Kino_Pans Labyrinth

Ofelia im Wunderland

Vom neuen Streifen des mexikanischen "Hellboy"-Regisseurs Guillermo del Toro könnte sich nicht nur Tim Burton ein Stück abschneiden. Selten verzauberte ein Märchen mehr.    23.02.2007

In der griechischen Mythologie steht der Gott Pan für die Ausgeglichenheit der Natur - und damit gleichzeitig für das Böse und das Gute. Auf diesem Fundament errichtet Guillermo del Toro eine Parabel über große Monster und kleine Helden, in der jedoch die furchterregendsten Ungeheuer, die sich ein Mädchen vorstellen kann, nicht mit dem mithalten können, was ihm in der Realität begegnet. Das Ergebnis ist nicht nur zum Fürchten schön, sondern kostete trotz vieler magischer Momente nur den Bruchteil eines handelsüblichen Fantasy-Streifens.

Sparefroh del Toro sorgte bereits bei den Finanziers von "Hellboy" für vor Rührung feuchte Augen. Sein neuestes Werk hat überhaupt nur noch lächerliche fünf Millionen Dollar gekostet - soviel legt man in Deutschland auch schnell für eine starbesetzte Beziehungskomödie hin. Das läßt die Leistungen des Mexikaners gleich nochmals in einem anderen Licht erstrahlen. "Pans Labyrinth" ist nämlich genau das Gegenteil einer starbesetzten Beziehungskomödie - und damit schon fast zwangsläufig ein guter Film.

Zur Handlung: Der Streifen spielt 1944 in Spanien, zur Zeit der Etablierung des unseligen Franco-Regimes. Einer seiner skrupellosesten Wegbereiter ist Capitán Vidal, der einen erbitterten Kampf gegen die republikanischen Rebellen führt. In dieses Klima voller Gewalt, Wut und Angst kommt Carmen, die neue Frau des Capitán, mit ihrer kleinen Tochter Ofelia. Die Umgebung und vor allem der sadistische Stiefvater sind ein Alptraum für das Kind, doch wie Alice im Wunderland gelingt dem Mädchen die Flucht in eine andere Welt, die voller phantastischer Wesen und Herausforderungen steckt.

 

Der Film beginnt mit der Nahaufnahme vom Gesicht eines Mädchens und läßt bereits in dieser Szene alle formalen Qualitäten erkennen, die bis zum Abspann überzeugen. Während ihr porzellanpuppengleiches Antlitz in kühles, düsteres Vollmond-Ambiente getunkt ist, wirkt das Blut unter ihrer Nase wie eine fremdartige, zähflüssige Substanz. Langsam, aber stetig windet sich der Zuseherblick rund um ihren Körper und offenbart die düstere Umgebung Stück für Stück. Wenn Ofelia schließlich dem genetisch arg verkorkst scheinenden "Pale Man" gegenübertritt, wird auch die andere Seite der Farbskala bedient, und wir befinden uns in einem barocken Farbenmeer, wie man es von den Bildern Goyas kennt. Der Regisseur zitiert übrigens nicht nur visuell den spanischen Maler - der von Goya porträtierte Saturn und del Toros Pale Man teilen sich auch ein barbarisches Hobby: das Abbeißen von Kinderköpfen.

Die grausige Demonstration dieser Neigung ist gleichzeitig eine von vielen bemerkenswerten Leistungen der Special-Effects-Mannschaft, deren Ideenreichtum und Liebe fürs Detail jede weitere Budget-Million wettmacht. Unterstrichen wird ihre Leistung von der Gestaltung des phantastisch aussehenden Pan. Während bei anderen Filmen mittlerweile jede banale Autofahrt ein Grund ist, ganze Computer-Heerscharen mit der Erzeugung einer virtuellen Realität zu beschäftigen, dienen hier die Effekte der Handlung, und man ist der digitalen Hörigkeit nicht verfallen. Stattdessen wird sogar in klassischer Jim-Henson-Manier in die Puppentrickkiste gegriffen.

 

Doch genug der verdienten Lobhudelei, kommen wir zur Kritik. Allerdings nicht der unsrigen, sondern dem Vorwurf der üblichen Dummschwätzer, die Charaktere wären eindimensional geraten. Die Herrschaften hatten wohl eine nicht allzu belesene Kindheit und sollten sich schleunigst mit den dramaturgischen Gepflogenheiten des Märchens vertraut machen, anstatt jeden x-beliebigen Arthaus-Dreck in den Himmel zu loben. Auch der Geschichte kann man nicht viel vorwerfen; sie ist spannend und unvorhersehbar vom Anfang bis zum Ende. Die Rahmenhandlung rund um das Franco-Regime ist ebenfalls gut gewählt - so wird der kindlichen Unschuld der Horror des Faschismus entgegengesetzt. Die Akteure handeln ebenfalls glaubwürdig. Nur das Verhalten der Widerstandskämpfer könnte man bekritteln, machen die Herrschaften doch zwei Fehler, die sehr unangenehme Konsequenzen für einige Leute nach sich ziehen - und die wir Ihnen natürlich hier nicht verraten. Leider sind diese Mißgeschicke aber von derart ausgesuchter Blödheit, daß man sie einer unterlegenen Truppe, die bereits monatelang im Kampf gegen die Regierung überlebt hat, nicht so recht zumuten mag. Das hätte man auch anders schreiben können; so aber unterstellt die Handlungsweise im Film den Widerständlern leider einen IQ, der nur knapp oberhalb der Weisheit des Schabrackentapirs liegen kann.

Es gibt trotz alledem keine Entschuldigung dafür, diesen Film zu verpassen - nicht einmal "Blade II". Vielmehr müßte man zum Kauf einer Kinokarte verpflichtet werden. Obwohl das Jahr noch jung ist, kann man nämlich davon ausgehen, daß "Pans Labyrinth" einer der besten Filme von 2007 bleiben wird. Wo sonst bekommt man eine derart phantastisch-düstere Parabel aus den Elementen Fantasy, Kriegsfilm, Horror und Drama serviert, geschaffen von einer Crew und Schauspielern, die über sich hinauswachsen? Anders als beim anfangs erwähnten Budget ist das nämlich wirklich ein untrüglicher Faktor, an dem man großes Kino erkennen kann.

Roland Aßmann

Pans Labyrinth

ØØØØØ

(El Laberinto del Fauno)


Spanien/Mexiko/USA 2006

112 min.

dt. Fassung oder OmU

Regie: Guillermo del Toro

Darsteller: Ivana Baquero, Sergi Lopez, Maribel Verdú u. a.

Links:

Kommentare_

Kino
Pans Labyrinth

Ofelia im Wunderland

Vom neuen Streifen des mexikanischen "Hellboy"-Regisseurs Guillermo del Toro könnte sich nicht nur Tim Burton ein Stück abschneiden. Selten verzauberte ein Märchen mehr.