Benny Denes´ Heimatstadt diente kürzlich als Schauplatz für ein hochwissenschaftliches Experiment in Sachen Urbanisierungsgrad. Die Bewohner verschiedener Metropolen wurden nach Berlin eingeladen, um ihre praktischen Fähigkeiten im Straßenverkehr testen zu lassen. Unser Reporter hat dabei zugesehen.

In einer älteren Folge habe ich schon einmal auf den extrem hohen Unterhaltungswert universitärer Studien hingewiesen. So kam es mir gerade erst wieder neulich zugute, daß ich sehr viele Studenten kenne. Einer von ihnen - er schreibt gerade an seiner Diplomarbeit in Soziologie und Urbanistik - besucht im laufenden Semester ein Seminar mit dem vielversprechenden Titel "Grade der Verstädterung". Im Rahmen dieser Veranstaltung führten die Teilnehmer mehrere Experimente mit Probanden aus verschiedenen europäischen Großstädten in Berlin durch.

Der fraglos spannendste Versuch, eine Studie zum Umgang mit Ampeln, fand in der vorletzten Woche statt. Leo, so heißt mein Freund, ließ mich als Beobachter mitlaufen; der Professor hielt mich zu Sachlichkeit und einer wissenschaftlichen Berichterstattung an. Die Soziologen hatten Zweier-Teams aus einander nicht kennenden Bewohnern verschiedener Städte gebildet, die nacheinander über eine Reihe von Straßenkreuzungen mit Ampelschaltungen laufen sollten. Die Teams, im einzelnen Berlin/Rom, Berlin/Tokio, London/Wien, Lissabon/Stockholm, New York/Amsterdam und Paris/Mexiko, sollten - so die Aufgabenstellung - "zügig, aber touristisch zu einem Ziel gelangen".

Die erste Bewährungsprobe lauerte an der Kreuzung Mehringdamm/Yorckstraße in Kreuzberg, wo es auf beiden Straßen Mittelinseln gibt, auf denen der Aufenthalt wegen der immensen Schadstoff- und Lärmemissionen der beiderseits vorbeirauschenden Fahrzeuge höchst unangenehm ist. Von den sechs Teams schaffte nur die Kombination aus New Yorker Junge und Amsterdamer Mädel den direkten Weg über beide Ampeletappen. Das Duo London/Wien scheiterte am Anblick des gegenüberliegenden Kaffeehauses, in dem auch ich selbst mich postiert hatte. Die Teams mit Berliner Beteiligung hatten sich - mit den Einheimischen als Triebfeder - allenfalls das Erreichen der Mittelinsel zum Ziel gesetzt. Paris/Mexiko nutzte die wesentlich längere Gehstrecke durch die U-Bahnstation, gelangte letztendlich aber genauso schnell zum Ziel wie Lissabon/Stockholm, die es partout nicht lassen konnten, miteinander herumzuknutschen. Das war wohl auch zum Teil meine Schuld, ich habe meinem Freund Marc ja schließlich João wärmstens anempfohlen. Und der kommt schließlich aus Lissabon. Daß er momentan sehr einsam ist und obendrein noch eine hohe Affinität für blonde Schwedinnen hat, hielt ich für nicht erwähnenswert.

Der Versuch dauerte vier Stunden - und trotz des lüsternen Lissabonners gelangte die Soziologengruppe zu einem klaren Ergebnis. "Die Probanden aus Paris, New York, Mexiko und Amsterdam haben keine Verkehrsängste und weisen einen hohen Verstädterungsgrad auf. Einzig partielle Phobien (die Amsterdamerin zuckte bei jedem noch so entfernt klingenden Fahrradklingeln zusammen; der New Yorker wartete beim Anblick von Polizeiautos auf die Grünphase) hemmten ihr schnelles Vorankommen." Die anderen getesteten Großstädter hätten laut Studie den Sinn eines Straßensystems nicht erfaßt und sich zum Sklaven desselben gemacht oder seien ins Unwesentliche abgeschweift.

Ich möchte diese Episode nicht ohne einen Hinweis auf den Wiener Versuchsteilnehmer abschließen: Er zog sich den verstärkten Unmut der Wissenschaftler zu, weil er seinen Londoner Begleiter nach dem Kaffeehausbesuch dazu aufforderte, ein Taxi zum Zielpunkt zu nehmen. "A schöne Melange und a kostenlose Stadtrundfahrt, und des auf Kostn dea Uni. Da her kumm i sicher zruck!"



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