Fortsetzung...

Logischerweise ist das Ganze ein Mammutprojekt. Doch Stallmann hat es nicht besonders eilig. "Small steps will do the job", sagt er - und wenn´s 20 Jahre dauere, mache das auch nichts. Er weiß offensichtlich genau, was er tut. Zwei wesentliche Dinge könnten seine "freie, universelle Enzyklopädie" nämlich zum "Linux des Wissens" werden lassen und zum Erfolg führen:

Erstens gibt er dem Web zurück, was es in seinem Wesen ist. Denn neben dem Anbieten von Inhalten, wie es jeder mehr oder minder gut in Form seiner Website(s) probiert, ist das Web natürlich ein idealer Anlaufplatz (ganz ähnlich dem Marktplatzgedanken), um Ideen, Inhalte und Beiträge einzusammeln oder auszutauschen: "pull" (ziehen) statt "push" (drücken). So entstehen nach und nach Communities! Und das hat Internet-Tradition, nicht nur in Form der Newsgroups, und wird gerade durch die sogenannten "Web-Logs" wiederbelebt. Zweitens hat der Mann seit Jahrzehnten Erfahrung im vernetzten, weltweiten Arbeiten. Ganz ähnlich einem Enzyklopädie- oder Dokumentations-Redakteur beim Schreiben und Prüfen eines Artikels, ist Stallman bei seiner Programmierarbeit mit Software zu absolut korrektem, verifizierbarem und zertifizierbarem Handeln geradezu gezwungen - noch dazu, wenn, wie bei ihm, nach der Methode der offenen Quellcodes gearbeitet wird.

Wie so etwas praktisch zu handhaben ist, können wir auf der Website "Nupedia" von Lawrence M. Sanger und Jimmy Wales bereits bewundern. Dort sind, laut Chefredakteur Sanger, momentan ca. 150 Artikel von ca. 100 Wissenschaftlern in Arbeit - und es wird penibel auf Qualität geachtet. Die Autoren müssen ausgewiesene Experten auf ihrem Gebiet sein und bereits Artikel publiziert haben. Jede Geschichte wird von mindestens drei anderen Koryphäen gegengelesen, und erst dann können die ca. 3000 "Nupedia"-Mitglieder (Mitgliedschaft kostenlos, Registrierung erforderlich) die Einträge begutachten bzw. diskutieren. Bei "Nupedia" lassen sich auch schon einzelne Enzyklopädie-Beiträge nachlesen - und siehe da, das "Wir-helfen-und-achten-uns-gegenseitig-Prinzip" scheint zu funktionieren. Nach anfänglichen Ressentiments sieht es derzeit so aus, als würden "GNUPedia" und "Nupedia" im Web zusammenwachsen.

Warum die Verlage, die eigentlich eine Kompentenz für solche Enzyklopädien besitzen, wie Brockhaus, Duden, Bertelsmann, Langenscheidt oder auch all die wissenschaftlichen Fachverlage, fröhlich vor sich hinschnarchen, bzw. sich mit merkwürdigen "Wissensportalen" ("wissen.de", Bertelsmann) oder - noch schlimmer - "Wissens-bezahl-pro-Artikel-Portalen" ("xipolis.net", Holtzbrinck und B. I./Brockhaus) im Internet zufriedengeben, wird wohl auf immer ihr Geheimnis bleiben. Nach neun Monaten im Netz kann das sich selbst "Content-Syndicator" nennende "xipolis" gerade einmal 18.000 registrierte Mitglieder aufweisen. Wieviele davon auch regelmäßige Kunden sind, bleibt dahingestellt. Und nach wie vor gibt es beispielweise im Hause Duden/Brockhaus, das im Jahr 2000 unter einem massiven Umsatz- und Gewinneinbruch litt und soeben weitere 29 Stellen abbaut (im Jahr 2000 waren es bereits 70), eine Vorstandsentscheidung, die besagt, daß keine redaktionellen Inhalte der Lexika kostenlos ins Web gestellt werden dürfen.

Was die Web-Community, würde ihr ein solch professionelles Angebot gemacht werden, allerdings alles zurückgegeben könnte, fragen die Herren Vorstände nicht. Daß dies dann zu ganz anderen Arbeitsabläufen, Produkten und Veröffentlichungsrhythmen führen würde, ist unbestritten. Ob es aber weniger profitabel wäre, ist schon allein aufgrund der verlegerischen Kompetenz unwahrscheinlich - nur weil man das eine macht, muß man das andere ja nicht lassen. Momentan setzen die Verlage im Web jedoch ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Um die zu erlangen, mußten viele Jahre harter Arbeit in der "realen Welt" geleistet werden - heute glauben wir dem Brockhaus, weil er der Brockhaus ist. Abwesenheit oder geheuchelte Anwesenheit, noch dazu in einem gesellschaftlich so relevanten Medium wie dem Web, haben noch nie dazu geführt, glaubwürdiger oder vertrauenserweckender zu wirken. Um nichts anderes, um Vertrauen und Glaubwürdigkeit, geht es aber im Web, wo die nächste Site immer nur einen Mausklick entfernt ist.

Egal - bald werden wohl alle Stichworte des Brockhaus ohnehin als eigene Website mit eigener URL im Netz stehen. Daß dies keineswegs bedeutet, daß Bücher obsolet werden, weiß sogar Stallman: "No catalogue, yet." ("Bisher noch kein Katalog."), aber: "When the encyclopedia is well populated, catalogues will be very important." ("Wenn die Enzyklopädie recht dicht ist, werden Kataloge sehr wichtig sein."). Es bleiben also, um diese verlegerische Herausforderung endlich anzunehmen, so um die 20 Jahre - allerdings geteilt durch sieben, denn im Web altert bekanntlich alles viel schneller. Anfangen damit könnte man also zum Beispiel heute.



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