Acht Jahre ist es jetzt her, daß New Order mit "Republic" englische Popgeschichte schrieben - aber taten sie das nicht mit jedem ihrer Alben? Und wird sich das neue Werk "Get Ready" in die lange Linie konstant hochwertiger Veröffentlichungen einordnen? Ernest Meyer berichtet über Geschichte und Gegenwart einer wahrlich großen Band.

Sie haben vieles überlebt. Gleich am Beginn den Selbstmord von Ian Curtis, als dieser und die Musiker Bernard Sumner (Gitarre), Peter Hook (Baß) und Steven Morris (Drums/Keyboard) noch unter dem bekannten Namen Joy Divison auftraten. Aus der anfänglichen schweren Depression des verbliebenen Trios erhoben sich New Order Anfang 1980 wie ein Phönix aus der Asche.

Ihr Band-Name bedeutet "neuer Auftrag", was eigentlich die wortgetreue Übersetzung eines nazideutschen Terminus darstellt. Müßig zu betonen, daß die englische Presse seinerzeit immer wieder versuchte, die liberalen New Order in die Nähe rechter Bewegungen zu rücken; ebenso selbstverständlich aber auch die Tatsache, daß sie in dieser Ecke nie und nimmer etwas verloren hatten.

Der "neue Auftrag" bestand ja vielmehr darin, sich nicht der Trauer über den Tod Ians zu ergeben, sondern einfach weiterzumachen, "neue" Musik zu komponieren, um bald als wichtigste Proponenten der englischen Popkultur Geltung zu erhalten. Das Star-Getue Bernards und seine ungebremste Egomanie sorgten - ebenso wie der Mega-Hit "Blue Monday" - schnell dafür, daß New Order von der Musikindustrie und den Fans als eine eigenständige Band wahrgenommen wurden, ohne das Joy-Division-Vermächtnis in alle Ewigkeit wie einen Buckel herumschleppen zu müssen.

Die Texte von New Order ankern stets im Hafen der Melancholie, grübeln über das Älterwerden, die Vergänglichkeit der ersten Liebe oder den Reiz junger Mädchen. Gerade weil die Lyrics meist in der Ichform oder als Brief an eine imaginäre zweite Person ausgeführt sind, zählen nicht nur Heteros, sondern auch viele Homosexuelle zu den sicheren Fans der Band. Soviel zum Inhalt; die musikalischen Markenzeichen New Orders sind einerseits der eckig-pointierte Grundel-Chorus-Baß Peter Hooks - meist in Moll gehalten und oft kopiert, aber nie erreicht - und der gloriose Bariton Bernard Sumners, der immer noch so jugendlich klingt, daß es einem angesichts des neuen Albums förmlich die Tränen in die Augen treibt.

Eines muß man New Order lassen: Ihre Fans sind unter nordenglischen Hausfrauen genauso zu finden wie unter solariumsgebräunten Cabriofahrern, Fußballnarren und Rockfans. Sie überlebten als eine der ganz wenigen Brit-Bands den Aufschwung des (Gitarren-)Raves wie auch dessen Niedergang. Aus dieser Periode stammt etwa das Album "Technique" (1989), das zum Erscheinungstermin so etwas wie "die Zukunft der britischen Elektro-Pop" darstellte. Gemeinsam mit Rave-Bands wie den Stone Roses, Happy Mondays oder Inspiral Carpets feierten die Herrschaften von New Order als Mitbetreiber des legendären Hacienda-Clubs in Manchester exzessive Acid-Rave-Parties, die selbst exaltierteste Hedonisten der 80er Jahre ins Reich der Zwerge verwiesen.

Die Eighties waren fast vorbei, die "Madchester Rave Explosion 1989" klang uns noch in den Ohren, The Hacienda zierte die Covers von "The Face", "Time" und "Newsweek" - und als ob dieser Höhenflug nicht gereicht hätte, bescherten New Order mit "World in Motion" der Fußball-WM 1990 eine Hymne und belegten Platz eins der Dance-Charts. Die 12-Inch erreichte Platin, wie zuvor schon das epochale "Technique".

Der programmierte Tod der Hacienda-Szene (Schließung des Clubs, Ende der Rave-Welle usw.) ist jedoch nur eine Erklärung, warum es nach 1993 so ruhig um New Order wurde. Die Bandmitglieder hatten nämlich bereits vorher beschlossen, eine Zeitlang eigene Wege zu gehen. Sumner war schon seit längerer Zeit mit Kumpel Johnny Marr (Ex-Smiths) und Neil Tennant (Pet Shop Boys) unter dem Projektnamen Electronic unterwegs; Peter Hook veröffentlichte als Revenge, und Steven Morris samt Gemahlin Gillian Gilbert traten als das auf, was sie waren - nämlich The Other Two.



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