06-08-2000/Abteilung: Film/Archiv

Digitalen Firlefanz gab es zu seiner Zeit noch nicht. Aber derartiges künstlerisches "Kleingeld" hätte ein genialer Filmregisseur wie er auch gar nicht notwendig gehabt - und abgesehen davon wäre auch gar kein Budget dafür dagewesen. Denn mehr als 100.000 Dollar kosteten Mario Bavas Filme in der Regel nicht.
r.evolver berichtet über einen der Meister des italienischen Genre-Kinos.

Bei einer Fahrt mit der altertümlichen Geisterbahn im Wiener Prater stellt sich selbst einem Nervenbündel spätestens nach der ersten Kurve die Frage, wer das je zum Fürchten gefunden haben soll. Der kleine Wagen schießt unbeirrbar in Täler hinab, wo eigentlich der Horror im Dunklen lauern sollte - stattdessen erwachen Puppen aus Pappmaché in finsteren Löchern zu höchst zweifelhaftem Leben, und dünne, gespenstische Schreie erklingen aus Lautsprechern, die auch schon einige Betriebsjahre auf dem Buckel haben. Mit anderen Worten: Trotz des guten Willens wollen einem die Haare nicht so richtig zu Berge stehen.

Aber darum geht es genaugenommen auch gar nicht. Man liebt die Atmosphäre, freut sich über jeden lachenden Totenschädel und jeden schaurigen Ruf im Dunkeln. Später, beim obligatorischen Ausklang im Biergarten des Schweizerhauses, reflektiert dann so mancher weniger gern die Härtetests, denen er in den hochgezüchteten Ultra-Speed-Attraktionen des beliebten Wiener Vergnügungsparks ausgesetzt war, sondern vielmehr das rumpelnde, schaurige Vergnügen in der Geisterbahn. Es hat, wenn schon nicht dem Grauen, so zumindest der Phantasie kurzzeitig auf die Sprünge geholfen, und an der mangelt es ja heute bekanntlich an allen Ecken und Enden.

Ähnlich wie beim guten alten Spukkabinett verhält es sich bei einem Mario-Bava-Film. Keine Computeranimationen, keine High-Tech-Spompanadeln - nur Licht, Schatten und Pappmaché vollbringen das Wunderbare und sperren für kurze Zeit die Welt aus, die sich beim Alptraum-Experten Bava so konsequent irreal darstellt, als gäbe es keine andere. Noch während Story und Protagonisten auf der Leinwand exponiert werden, eröffnen sich phantasiebegabten Menschen Dimensionen, die zynischen Kretins bis in alle Ewigkeit verborgen bleiben werden. Amüsiert sich der eine köstlich über die aus heutiger, abgeklärter Sicht durchschaubaren Tricks, so schwebt der andere schon längst in Bavas Welt. Und die bietet wesentlich mehr, als sich cineastisch unterbelichtete Ignoranten in ihren kühnsten Träumen vorstellen können. Allein die Farben sind ein Universum für sich. Bavas manipulatives Spiel mit Licht und Schatten läßt im Kopf des Rezipienten eine Parallelhandlung ablaufen, die sich auf geheimnisvolle Weise von der eigentlichen emanzipiert. Strebt letztendlich die Story auf der Leinwand ihrer Resolution entgegen, unterwirft sich die Geschichte im Kopf plötzlich keiner dramaturgischen Gesetzgebung mehr und hält ihre eigenen Lösungsansätze parat.

"Vor allen anderen bevorzuge ich jene Horrorfilme, die sich nur um eine einzelne Person drehen. Was mich interessiert, ist die Angst, die Menschen empfinden, wenn sie allein in ihrem Zimmer sind: Angst vor sich selbst, wenn ganz normale Gegenstände plötzlich ein Eigenleben zu führen beginnen..."
(Mario Bava)

Der Meister subversiven Schreckens kam 1914 in Italien zur Welt. Bereits als junger Mensch widmete er sich den schönen Künsten, richtete sein kreatives Hauptaugenmerk jedoch anfänglich auf die Malerei. Obwohl es auf diesem Gebiet beim bloßen Versuch blieb, sollte die Kenntnis um die Wirkung von Licht und Schatten Mario Bavas Werdegang positiv beeinflussen. Kurze Zeit nach seinen ersten erfolglosen künstlerischen Gehversuchen begann er seinem Vater, dem Bildhauer und Filmtechniker Eugenio Bava, bei dessen Arbeit hinter der Kamera zu assistieren. Mitte der 30er Jahre konnte Mario Bava sich schließlich selbst als Kameramann etablieren. Seine innovativen Lichtexperimente erzeugten einzigartige Spezialeffekte und verhalfen ihm im Verlauf der 50er Jahre schnell zu internationalem Ruf. Bava galt als einer der besten italienischen Filmtechniker und arbeitete unter anderem für Regisseure wie Roberto Rossellini, Georg Wilhelm Pabst, Robert Z. Leonard und Raoul Walsh.

Ende der fünfziger Jahre debütierte Bava als Regisseur. Für seinen ersten Film "La Maschera del demonio" lieh er sich Sujets und visuelle Ausdrucksmittel des deutschen expressionistischen Kinos der 20er Jahre und der mitunter recht blutrünstigen englischen Produktionen der Hammer-Studios. Die weibliche Hauptrolle des Streifens verkörperte Horror-Queen Barbara Steele. Obwohl der Film wegen einiger krasser Szenen in vielen Ländern Opfer der Zensur wurde, kam er bei Kritikern wie beim breiten Publikum gut an und war somit der optimale Start für die Regiekarriere des Meisters aller Klassen. In den folgenden Jahren kurbelte Bava eine stattliche Anzahl audiovisueller Schreckensvisionen herunter. Darüber hinaus ließ er kein Genre aus, inszenierte meisterhaft und routiniert Pop-art- und Science-Fiction-Movies, Western, Thriller und Historienspektakel und sogar eine Erotik-Komödie.

Kein noch so niedriges Budget konnte Bavas rastlosen kreativen Geist von keiner noch so aufwendigen Thematik abhalten, bis er völlig unerwartet denselben aufgab - 1980 erlag das Allround-Talent im Alter von 65 Jahren einer Herzattacke. Mario Bava hinterließ der Menschheit einen unerschöpflichen, zelluloid-gewordenen Fundus farbenprächtiger Phantasien - die wohl längste kinematograpische Geisterbahn der Welt. 
 

Drei der ungewöhnlichsten Filme des Meisters


DIABOLIK (GEFAHR: DIABOLIK, 1967)

Meisterverbrecher Diabolik hält die Welt in Atem; aber er beweist nicht nur kriminelles, sondern auch fetischistisches Talent: Der maskierte Superdieb im schwarzen, hautengen Leder-Catsuit wäre sicher gerngesehener Gast auf so mancher Auspeitschparty. Anstatt sich derart spießbürgerlichen Freizeitvergnügungen hinzugeben, raubt er aber lieber alle möglichen Geldtransporte aus - sowie seinem Gegenspieler Inspektor Genco die letzten Nerven. Gemeinsam mit seiner attraktiven Geliebten und Muse Eva Kant führt das verbrecherische Genie in einem nach allen Regeln der Pop-Kunst durchdesignten Hauptquartier (geheim, versteht sich) ein ausgesprochen ungewöhnliches wie hedonistisches Dasein.
"Diabolik" basiert auf dem seit 1962 erscheinenden, gleichnamigen italienischen Kult-Comic von Angela und Luciana Giussani. Für den Film hatte Mario Bava das größte Budget seiner Karriere zur Verfügung: Produzent Dino DeLaurentiis spendierte satte drei Millionen Dollar für das Projekt.
 

TERRORE NELLO SPAZIO (PLANET DER VAMPIRE, 1965)

Zwei Raumschiffe - die Galliot und die Argos - empfangen ein Notsignal und landen daraufhin auf einem unheimlichen, nebeligen Planeten. Unmittelbar nach dem gefährlichen Landemanöver ergreift eine merkwürdige fremde Macht von den Mitgliedern der Argos-Crew Besitz. Nur der Besonnenheit und Willensstärke des Kommandanten ist es zu verdanken, daß (vorerst) keine Katastrophe eintritt. Detail am Rande: Auch mit diesem Meisterwerk macht Bava sich bei Fetischisten durchaus beliebt - sämtliche Crew-Mitglieder tragen hautenge Latex-Catsuits.
"Terrore nello spazio" - Mario Bavas einziger Ausflug in die interstellare Welt - ist eine raffinierte stilistische Gratwanderung zwischen Science Fiction und Horror. Mit Hilfe von Pappfelsen und Spielzeugmodellen zauberte Mario Bava eines der visuell beeindruckendsten Designs des SF-Kinos und inspirierte damit mehr als zwei Jahrzehnte später Regisseur Ridley Scott zu einigen Sequenzen in "Alien".
 

RINGO DEL NEBRASKA (NEBRASKA JOE, 1965)

Ein wortkarger Fremder namens Nebraska taucht beim Rancher Hillman auf und bietet ihm seine Dienste an. Vom Scharfsinn und den Pistolenkunststücken des Mannes gleichermaßen beeindruckt, stellt Hillman ihn ein, denn er hat Hilfe bitter nötig - der schurkische Großgrundbesitzer Bill Carter hat es auf Hillmans Land und Frau abgesehen...
"Ringo del Nebraska" gilt, trotz des recht konventionell anmutenden Plots, als Bavas bester Western, der sich vor allem durch die ungewöhnliche Charakterzeichnung des Helden von vergleichbaren Streifen des Genres absetzt: Nebraska trinkt lieber Milch als Alkohol und ähnelt in seinen Methoden mehr einem Detektiv als einem typischen Revolverhelden. Leider durfte sich Bava zu Lebzeiten nicht am Erfolg des Films freuen. Der ursprünglich als Regisseur vorgesehene Antonio Roman wurde zwar nach den ersten paar Drehtagen von den Produzenten gefeuert und durch Mario Bava ersetzt, galt aber dennoch jahrzehntelang als Schöpfer dieses großen Werks.

Mario Bava

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Mario Bava-Website

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