Print_Whitley Strieber - The Day After Tomorrow

Scheißwetter

Mit der Romanadaption des neuen Emmerich-Streifens lieferte der Eso-Bestsellerautor eines der entbehrlichsten Bücher des heurigen Jahres: Klima, wie es keiner mag.    24.05.2004

Wenn sich Menschen über das Wetter unterhalten, dann hat das positive Auswirkungen auf die "Psychohygiene" - sagt die Psychologie. Das ist auch der Grund, warum wir uns ständig über die sanften Zirruswolken am Himmel austauschen und kollektiv auf Petrus böse sind, wenn es Mitte August einmal zwei Stunden regnet.

Diese Tatsache muß auch Whitley Strieber, dem Großfürsten des Eso-Thrillers, zu Ohren gekommen sein. Also setzte er sich hin und schrieb mit Art Bell (Moderator der auch im Internet übertragenen "Coast to Coast"-Radioshow) das Buch "The Coming Global Superstorm" (dt. "Sturmwarnung", bei Heyne).

Regisseur Roland Emmerich, nach dem "Godzilla"-Disaster auf der Suche nach einem Stoff, bei dem man nicht viel falsch machen kann, entdeckte die (weitgehend fiktive) Story um eine globale Klimaveränderung und fühlte sich dadurch zum Ende Mai anlaufenden Katastrophenstreifen "The Day After Tomorrow" inspiriert. Und Strieber, ohnehin schon mit dem Thema vertraut, setzte sich wieder hin und verfaßte diesmal die Romanadaption des Filmdrehbuches. Das ist an sich eine nicht uninteressante Konstellation; nur kam dabei etwas heraus, das man nur als literarischen Schnürlregen bezeichnen kann.

Striebers Romanadaption ist ein glattes, oberflächliches Merchandising-Produkt, das bestenfalls im Fahrwasser des Films eine minimale Existenzberechtigung besitzt. Handwerklich ist das Buch ungefähr so solide wie ein beliebiger Abenteuerroman aus irgendeiner Serienküche. Strieber läßt darin den globalen Supersturm über die Welt - also Amerika - hereinbrechen. Gleich auf den ersten Seiten entdeckt Jack Hall bei Probebohrungen in der Antarktis, daß offenbar ein weltweiter Klimaumschwung bevorsteht. Er erleidet das Schicksal aller einschlägigen Belletristikhelden: Keine Sau glaubt ihm. Und geht es schon Schlag auf Schlag. Stürme verwüsten den Planeten, Amerika versinkt unter meterdicken Schneemassen und sogenannte "Mega-Zellen", in denen die Temperatur durch angesaugte Luftmassen aus den oberen Atmosphäreschichten auf minus 100 Grad fällt, verwüsten das Land.

In der Tradition der alten "Airport"-Filme werden der Leserschaft mehrere Menschen vorgestellt, deren Schicksal man dann 290 Seiten lang nachlesen darf - im Endeffekt eine plakative Aneinanderreihung von Katastrophen ohne besonderen Tiefgang (und ohne George "Airport" Kennedy als Aufputz). Die Charakterisierung der Personen beschränkt sich auf ein paar Oberflächlichkeiten, und das liest sich so, als hätte Strieber mit "The Day After Tomorrow" bloß die Comic-Version von "The Coming Global Superstorm" abliefern wollen.

Kritik an der Zerstörung der Umwelt durch den Menschen wird nicht geübt. Der Klimawechsel, der die nördliche Erdhalbkugel in eine Eiswüste verwandelt, ist ein natürlicher Vorgang, der alle paar tausend Jahre sowieso stattfindet - egal ob mit oder ohne uns. Wenn am Ende dann endlich der amerikanische Präsident im Schneesturm erfroren ist und die Helden des Buches den Beginn der neuen Eiszeit überstanden haben, bleibt Leere im Kopf zurück. War da überhaupt eine Handlung, außer daß ein paar Leute ins Trockene und Warme kommen wollten? Ein paar apokalyptische Szenarien bleiben hängen, aber das ist auch schon alles. Für meteorologische Diskussionen wird Striebers Roman nicht sorgen - auch wenn es psychohygienisch noch so gesund ist, übers Wetter zu reden.

 

Chris Haderer

Whitley Strieber - The Day After Tomorrow

Ø


Blanvalet (München 2004)

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