Fortsetzung...

Widerliche Bürokraten sorgten zusätzlich dafür, daß er nicht zurück in die USA konnte, ohne verhaftet zu werden, und setzten ihn auf eine Schwarze Liste. So konnte jeder dumpfe Provinzbulle McGill das Leben noch schwerer machen. Alles was ihm blieb, war ein Leben aus dem Koffer, mit dem er von einer miesen Absteige in die nächste zog. Er hatte nichts zu verkaufen als seine Arbeitskraft - und wurde so zum ersten proletarischen Krimihelden der Fernsehgeschichte. "Paranoia heißt, alle Fakten kennen", schrieb William S. Burroughs einst; McGill bestätigte diese Weisheit Woche für Woche. Um Kohle zu verdienen, nahm er so ziemlich jeden miesen Job an, und oft genug blieb man ihm den Lohn schuldig. Für Konsumfetischismus und dummes Geplänkel hatte er dabei nichts übrig:

Bankkassierer: "Wie möchten Sie es haben?"
McGill: "Einfach in Geld."


Nein, McGill ließ sich nichts vormachen. "Sie würden sich wundern, wie oft die eine Hand nicht weiß, was die andere versteckt", sagte er gern. Aber er war auch kein Glückspilz. Wenn er schon mal die Chance hatte, an eine satte Million Dollar zu kommen (wie in dem grandiosen Zweiteiler "Variation on a Million Bucks" von Greenberg), landete er am Ende ohne Geld im Krankenhaus und mußte noch dankbar dafür sein, daß jemand für die Kosten aufkam. Bei fast jedem Job, selbst als Söldner in Afrika (in der Episode "No Friend of Mine" von John Stanton), gerät er zwischen die Fronten und hat alle Seiten gegen sich. Und eine Suche nach geraubtem Geld, wie in "Which Way Did He Go, McGill?" mit Donald Sutherland als Killer, konnte natürlich nur ergebnislos bleiben.

"Man in a Suitcase" schlachtete eine goldene Kuh und schaffte das Happy-End in TV-Serien ab. Bei diesen brutalen Stories kam in den naiven 60er Jahren manchmal wirklich das Gefühl auf, daß McGill am Ende einer Episode ins Gras beißen könnte. Genau das irritierte den durchschnittlichen Fernsehzuschauer, der schon zur Genüge um Dr. Kimble ("Auf der Flucht"; OT: "The Fugitive") gezittert hatte. Denn McGill war, im Gegensatz zu Kimble, ein echter gesellschaftlicher Außenseiter, und solche Typen schätzten die Mattscheibenspießer überhaupt nicht (weshalb die ARD nach 13 Folgen auch Schluß mit der Serie machte und uns die restlichen 17 Folgen vorenthielt). Jüngere Leute, vielleicht die potentielle Zielgruppe dieser existentialistischen Serie, schauten damals nicht fern - schon gar nicht angelsächsische Action-Serien mit dem Geruch des "westlichen Kulturimperialismus".

So wäre die Serie bei uns fast ein Flop geworden, hätte sie nicht eine der vielen unsäglichen öffentlichen Diskussionen darüber ausgelöst, "wieviel Brutalität denn das Fernsehen anbieten darf". Damit hatte eine Hamburger Fischverkäuferin keine Probleme: Als eine Fernsehillustrierte eine Umfrage ("Was halten Sie von McGill - ist er zu gewalttätig?") abzog, antwortete sie: "Der Mann ist eine Sünde wert."

Selbst die stellenweise recht B-Movie-mäßigen Versuche, beim Publikum durch "geschickten" Einsatz realer Hintergründe fernab gewohnter Studiokulissen etwas exotische Atmosphäre aufkommen zu lassen, taten der allgemeinen Begeisterung keinen Abbruch. Da wurden Standphotos von der Riviera oder grobkörnige Super-8-Aufnahmen von Rom dazwischengeschnitten, um zu belegen, daß sich McGill auch wirklich in Italien oder sonstwo aufhalten würde. Dabei sah jeder, daß er im lieblos ausgestatten Elstree-Studio herumtobte.

Aber der Trash-Effekt war letztlich egal, solange nur der Drehbuchautor einen guten Job machte und sich Richard Bradford eine Zigarette in den Mundwinkel schieben konnte. Seit Humphrey Bogart hatte nämlich niemand mehr so cool mit Glimmstengeln hantiert. Was wiederum einige Kritiker auf die Palme brachte, wenn McGill mit Kippe im Mund einem Mittelschicht-Punk eine reinhaute. Außerdem zeigte man erstmals in einer britischen Serie die dreckigen Londoner Hinterstraßen, auf denen Obdachlose herumlagen und Besoffene in Hauseingänge kotzten. Als Nebenfiguren tauchten außerdem einige der schlimmsten Freaks auf, die man in einer 60er-Jahre-Serie zu sehen bekam: Donald Sutherland als völlig beknackter Killer in "Which Way Did He Go, McGill?" oder ein ganzes Dorf voller aggressiver Arschlöcher in "All That Glitters" von Greenberg, der auch hier wieder McGill am Ende ins Krankenhaus schickte. Und wenn die im deutschsprachigen Raum nie gezeigte Folge "Brainwash" wirklich die letzte Episode war (was viele Fans behaupten), wissen wir nicht, ob McGill wirklich überlebt hat.

Mit ihrer Ideologie der positiven Resignation war "Der Mann mit dem Koffer" jedenfalls keine echte Sixties-Serie mehr und nahm "Miami Vice" oder "Wiseguy" bereits einiges vorweg. Statt sie jedoch an den Pranger zu stellen, hätten die üblichen besorgten Eltern Herrn Bradford lieber Dankschreiben schicken sollen: Er garantierte, daß wenigstens einige Raubauken Freitag abend zu Hause blieben...


PS: Ron Grainer, der einige der besten Titelmusiken der Seriengeschichte komponierte (Stichwort: "The Prisoner"), legte mit der Musik zu "Der Mann mit dem Koffer" übrigens sein Meisterwerk vor.
PPS: Die Erstausstrahlung dieser Kultserie lief vom 27. 9. 1967 bis zum 17. 4. 1968.



Zur Zeit liegen noch keine Kommentare vor.