Willkommen zum Metropolen-Experiment: Unser unermüdlicher Berichterstatter Benny Denes wagte in seiner Heimatstadt Berlin den bisher nie dagewesenen und durchaus gefährlichen Versuch, im Supermarkt freundlich zu sein. Was dabei herauskam, erfahren Sie in seinem Bericht.

Berlin ist wieder auf dem Weg zum Status einer Metropole. Das ist gut für die Tourismus- und Gastronomiebetriebe; es hilft dem Ansehen der Stadt und sorgt für Bewegung. Das pulsierende Leben hat aber auch seine Schattenseiten für die Einwohner - schließlich nimmt die Anzahl der Stadtneurotiker drastisch zu. Ganz typisch für das zunehmende Tempo, mit dem sich in Berlin das Leben abspielt, ist die egomanische Einstellung vieler Leute. Mit gesenktem oder starren Blick schreiten sie über die Bürgersteige, beinahe autistisch und stets bemüht, mit niemandem in Kontakt zu treten.

Selbstverständlich findet man den Großstadt-Kokon als neuen Typus des sich selbst schützenden Berliners auch im Supermarkt, einer der wenigen Begegnungsstätten für Menschen aller "Schichten". Im Supermarkt ist Härte angesagt, selbst in ruhigeren Bezirken der Stadt. Ein Lächeln könnte den guten Platz in der Schlange kosten; jemandem die entlegene Milchtüte zu reichen, bedeutet irreversiblen Image-Verlust; und ein Pläuschchen mit der Frau, die man seit sechs Jahren im Laden sieht, ist undenkbar. Vor ein paar Tagen zwangen mich meine erschöpften Lebensmittelreserven zu einem neuerlichen Gang in die Arena der modernen Stadt, den sechsgängigen Supermarkt mit Frischfleischtheke und Pfandflaschenautomat. Dieses Mal wollte ich es anders machen, sozusagen einen Impuls geben. Ich wollte sehen, wie die Mitmenschen reagieren, wenn man überaus freundlich, höflich und zivilisiert mit ihnen koexistiert. Im Supermarkt!

Bei den Einkaufswagen startete der Versuch. Die Abgebenden standen Schlange, um ihrem Wagen den Münze-erlösenden Klick zu geben, da sprach ich eine gut angezogene Dame um die vierzig an, die ebenfalls ihren Wagen in die Reihe stellen wollte: "Wollen Sie Ihren Wagen abgeben? Ich habe hier ein Markstück!" sagte ich mit einem Lächeln untermalt. "Ich habe einen Chip!" wies sie mich schroff ab. So nahm ich denn doch mit einem abgestellten Wagen vorlieb. Den nächsten Versuch unternahm ich an der Käsetheke. Ich sprach die sehr nach Hausfrau aussehende Wartende hinter mir in der Schlange an: "Dieser 'Esrom mit Kümmel' sieht aber lecker aus, haben Sie den schon einmal probiert?" Ihr Blick weitete sich und ihre Stimmbänder produzierten - offensichtlich dem Aggressionszentrum in ihrem Gehirn folgend - schrille Flötentöne: "Watt? Sie wählen aus? Ick sag Ihnen, wenn mir Ihretwejen hier noch uffjehalten werden! Menschenskind, denn übalejen Sie süch vorheer, wat se koofen wollen." So viel registrierte ich, sie flötete aber noch weiter. Ich entschied mich gegen den Esrom und für Ziegenkäse, denn so fühlte ich mich.

Auch die nächsten Anstrengungen, mit meinen Einkaufsgenossen in einen freundschaftlichen, zumindest aber freundlichen Kontakt zu treten, schlugen fehl. Die alte Frau verzichtete lieber auf das dänische Salzgebäck, anstatt es sich von mir reichen zu lassen, der blinde Mittvierziger stand trotz meines Hinweises eine gute Viertelstunde vor den Konservendosen an, und selbst mein Nachbar, Herr Rosskogler, wollte mich partout nicht erkennen. Schließlich gab ich es auf und paßte mich den Verhaltensrichtlinien für einen Berliner Supermarkt an. An der Kasse stand eine junge Mutter mit noch jüngerem Kind hinter mir und hatte nur eine Packung Windeln in der Hand, die verglichen mit meinem berstenden Wagen umso geringer erschien. Das Kind heulte, und die Mutter versuchte, es möglichst liebevoll zu beruhigen. Aber das gelang ihr nicht, und so mußte sie mich fragen, ob ich sie vorlasse. "Nein, ich habe auch die Hosen voll!" sagte ich dummdreist und mit einem meiner schäbigsten Lacher.

Ich glaube, daß es in Berliner Supermärkten noch sehr gut auszuhalten ist. In Glasgow soll neulich ein Mann drei Tage lang tot in einem Supermarktgang gelegen haben, bis ihn jemand entdeckte - weil die Leiche den Weg zu den Erotikheften versperrte.



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