Viennale-Tips von Andreas Ungerböck (Viennale-Pressebüro, Journalist, Buchautor)

Drei Filme in 10 Stunden
Das ultimative Triple-Feature bei der Viennale 2000 dauert insgesamt rund zehn Stunden und beinhaltet die Filme Truths: A Stream (182 Minuten) von Masahiro Tsuchihashi, Ao no to ("Blue Tower", 146 Minuten) von Katsumi Sakaguchi und Eureka von Shinji Aoyama, der mit 3 Stunden 37 Minuten den Rekord hält. Alle drei Filme stammen aus Japan, und alle drei sind Beispiele eines etwas anderen Kinos: eines Kinos, das sich einen feuchten Dreck um die sogenannten "filmischen Elemente" schert und trotzdem zum Spannendsten gehört, was in diesem Jahr auf die internationalen Leinwände gekommen ist.
Während Aoyama ja schon ein einigermaßen arrivierter Regisseur ist, dessen intellektuelle Genre-Übungen wie "Helpless", "Two Punks" oder "Shady Grove" allenthalben zu sehen waren, sind die beiden anderen Filmemacher eher unbeschriebene Blätter. Kühn sind sie alle drei, entwerfen jeweils einen gewaltigen philosophischen Bogen, den man Regie-Neulingen keinesfalls zutraut, und machen aus scheinbar hoffnungsloser Kopflastigkeit packendes Kino. Tsuchihashi berichtet von einem Paar, das beschließt, Selbstmord zu begehen, sich in die Wälder zurückzieht, an einer gewaltigen Grabkammer arbeitet und bei dieser Tätigkeit den Sinn des Lebens "wiederfindet", aber - versteht sich - nicht à la Hollywood, sondern zutiefst glaubwürdig und überwältigend schlüssig. Sakaguchi, bisher Fernsehdokumentarist, beleuchtet in "Blue Tower" ein soziales Phänomen, wie es in Japan vor allem unter männlichen Jugendlichen auftritt: die totale selbstgewählte Isolation im eigenen Zimmer. Toru ist ein solcher Typ; seit dem tödlichen Unfall seiner kleinen Schwester hat er sich völlig zurückgezogen. Als er auf einem seiner seltenen nächtlichen Streifzüge dem Mädchen Midori das Leben rettet, scheint der Fluch, den er auf sich lasten fühlt, ein Ende zu haben. Trotzdem ist es ein langer Weg aus dem inneren Gefängnis an die Freiheit. Um ein ganz ähnliches Phänomen geht es in "Eureka": In Schwarzweiß und Cinemascope schildert Aoyama, wie drei Überlebende einer brutalen Bus-Entführung - der Busfahrer und zwei Kinder - mit ihrem Trauma fertig zu werden versuchen. Es ist eine lange schmerzhafte Reise, auf der die Protagonisten sich nur langsam aus der völligen psychischen Finsternis ans Licht herantasten.

Drei in jeder Hinsicht gewaltige Werke, drei Versprechen für die Zukunft, drei bemerkenswerte Hinweise darauf, daß ernsthaftes Kino vielleicht doch nie untergehen wird, so sehr sich Hollywood auch drum bemüht.



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