Das 1999 erschienene Debutalbum "Motion" der Band um den schottischen Musiker und Plattensammler Jason Swinscoe spaltet die Gemeinde der Musikhörer und -kritiker. Handelt es sich um lupenreinen Jazz, aufgegriffen von ein paar Scherzbolden aus dem HipHop- und Downbeat-Umfeld - und daher kein Thema für die klassische Jazz-Community? Oder ist es eine ambitionierte Dance-Produktion, umgesetzt von quasi-seriösen Jazzmusikern? Michael Lachsteiner hat Jason Swinscoe für den EVOLVER interviewt.

Die Tatsachen verwirren, die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen: Methoden und Instrumentarien werden dem Jazzkontext entlehnt und in eine Dance-Produktion gepackt, ebenso wie umgekehrt. Was auf Platte elegant, magisch, atmosphärisch und vor allem perfekt produziert klingt, wird im Live-Kontext mit einer minimalen Rhythmusgrundierung frei interpretiert. Die Soundtrack-artigen Stücke verbinden dekonstruierten Bebop mit Splittern aus HipHop und Downbeat, nie zu schnell und immer getragen von einer zurückgelehnten, luftigen Atmosphäre. Anläßlich des leider viel zu schlecht besuchten Konzerts der Band im Wiener WUK am 24. 5. ergab sich ein Gespräch mit Jason Swinscoe:

EVOLVER: Wie würdest du die Musik des Cinematic Orchestra beschreiben?
Jason Swinscoe: Viele Leute meinen, es sei wohl noch am ehesten Jazz, mehr als irgend etwas anderes, aber wir bewegen uns nicht in den klassischen Skalen, Theorien oder Methoden des Jazz. Viele Elemente entstammen dem Jazz, doch unser Sound ist eine Mixtur aus verschiedenen Dingen. Es gibt eine starke Tendenz zur Filmmusik, und die Wurzeln sind eher im Dance-Bereich zu finden. Genaugenommen ist es auch eine Dance-Produktion; wir haben das charakteristische Equipment benutzt, und unsere Musik hat daher auch diesen typischen Dance-Sound. Ich habe schon die verschiedensten Definitionen gehört; als wir vor kurzem in Texas spielten, meinten einige Leute, es wäre HipHop, was ich aber für ein eher seltsame Beschreibung halte, denn gerade das Live-Set hört sich sehr jazzy an!
Ein Großteil der Instrumentierung und die Art, wie die Instrumente gespielt werden, kommt eben auch vom Jazz. Wir verwenden z. B. Kontrabässe, Saxophone und Jazz-Drumkits, was unseren Sound dem des Jazz sehr ähnlich macht, aber trotzdem nicht unbedingt Jazz ist. Viele Jazz-Puristen können mit dem Album nicht allzuviel anfangen und nehmen es auch gar nicht als Jazz wahr. Die Jazzmusiker in der Band würden unsere Musik auch nicht als Jazz bezeichnen. Vor allem die Wurzeln unserer Musik liegen nicht in diesem Bereich. Wir verwenden Ideen und Sounds des Jazz und mischen sie mit den verschiedensten Dingen. Unser Schlagzeuger spielt auch afrikanische Musik und war früher in einer Rockabilly-Band!

EVOLVER: In welcher denn?
Swinscoe: King Kurt! Eine wirklich wüste Band, kannst du dich an die erinnern? Die hatten die Angewohnheit, während ihrer Gigs Unmengen Lebensmittel ins Publikum zu werfen, meistens Kombinationen aus Pudding, Mehl, Ketchup und so. Im Backstagebereich von King-Kurt-Konzerten gab es daher nie was zu essen, da das Zeug sowieso immer im Publikum landete!

EVOLVER: Wie entstehen die Stücke des Cinematic Orchestra?
Swinscoe: Ich erstelle meist ungefähr fünf verschiedene Loops, die - zusammen mit ein paar Notizen, die Ideen und Vorschläge enthalten - auf Kassette an die Musiker verschickt werden. Später kommen wir alle im Studio zusammen, spielen diese Loops, und die Musiker jammen und spielen ihre Ideen dazu, jeder in einem eigenen Raum. Die komplette Session wird aufgenommen, anfangs mit dem Loop im Hintergrund, während dieser später durch ein Metronom oder einen Shaker ersetzt wird, um lediglich die Tempi der Loops zu erhalten.

Der Loop ist dann meist gar nicht mehr Bestandteil des Tracks, da die Sessions natürlich eine eigene Dynamik entwickeln. Wir haben aus diesem Grund auch die Regel aufgestellt, alles aufzunehmen, was im Studio passiert. Wir kommen rein und schon läuft das Tape, egal ob gespielt oder geplaudert wird oder Instrumente gestimmt werden. Das ist die Basis für die Musik. Anschließend höre ich mir die Sessions in meinem Heimstudio an, durchsuche das Material und setze es neu zusammen. Manchmal kommt aber auch der Original-Loop als Bestandteil des Stücks wieder zum Einsatz, indem er zu den Live-Sets dazugemischt wird. Gelegentlich finden auch Samples von anderen Quellen Verwendung. Auf jeden Fall habe ich sehr viel Rohmaterial, um die einzelnen Tracks zu erstellen. Der Prozess ist also sehr aufwendig und nimmt einige Zeit in Anspruch. Ein Stück fertigzustellen, dauert ungefähr ein bis zwei Monate.



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