwischen das zweitwichtigste Argument für den Kauf einer Single durch Teenies (also die größte Käufergruppe für Popmusik) sind. Während immerhin noch 72 Prozent der Befragten (getestet wurde das Konsumverhalten 12- bis 20jähriger Realschüler) als wichtigstes Qualitätsmerkmal eines Songs "die Musik an sich" einstuften, sprachen nur 6 Prozent den Texten bzw. dem Inhalt des Liedes diese Eigenschaft zu. 58 Prozent der Befragten verwiesen die Lyrics auf Platz drei, wo sie sich relativ knapp vor dem "optischen Erscheinungsbild" (38 Prozent) behaupten konnten (Quelle: R. Hembeck, Uni Köln).

Diese Studie läßt sich wöchentlich beim Blick auf die Single-Charts nachvollziehen; als Erinnerung sei an dieser Stelle nur auf die Sommerhits des vergangenen Jahres verwiesen: "One, Two, three, four, five, everybody in the house, come on let´s jive", dünstete ein gewisser Lou Bega, und (noch härter) "I have a blue house with a blue window, blue is the colour of all that I wear, blue are the streets and all the trees are too, I have a girlfriend and she is so blue" umgeben von der 28fachen Wiederholung der Zeile "Dabadee Dabadi", brachte den Italienern von Eiffel 65 die Pole-Positions in diversen europäischen Charts ein.



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