Wo eine Stadt ihren wahren, unverwechselbaren Charakter zeigt, das wissen und begreifen meist nur ihre Bewohner. Berlin, die Heimatstadt von EVOLVER-Autor Benny Denes, offenbart ihr Wesen an einem besonders ungewöhnlichen Ort. Aber lesen Sie selbst...

Ich bin fest davon überzeugt, daß jede Stadt - und sei sie noch so klein - einen Ort hat, an dem sich ihre Seele voll entfaltet. Das grenzt zwar an ein Klischee, aber bei Wien denkt man in diesem Zusammenhang eben an das (für jeden Einheimischen andere) beste Kaffeehaus, bei Rom an die Spanische Treppe und bei Amsterdam an den Damrak oder den Leidseplein. Seit Jahren bin ich nicht von der Ansicht abzubringen, daß sich die Seele Berlins am deutlichsten in einer speziellen Lagerhalle mit Verkaufscharakter manifestiert: einem unserer überproportional vielen Baumärkte.

Man hat ja keine Wahl, wenn einem buchstäblich der Putz von der Decke rieselt. Vor ein paar Tagen war das bei meiner wunderschönen Altbauwohnung so, und deswegen mußte ich mich auf den Weg zum Heimwerkermarkt an der südwestlichen Peripherie der Stadt machen. Der Markt wimmelte nur so von Männern zwischen dreißig und sechzig. Teilweise trugen die Kunden Blaumänner; die Spezies der Profis war allerdings insgesamt unterrepräsentiert. Vor allem sah ich die typischen Westberliner "Laubenpieper" (Kleingartenzüchter) in schwarzen Lederwesten ("Kutte") und mit rot-blau-karierten Holzfällerhemden.

Bei den Bohrmaschinen standen gleich zwei von dieser Sorte und diskutierten: "Ach hör uff! Ick sage, dett is n Sexa und keen Achta. Da kommste allenfalls durch Sperrholz!" sagte der Größere der beiden. Sein Gesprächspartner schlug ihm liebevoll mit dem Hammer, den sie schon ausgesucht hatten, auf die Spitze der gelben Baseballmütze, auf der in dicken, schwarzen Lettern "K Ä R C H E R" stand und sagte: "Du Flitzpiepe, dett sind Doppelspiralbohrer mit Vanadiumanteil. Da brichst du dir die Platte, wenn du nisch mit nem Rückschlag-Bohrer bei ner Sechzehner-Umdrehung reingehst!" Faszinierend, diese Mischung aus einfachen Gemütern und Heimwerkerfetisch.

Ich zog weiter in die "Gartenstraße". Der Umstand, daß ich die Örtlichkeit, zu der ich mit meinem etwa zwei Meter langen Einkaufswagen lief, so genau benennen kann, ist der Strategie des Marktbetreibers zu verdanken. Jeder Gang hat einen Namen, jedes Regal hat eine Nummer, und selbst die Fächer sind wie Stockwerke benannt. Vor der Gartenstraße Nummer 4 (einem einstöckigen Regal) standen Kurt und Hannelore, die sich über ein für sie scheinbar unerschöpfliches Thema unterhielten: "Menschückweeßnüchkurt!" sagte Hannelore und wandte sich an ihren Begleiter, der fachmännisch an den Zipfelmützen verschiedener Gartenzwerge zupfte, als sei er der Tester einer Verbraucherschutzinstitution. "Also, der hier, wa, der iss ma doch nüscht", entgegnete er. "Da steckste nich drin, aber ick gloob, hier der grüne könnte es sein." Hannelore erlaubte sich die berechtigte Nachfrage, welchen Grünen er denn meine, schließlich hatten die zwei Dutzend Zwerge alle etwas grünen Lack an sich. Da fuhr Kurt sie an: "Biste bescheuert! Ick hab dir den doch jeseigt! Dann paß doch ooch eenma uff, Hannelore. Mesch mit dir iss ja schlümma wie mit nem Kleenkind." Hannelore fing trotz ihrer mindestens fünfzig Jahre Lebenserfahrung an zu heulen, und da sah ich mich in meiner Einstellung bestätigt: Baumärkte sind kein Ort für Frauen!

Mein Anliegen verfolgte ich dann trotz der spannenden Besucher auch noch. Ich fragte einen der Fachverkäufer, womit ich denn den Putz an meiner Stuckrosette nachbessern könne. "Jetz mal janz ehrlich. Det liegt ma am Herzen, det se mir ma glooben. Wissen se, ick kenn mir n bißchen aus mit Stuck." Ich wurde neugierig. Er schüttelte den Kopf, senkte langsam den Blick und preßte Luft in sein Kinn. "Der Fall ist tot. Ick hab ne bessre Idee. Haun se die Rosette weg und machen se wat aus ihrm Zümma!" Er zeigte mir eine wahnsinnig häßliche Stuckimitation aus Styropor, die ich wohl an die Decke kleben sollte. Nun wurde ich langsam ungeduldig: "Woher wissen Sie denn, daß ich meine Rosette nicht wieder hinkriegen kann?" Jetzt guckte der Mann, so ernst er nur konnte: "Vorsüscht, Freunschen. Wenn de meinen Rat nich gloobst, dann unterstell ma aber bitte nisch üble Nachrede oder Rufmord, wie sich det nennt. Ick hab hier n 1A-Produkt, ick hab es selber anne Wand jepinnt, ick biete dir dit an, ick saje dir niemals nich, watte zu tun oder zu lassen hast. Verstehste? Det kannste jar nich machen, im Baumarkt. In Berlin. Verstehste? Dit iss nich unsere Philosophie!"

Der Mann hatte nicht nur recht, er hatte auch Argumente. Nach meinem Baumarktbesuch dachte ich intensiv über das Wort "Seelenklempner" nach.



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