Kolumnen_Ausweiskontrolle: Wenn der Arzt zum Spitzel wird ...

Wenn der Arzt zum Spitzel wird ...

Die "Vorsorgeuntersuchung - Neu" macht Doktoren zu Agenten im Dienste Ihrer Majestät Rauch-Kallat.    03.10.2005

Trinken Sie gelegentlich ein kleines Bier zum Mittagessen? Und Abends mit Freunden vielleicht das eine oder andere Achterl? Gehen Sie von Parties niemals ohne drei Wodka nach Hause - und können sich eventuell deshalb nicht mehr daran erinnern, wie sie neulich ins Bett dieser kleinen Blonden gelangt sind? Schlimm. Aber lassen Sie auf Ihrem feuchtfröhlichen Weg zum Alkoholiker nicht gleich jede Hoffnung fahren, denn die Sozialversicherung weiß Rat. Und wenn schon nicht Rat, dann dank der am 1. Oktober in Kraft getretenen Vorsorgeuntersuchung - Neu zumindest Bescheid.

Die generalüberholte Gesundheitsvorsorge bringt nicht nur eine Reihe neuer Untersuchungen, sondern auch das teilweise Ende der ärztlichen Schweigepflicht mit sich. Die erhobenen Untersuchungsergebnisse werden nämlich umgehend in digitaler Form an die Sozialversicherungen übermittelt, wo sie zentral gespeichert und ausgewertet werden können.

 

Datensammelwut. Zu den Gesundheitsinformationen, die ausgeliefert werden, gehören unter anderem der sogenannte Body-Mass-Index, die Bewegungsbereitschaft, Blutbild, Blutdruck und der Alkoholsuchtwert. Für den Patienten ist das nur eine Zahl zwischen Null und 40, die mit einem aus zehn Fragen bestehenden Multiple-Choice-Fragebogen ermittelt wird - in der Praxis handelt es sich jedoch um eine "zentrale, vom Gesundheitsministerium geschaffene Alkoholikerdatenbank", wie sich Hans G. Zeger (Bild links), Vorstand der Datenschutzvereinigung ARGE Daten, empört. "Erstmalig wird mit der zentralen elektronischen Verarbeitung der Untersuchungsergebnisse der Zugriff für eine unüberschaubare Zahl von Einrichtungen geschaffen, deren vorrangiges Ziel nicht die Verbesserung der Gesundheit des Patienten ist, sondern die Reduktion der eigenen Kosten oder die Verminderung von Leistungen." Denn, so mutmaßt Zeger, Privatversicherungen werden die detaillierte Krankengeschichte eines Patienten nicht dazu verwenden, um seine Betreuung zu optimieren, sondern um ihm bestimmte Leistungen aufgrund seines Lebenswandels oder seiner Vorgeschichte nicht zuzugestehen.

 

Freiwillige Selbstkontrolle. Die Drahtzieherin der Vorsorgeuntersuchung - Neu, Gesundheitsministerin Rauch-Kallat, sieht den Fall naturgemäß anders. Für sie ist das neue System so etwas wie "eine TÜV-Prüfung für die Gesundheit. Wir wollen bis 2020 die Zahl der Herz-Kreislauf-Kranken und -Toten unter 65 Jahre um 40 Prozent senken und pro Jahr 1021 Leben retten. Wir wollen 15 Prozent der Krebsleiden verhindern und pro Jahr 829 Leben retten und wir wollen 33 Prozent der Diabetes-Schäden verhüten." Jede/r ÖsterreicherIn über 18 soll zukünftig im Zweijahresrhythmus zu einer freiwilligen Untersuchung aufgefordert werden. Die sensiblen Daten sollen, so das Gesundheitsministerium, ausschließlich anonymisiert zur statistischen Auswertung verwendet werden - was jedoch von Datenschützern und Ärzten heftig angezweifelt wird.

Die an die Sozialversicherungen übermittelten Auswertungsbögen sind nämlich nicht nur personenbezogen, sondern müssen vom Patienten zusätzlich noch unterschrieben werden. Daß Daten für statistische Zwecke anonymisiert verwendet werden, ändert nichts an der Tatsache, daß die personenbezogenen Informationen in den Datensilos verschwinden. Dadurch kann jedes Unternehmen, das Patientendaten abfragen kann, auch einen ganz genauen Blick auf ein mögliches Suchtverhalten einer Person werfen. Der Arzt wiederum erhält ein 207 Seiten starkes Regelwerk, das nicht nur ausführt, welche Untersuchungen zu führen, sondern auch, welche Ergebnisse an die Sozialversicherung zu melden und welche Formulierungen im Patientengespräch zu verwenden sind.

"Auch früher wurden Untersuchungsergebnisse an die Sozialversicherungsträger übermittelt, das ist nicht das Problem", meint Dr. Rolf Jens, Allgemeinmediziner und Hausärztevertreter in Wien. Ihm macht vor allem die digitale Übermittlung Sorgen, durch die umfassende Auswertungen in Data-Warehouses überhaupt erst möglich werden. "In der Vergangenheit wurden die Informationen auf Papier übermittelt und wegen des enormen Aufwands nicht weiterbearbeitet. Jetzt sieht die Lage anders aus. Niemand kann dem Arzt oder dem Patienten garantieren, daß tatsächlich eine Anonymisierung stattfindet", sagt Jens. "Wir Ärzte werden zum Sammeln und Weitergeben von Daten verdonnert – was dann aber damit geschieht, soll nicht in unserer Hand liegen. Und auch nicht in der Hand des Patienten." Tatsächlich sind die personenbezogenen Informationen vor allem für Privatversicherungen pures Gold wert, weil sie auf frühe Krankheitssymptome schließen lassen - und wurden diese schon vor Versicherungsbeginn diagnostiziert, so besteht kein Versicherungsschutz.

 

Auffällige Trinker. "Der Fragebogen befindet sich im eklatanten Widerspruch zum EU-Verbot der Speicherung sensibler Daten", sagt Hans G. Zeger. "Gesundheitsdaten dürfen nur unter ganz wenigen, genau definierten Bedingungen verwendet werden, etwa zu Heilungszwecken. Die Befriedigung des Kontrollbedürfnisses mancher Politiker oder die Reduktion der Leistungspflicht von Versicherungen fällt sicher nicht darunter."

Besonders ärgerlich findet Zeger den "Alkoholikerindex", der zwar dem Hausarzt bekannt sein solle, in den Datenspeichern der Versicherungen aber nichts zu suchen habe. "Trinkt eine Frau täglich zum Abendessen ein Achtel Rotwein und seltener als einmal im Monat, beispielsweise bei einer Party oder zu Silvester, mehr als sechs Glas Alkohol, dann wird sie als auffällig registriert", erklärt Zeger. Frauen gelten bereits bei vier von 40 erreichbaren Punkten als auffällig, Männer erst bei acht. Zegers Rat: mit dem Hausarzt gemeinsam einen durchschnittlichen Fragebogen erarbeiten, der dem Patienten bei einer eventuellen Durchsicht keine wirtschaftlichen oder beruflichen Nachteile einbringt. "Ärzte und Ärztevertreter sollten bei ihren Verhandlungen zur Finanzierung der Leistungen stärker als bisher auf den Schutz der Intimsphäre achten", sagt der Datenschützer. "Datenerhebungen wie diese sind optimal geeignet, das Arzt-Patientenverhältnis zu zerstören. Zum Schaden der Patienten, aber auch zum Schaden der Volksgesundheit."

 

"Jeder gesunde Mensch ist ein Kranker, der es noch nicht weiß." Diesen Leitspruch aus Jules Romains Dreiakter "Knock oder der Triumph der Medizin", der 1923 in Paris uraufgeführt wurde, hat sich längst in die Welt geschlichen und steht im Schulterschluß mit den Patienten als gewachsener Zynismus zwischen den Fronten. Für die Pharmaindustrie ist er Anlaß für eine noch stärkere Medikation der Gesellschaft - und wenn dafür Krankheiten erfunden werden müssen (wie beispielsweise das im Hause Glaxo-Kline erdachte "Sisi-Syndrom"). Für sie ist jede - auch eingebildete - Krankheit bares Geld wert. Auf der anderen Seite turteln die Versicherungsanstalten, für die wiederum nicht die Krankheit selbst, sondern die Krankheitsgeschichte Gold wert ist, aufgrund von Ausschlußklauseln und anderem Regelwerk, mit dem Leistungen eingeschränkt werden können. Veraltete Untersuchungsdaten werden nämlich nicht gelöscht, sobald neuere vorliegen, weil sie dem Arzt Einblicke in den Verlauf einer Krankheit gewähren. Wer also einmal durch seinen Alkoholindex "auffällig" geworden ist, wird den Ruf bis zur Bahre nicht mehr los - ähnlich wie bei den 64 Jahre lang personenbezogen gespeicherten Schuldaten in Elisabeth Gehrers Bildungsevidenz. Letztere steht unter Dauerbeschuß der Datenschützer, weil sie sensible Informationen über das Verhalten und den Werdegang von Schülern über die Sozialversicherungsnummer personalisiert speichert (auch hier haben schon Firmen Zugriffsanfragen deponiert, weil beispielsweise Betragensnoten für die Personalabteilung eines Unternehmens von Interesse sein können).

Ganz neue Dimensionen tun sich auf, wenn man sich den Datenbestand der Vorsorgeuntersuchung - Neu und der Bildungsevidenz kombiniert vorstellt. Dann können sich die Data-Mining- und Data-Warehouse-Anlagen ausführlichst mit so brisanten Fragen befassen, ob sich etwa Alkoholismus oder sexuell auffälliges Verhalten schon an den Schulnoten voraussagen läßt. Jules Romain hatte in mehrfacher Hinsicht recht, als er jeden Gesunden als Kranken wähnte, der es noch nicht weiß. Noch schlimmer ist allerdings, dass die Versicherungen in Zukunft noch vor einem selber wissen werden, wie krank man ist.

Chris Haderer

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Im Radio: alle 14 Tage bei CROPfm (im Raum Steiermark auf 92,6 MHz/Radio Helsinki und als Livestream)

 

Links:

"Vorsorgeuntersuchung Neu: Der Arzt als Spitzel der Versicherungen"


Radiobeitrag für das "Augustin-Magazin" auf Radio Orange 94.0 (Wien), 26. 9. 2005.

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