Kolumnen_Ausweiskontrolle: Kalkulierter Schmerz

Kalkulierter Schmerz

Die Folter ist ist kein Relikt aus der Zeit der Hexenverbrennungen. Sie ist eine Alltagserscheinung, die wir zunehmend akzeptieren.    18.03.2005

Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck "Folter" jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfaßt nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind.

Artikel 1 (1) der "Anti-Folter-Konvention."

 

Höchststrafe gegen Folter-Eltern!

 

So titelte die "Kronen Zeitung" am 22. Februar, gefolgt von: "30 Jahre Haft im Fall Jacqueline". Selten war sich ein Land so einig über eine Schlagzeile des Kleinformats: Die Eltern, die ein kleines Mädchen verstümmelt und fast zu Tode gequält haben, ohne Menschlichkeit oder Mitgefühl zu zeigen, gehören weg! Ein paar Wochen davor war das Bundesheer in den Schlagzeilen, weil Rekruten im Rahmen einer Terrorübung psychisch und physisch mißhandelt wurden. Wiederum einige Wochen zuvor sorgten die USA, bestenfalls in alten Superman-Comics noch Hort der Demokratie, mit dem Folterskandal von Guantamo für mediales Echo. Folter ist zu einer Art Alltagsszenario geworden, mit dem wir über die Medien ständig konfrontiert werden - allerdings umfaßt der Begriff "Folter" im Alltagsgebrauch ein breiteres Gewaltspektrum, als es von der "Anti-Folter-Konvention" vorgeschrieben wird. Sie setzt eine politische, polizeiliche oder militärische Kraft voraus, die einem Delinquenten zur Durchsetzung eines Zieles Qualen zufügt. Über die recht eng gefaßte Definition hinaus, die keinen Platz für Rechtfertigungen enthält, ist Folter zum Synonym für viele Arten täglicher Qualen geworden, Kindesmißbrauch und Gewalt gegen Frauen inbegriffen.

Im "ai Jahresbericht" ist nur von behördlichen Übergriffen die Rede; von durchgedrehten Beamten und auch von Verwarnungen und Verurteilungen der Republik durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (beispielsweise für die Diskriminierung von drei Homosexuellen, die aufgrund eines 2002 abgeschafften Paragraphen in den Jahren 1996 und 1997 noch zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden). "Das österreichische Strafgesetzbuch unterscheidet nicht zwischen Folter und Gewaltanwendung", sagt Magister Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich. "Die Richter wissen allerdings meistens sehr genau, worum es sich dreht."

 

"Folter beginnt im Kopf"

 

Für Heinz Patzelt ist das ein Kernsatz. Und einer der Mechanismen, die Folter möglich machen, ist Diskriminierung: "Wenn ich davon überzeugt bin, daß eine bestimmte Volks- oder Personengruppe minderwertiger ist als ich, dann werde ich sie mit dem entsprechenden Maß an Verachtung behandeln", sagt er - und meint: Möglicherweise sinkt bei labilen Exekutivorganen im Umgang mit Ausländern die Hemmschwelle, wenn sie sich in den Köpfen als minderwertig festgesetzt haben. Auch wenn der Begriff "Folter" in den letzten Wochen öfter als gewöhnlich durch die Betten der Medien gerollt ist - wer hat sich schon die Frage gestellt, wie ein typischer Folterknecht aussieht und was ihn bewegt?

"Da darf man sich keine falschen Vorstellungen machen", erklärt Patzelt. "Der typische Folterknecht in einem Land, das die Folter gutheißt, ist kein Perverser, sondern ein hart im Folterkeller arbeitender Familienvater, der abends zu seinen Kindern fährt." Gründe müssen geliefert werden, die einen Menschen dazu animieren, harte Arbeit als Folterknecht im Dienste seiner Regierung zu leisten. Es muß gar nicht die Angst ums eigene Leben sein, die einen andere zu Tode quälen läßt - Patrioten und Fanatiker, die einen höheren Sinn darin sehen, arbeiten gern fürs Vaterland.

Die von Amnesty International anerkannte Anti-Folter-Konvention ist aufgrund einiger schwammiger Formulierungen auch Anlaß zur Kritik: Daß Schmerzen oder Leiden ausgenommen sind, "die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind", gibt Staaten, in denen die Folter gesetzlich verankert ist, beispielsweise einen Freibrief, sie legitim anzuwenden. Angesichts eines wachsenden Gewaltpotentials, von dem immer mehr Frauen und Kinder betroffen sind, scheint eine Neudefinition des Folterbegriffs zumindest überdenkenswert.

Folter ereignet sich täglich, in jedem Gemeindebau auf die eine oder andere Art - und vielleicht wäre es auch besser, den Abschnitt, daß Folter nur dann als solche gibt, wenn sie von "Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person" ausgeübt wird, auf "Personen, die über die Grenzen der persönlichen Freiheit aller Beteiligten hinausgehende Autorität ausüben" zu ändern. Folter ist keine Frage der Politik. Betroffen geben wir "der Krone" recht, ohne daß wir uns von den Schreien, die aus einer Wohnung im zweiten Stock kommen, den Schlaf rauben lassen. Tatsächlich beginnt Folter im Kopf, auf die eine oder andere Art.

 

Slowakei: Profilneurose und Roma

 

Was für die einen Diplomatie ist, stellt für die anderen eine Konkurserklärung der Demokratie dar. Einerseits sind wir als gute Menschen gegen die Folter, andererseits sehen wir ungerührt EU-Staatsoberhäuptern beim Handshake mit Regierungsvertretern von Ländern zu, die eigentlich keine Freunde haben sollten. Ein Januskopf ist, wenn sich die Slowakei als Gastgeberland für das Treffen von George W. Bush und Wladimir Putin international profilieren will - da sollte man gleichzeitg vor Augen haben, daß im letzten EU-Zipfel vor Weißrußland immer noch rauhe Sitten herrschen. So wurden in der Gegend um Kosice (Bild oben: die Roma-Siedlung Lunik9 am Stadtrand von Kosice) mit Geldversprechen Sterilisationen unter Roma-Frauen initiiert. Obwohl Menschenrechtsorganisationen das Thema noch längst nicht ad acta gelegt haben, stellte die slowakische Regierung die weitere Verfolgung mangels "Indizien für eine Straftat" ein, wie im Jahresbericht 2004 von Amnesty International nachgelesen werden kann. Übergriffe scheinen an der Tagesordnung zu sein, sodaß der UN-Ausschuß gegen Folter der Slowakei "die Schaffung eines effektiven, zuverlässigen und unabhängigen Beschwerdesystems" empfahl, "das Vorwürfe über Mißhandlungen und Folter unverzüglich und unparteiisch untersucht und die Verantwortlichen strafrechtlich belangt". Bush wiederum genehmigte brutale Verhörmethoden, ließ die eng gefaßte Definition von Folter an die amerikanischen Sitten anpassen und sein Kabinett öffentlich über die Legalisierung von Folter unter bestimmten Umständen nachdenken.

 

Bei Gefahr: Folter!

 

Im Jänner erklärte der mittlerweile ausgeschiedene US-Heimatschutzminister Tom Ridge dem Fernsehsender BBC, daß die USA Folter zwar nicht gutheißen würden, sie aber "unter extremen Bedingungen" wie einer nuklearen Bedrohung notwendig sein könne. Die Aussage klingt ein bißchen, als hätte Ridge am Drehbuch der zweiten Staffel der US-Erfolgsserie "24" mitgeschrieben. Mit der Drohung eines atomaren Terrorschlages konfrontiert, hält es Agent Bauer (Kiefer Sutherland) für ganz selbstverständlich, einer gefangenen Verdächtigen Schmerzen zuzufügen. TV-Wirklichkeit und politische Realität greifen nahtlos ineinander: Im Fernsehen bereiten Sympathieträger das amerikanische Volk (und auch den Rest der vernetzten Welt) darauf vor, daß in manchen Situationen eben schlimme Dinge getan werden müssen, um eine größere Katastrophe zu verhindern.

Mit den Worten von Tom Ridge: Bei einer extremen Bedrohung "würde man möglicherweise versuchen, alle zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um die Informationen zu erhalten, die Tausende von Menschenleben retten". Mit einem ähnlichen Satz rechtfertigt sich auch Bauer in der Serie, und leider klingt er ziemlich einleuchtend: der Schmerz eines einzelnen gegen das Leid von vielen (möglicherweise der eigenen Kinder). Wie wird sich die Mehrheitsgesellschaft entscheiden, die zu einem hohen Anteil vermutlich gar nicht weiß, was im Artikel 2 (2) der Internationalen Anti-Folter-Konvention von ihr gefordert wird?

"Außergewöhnliche Umstände gleich welcher Art, sei es Krieg oder Kriegsgefahr, innenpolitische Instabilität oder ein sonstiger öffentlicher Notstand, dürfen nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden", heißt es dort. Doch Papier ist geduldig, und die USA sind nur das jüngste Beispiel für den Rückfall in eine Zeit, die seit der Wandlung des französischen Strafvollzugssystems vom Schmerz zur Einschließung eigentlich vorbei sein sollte. "Folter ist in Europa die Ausnahme, nicht die Regel", sagt Heinz Patzelt. "Man kann aber dennoch nicht von einer folterfreien Zone sprechen."

In der Türkei gehört Folter bisweilen noch zum Standardrepertoire der Polizei, weil, wie ein türkischer Innenminister vor einigen Jahren meinte, ansonsten die Verbrechensaufklärungsrate dramatisch sinken würde. In eine ähnliche Kerbe schlug im Vorjahr auch der Kölner Polizeipräsident Klaus Daschke, der einem gefaßten Entführer Folter androhte, sollte er nicht den Aufenthaltsort seines Opfers verraten. Die ehemaligen Oststaaten, die über die EU-Osterweiterung zum Staatenbund kommen, haben zum Teil ebenfalls eine dunkle Vergangenheit und Gegenwart. Und auch Österreich ist mittlerweile regelmäßig im Jahresbericht von Amnesty International vertreten.

 

Plastikfesseln und Zigaretten

 

So gibt es beispielsweise im Umfeld des von der lokalen Bevölkerung zum Hort des Bösen hochstilisierten Asylwerberheims Traiskirchen (Bild links) immer wieder "Folter-Vorfälle." Im Frühjahr 2004 wurde beispielsweise ein junger Nigerianer vom Personal mit brennenden Zigaretten mißhandelt. Ein anderer Vorfall aus dem Jahr 2000 findet noch im "ai Jahresbericht 2004" Beachtung - auch wegen der langen Zeit bis zum Prozeß: "Anfang September (2004, Anm. d. Red.) gab der Unabhängige Verwaltungssenat Niederösterreich mehreren Klagen statt, die 32 ausländische Staatsbürger afrikanischer Herkunft gegen die Polizei wegen grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung angestrengt hatten", wird ab Seite 507 ausgeführt. "Die Klagen stehen im Zusammenhang mit einer Drogenrazzia der Polizei in einem Asylwerberheim in Traiskirchen in den Abendstunden des 17. Januar 2000. Die Richter des Verwaltungssenats befanden, die Polizei habe gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen, indem sie den Bewohnern der Unterkunft ohne nachvollziehbaren Grund über mehrere Stunden hinweg Plastikfesseln angelegt und ihnen damit körperliche und seelische Schmerzen zugefügt habe (...) Der Verwaltungssenat bezeichnete das Vorgehen der Polizei als in jeder Hinsicht rechtswidrig, da die Razzia ohne Durchsuchungsbefehl vorgenommen worden war."

Man kann nur hoffen, daß der fehlende Durchsuchungsbefehl (den sich die Drogenfahndung im Bedarfsfall gern per Fax an den nächsten Landesgendarmerieposten nachschicken läßt) nicht der einzige Grund war, der den Verwaltungssenat zu seiner Entscheidung veranlaßte. Wenn ja, dann erinnert der Fall ein wenig an den des Wieners, der im Frühjahr 2004 eine neue Brille beantragen wollte - und dem vom Amtsarzt darauf der Führerschein wegen leicht überhöhten Blutzuckers eingezogen wurde. Er bekam seinen Schein zwar wieder zurück, aber nicht, weil der ganze Ablauf gegen das Datenschutzgesetz verstieß, sondern weil "leicht überhöhter Blutzucker" genaugenommen kein Grund für einen Führerscheinentzug ist.

 

Düstere Aussichten

 

Folter muß geahndet werden, ohne Rücksicht auf die Gründe, aus denen sie stattfindet. Daß Amerika immer mehr auf einen gegenläufigen Kurs einschwenkt, ist ein Aspekt, der recht gut den moralischen Anspruch der herrschenden Gesellschaft definiert - und mit dem sich die USA auf das Niveau jener Systeme begeben, die sie selbst als demokratiefeindlich klassifizieren.

"Zur Folter muß man klar Stellung beziehen", sagt Patzelt. "Man kann nicht prinzipiell dagegen und im Anlaßfall dafür sein." Für eine Gesellschaft, die sich selbst kennt, ist eine solche Entscheidung nicht einfach zu treffen, weil sie berücksichtigen muß, daß bei einer direkten Bedrohung alle moralischen Vorsätze für gewöhnlich prompt über Bord geworfen werden. Ernsthafterweise müßten auch die Schwachstellen des Systems berücksichtigt werden. Stattdessen fordern wir ein hohes moralisches Niveau, das auf Schmerz und Rache verzichtet und die Würde des Menschen in jedem Fall höher bewertet als die Staatsräson. Daß Folter trotz aller Konventionen nicht mit dem Mittelalter ausgestorben ist, sondern täglich auf irgendeine Art und Weise praktiziert wird, sollte uns zu denken geben. Entweder haben wir uns die moralischen Ziele zu hoch gesteckt und scheitern nun täglich und blutig schon am Vorsatz - oder wir haben uns noch nicht entschieden.

Chris Haderer

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