15-07-2000/Abteilung: Musik/Archiv

Der Vegetarier Dick Dale hat puncto Rock´n´Roll recht wenig Fleisch zu bieten. Das weitverbreitete Gerücht, er wäre in den Roaring Sixties der Erfinder der Surf Music gewesen, darf ruhigen Gewissens angezweifelt werden. Abgesehen davon erreichte der Maestro des ungezügelten Tremolos nie mehr als Platz 60 der "Billboard"-Charts. Trotzdem oder gerade deshalb - hörenswerter Trash ist´s allemal! r.evolver stürzt sich in die Wellen.

Sollte König Dick I. tatsächlich in die Annalen der Rock-Geschichte eingehen, dann weniger wegen seiner brutalen Krachgitarren-Attacken, sondern eher, weil ihn ein unglaublicher Glücksfall unvermutet einholte: Kein Geringerer als Hollywoods Rotzlöffel vom Dienst, Quentin Tarantino, kam auf die Idee, seinen Kultkino-Knaller "Pulp Fiction" mit dem bekanntesten Stück des vergessenen Meisters zu garnieren: "Misirlou". Seither haben eingefleischte Tarantino-Fans den Titel zu ihrer Hymne erkoren, wenngleich auch die wenigsten, schnell gefragt, nähere Auskunft über den Interpreten geben können.

Und so einfach ist das auch nicht. Dick Dale ist nämlich mitnichten der Komponist dieses feinen Schlagers - und in diesem Fall daher weniger König der Surf-Musik denn König der Diebe. Es war nämlich eine geklaute griechisch-armenische Volksweise, die dem Gitarren-Heroen zu bescheidenen Hitparaden-Ehren und Jahrzehnte später zur akustischen Präsenz in einem der gelungensten Vorspiele der jüngeren Kinogeschichte verhalf.

Gleichwohl ? den Mann kennt kaum einer. Derartige Fälle von Unglück im Glück haben Dick Dales Karriere geprägt: Er gilt als König eines Stils, der schon zu seiner Blütezeit keinen besonderen Einfluß auf die Popwelt ausübte. Der große Gitarrenbauer Leo Fender konstruierte ihm zu Ehren sogar einen speziellen Röhrenverstärker; doch ein großer Renner wurde das Ding nicht. Des verkannten Lärmkönigs grauslichste Niederlage aber war, daß die Kollegen von der Beach-Abteilung sämtliche Top-Plazierungen und somit auch allen Ruhm ungeniert einheimsten.

Surf Music is not Beach Music! Jedes Kind kennt Titel wie "Surfin USA" oder "Barbara Ann" und vermag, aus dem Tiefschlaf gerissen, deren Melodien ohne nennenswerte Verzögerung auf Befehl nachzupfeifen. Bei "Mr. Moto" beispielsweise tut sich unter denselben Voraussetzungen so mancher schwer. Und weil wir gerade beim Thema sind: Dieser Song gilt als der erste Surf-Titel der Rock-Geschichte; und es war nicht der King, der in diesem Fall die Nase vorn hatte, sondern die Konkurrenz! Zu allem Unglück waren die Belairs mit ihrem 61er-Top-Twenty-Hit um Häuser besser plaziert als King Dick zeit seiner Regentschaft. Soviel zum Königsdrama.

All das vermag jedoch ein gekröntes Haupt nicht vom Thron zu schleudern - vorausgesetzt natürlich, daß ein solcher überhaupt existiert. Viele Theoretiker haben sich die Zähne an einer Definition für das banale, wenn auch witzige Stück Popgeschichte ausgebissen, und sich letztendlich doch nur auf eine sehr vage einigen können. Keiner heult im Falsett, keiner singt sich die Kehle wund, also gilt: Surf Music is always without vocals! Herrn Dale kommt diese Definition natürlich sehr gelegen, ist seine Stimmlage doch irgendwo zwischen defektem Auspuff und Blechkanister angesiedelt.

Im pophistorischen Kontext ist aber ohnehin nur der Gitarrenstil des Meisters von Interesse. Hier tut er sich, wenn auch nicht allzusehr, hervor: Dale spielt seine "Righthand-Klampfe" andersrum, also "lefthand". Und er denkt nicht daran, deshalb die Seiten umzuspannen. Wer´s im Geiste nachvollzieht, wird schnell dahinterkommen, daß diese Praxis ein eher unkonventionelles musikalisches Denken erfordert. Nur, das gleiche Phänomen zeigte sich seinerzeit auch bei Jimi Hendrix. Was soll man da noch sagen? Auf den Punkt gebracht: Das Gitarrespiel von Dick dem "Krachenden" hinterließ über die engen Grenzen der Surf-Musik hinaus keine wesentlichen Spuren.

Nur am Strand von Santa Monica ist eine kleine Schar ambitionierter Epigonen seit Jahr und Tag damit beschäftigt, des Meisters Stil zumindest zu imitieren, denn weiterentwickeln läßt sich so was nicht. Der gefallene Surf-Aristokrat zieht übrigens auch heute noch durch sein verlorenes Reich, gibt sich in heißen Clubs so manch lärmendes Stelldichein mit jung, alt und Surfbrettl, um wenigstens eines zu erreichen: Wenn es schon die Menschheit tut, die Surfer sollen ihn - solange die Sonne sich noch um Kalifornien dreht - nicht vergessen. Und die Wellen des Pazifiks begleiten sein wildes Spiel, das bis in die Ewigkeit klingen mag. Gott schütze den König!

Dick Dale

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