EVOLVER-Autor Benny Denes berichtet von nun an regelmäßig über Erlebnisse, Eindrücke und Momentaufnahmen aus seinem Berliner Alltag!

Letzte Woche ist mir etwas ganz Unangenehmes passiert. Ich wartete auf dem U-Bahnhof Spichernstraße - es war Freitagnacht -, wollte eine Zigarette rauchen, weil ich etwas viel getrunken hatte, und suchte vergeblich mein Feuerzeug. Leider war aber außer mir niemand auf dem Bahnsteig. Ich war erleichert, als ein Zug in der Gegenrichtung einfuhr, und sprach einer der Aussteigenden an. Der Typ sah nicht nur aus wie ein Raucher, er roch auch noch so.

"Entschuldigen Sie, haben Sie vielleicht einmal Feuer für mich?" sprach ich ihn auf die höflichste aller möglichen Arten an. "Ja, im Prinzip schon. Aber ich habe jetzt ehrlich überhaupt keine Zeit!" entgegnete er, und ich wandte mich, wie man das nach so einer plumpen Abfuhr tut, schnell ab - auch, um nach einem anderen Spender Ausschau zu halten. Ich dachte mir gerade, was für ein Arschloch dieser Typ sein müsse, hätte es doch höchstens zehn Sekunden gedauert, bis er hätte weiterlaufen können, als er mich ansprach: "Hallo, junger Mann! Damit Sie mich nicht falsch verstehen", sagte er wild gestikulierend, "Sonst gebe ich immer Feuer. Ich weiß doch, wie das ist, wenn man als Raucher kein Feuerzeug hat, nicht? Aber im Moment habe ich wirklich keine Zeit für so etwas, nicht?"

Ich hatte noch nicht mitbekommen, daß er jeden Satz mit der Fragefloskel "nicht?" beendete und antwortete daher: "Woher soll ich denn wissen, daß Sie jetzt keine Zeit haben?" Damit schien ich ihn getroffen zu haben: "Nun werden Sie mal nicht frech, nicht! Immerhin haben Sie ja ein Anliegen, nicht? Ein vernünftiger Raucher hat immer ein Feuerzeug dabei, nicht? Ich würde Ihnen bestimmt Feuer geben, aber meine Schwägerin, die will gleich einen Film aufnehmen, und die kann doch den Videorekorder nicht programmieren, nicht? Sonst hätte ich Ihnen bestimmt Feuer gegeben."
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Nun hatte ich gar keine Lust mehr, eine zu rauchen, bedankte mich bei dem Mann, und ging wieder auf die richtige Seite des Bahnsteigs. Er verfolgte mich. "Interessiert Sie gar nicht, was für einen Film sich meine Schwägerin aufzeichnen will?" "Nein!" sagte ich bestimmt. "Das ist so ein Heimatfilm, nicht? Wissen Sie, mit heiler Welt und Almen, was Bayerisches! Da kommt die Zenzi drin vor und große Liebe, nicht!" "Danke, ich weiß, was ein Heimatfilm ist!" versuchte ich seinen Redeschwall zu stoppen. "Ach, Sie mögen die Filme auch? Also, mein Fall sind die ja offengestanden nicht, aber ich kann das schon verstehen. Wenn man vielleicht aus zerrütteten Verhältnissen kommt oder als Scheidungskind, nicht? Der ganze Kitsch und das Schmalz, das kann so jemandem dann ja auch vielleicht ganz gut gefallen!"

Ich hoffe immer stärker auf das baldige Eintreffen meines Zuges. "Hören Sie!" redete er weiter. "Ich möchte hier nicht, daß Sie sich doof vorkommen müssen, weil Sie Heimatfilme mögen. Das finde ich, mal offen gesagt, überhaupt nicht schlimm. Ich meinte ja nur, daß ich persönlich da nicht so drauf stehe." "Hatten Sie nicht gesagt, daß Sie es eilig hätten?" konterte ich. "Ach!" sagte er und strahlte über das ganze pausbäckige Gesicht, "Das finde ich aber jetzt ganz super. Sie haben das wirklich anerkannt. Sie haben richtig nachvollzogen, wieso ich Ihnen kein Feuer geben kann. Nein, also das macht mich jetzt wirklich froh." Jetzt mußte ich doch explizit werden: "Hören Sie, warum gehen Sie nicht zu ihrer Schwägerin und lassen mich hier einfach in Ruhe?" "Na, wenn ich ihnen schon nicht Feuer geben kann, da dachte ich, muß ich Sie ein wenig unterhalten, nicht. Sie können mir doch nicht erzählen, daß Sie keine Probleme haben. Nachts auf einem U-Bahnhof, nicht!" "Wie meinen Sie das?", fragte ich zurück. "Na, der nächste Zug in Richtung Steglitz kommt erst wieder morgen früh, in viereinhalb Stunden. Was sollte man also hier machen?"

Bevor der Kerl mir noch weiter auf die Nerven gehen konnte, bin ich dann zur Fahrplantafel gegangen und mußte feststellen, daß er recht hatte. Es ist wohl an dieser Stelle nicht nötig, zu beschreiben, was mir in diesem Moment durch den Kopf ging. Viel Zeit zum Überlegen hatte ich auch nicht, denn der einzige Mensch, der in diesem Augenblick auch auf dem U-Bahnhof Spichernstraße war, sprach mich erneut an: "Hören Sie, der Bahnhof wird gleich geräumt und abgeschlossen, nicht. Sie können gerne mit zu meiner Schwägerin. Die mag ja schließlich auch Heimatfilme gerne. Hat im Moment genausolche Probleme wie Sie, nicht!" Ich sah nur noch eine Möglichkeit und rannte den Bahnsteig entlang, die Treppen zum Bahnhofsvorbau hoch und aus der Station heraus. Vor dem Bahnhof stand ein Verkäufer der Abendzeitung, rauchte eine und gab mir Feuer.

"Bitteschön!" sagte er dabei.



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