Kolumnen_Ausweiskontrolle: Die große Entspannung

Er kommt!

George Doubleyou Bush ist im Anflug, um seinen Freund und Believer Doubleyou Schüssel zu besuchen. Und Wien wird zur belagerten Stadt.    08.06.2006

Jeder hat Großes geleistet und darf zu Recht stolz auf sich sein. Am meisten ins Zeug legen mußten sich das Fußvolk und die Techniker, weil es viele Kilometer Kabel zu verstecken und jede Menge Dinge am richtigen Platz bereit- und sauberzuhalten gab. Beeindruckendes leisteten auch die Catering-Köche mit ihren Mittagsbüffets, die an die überquellenden Frühstücksanlagen mancher Superhotels in Las Vegas erinnerten. Sogar an eine Schokoladenfontäne hatten sie gedacht. Vorbildlich auch die Leistung der Exekutive, sogar in internationalen Maßstäben gerechnet, die seit Jänner jeden Terroranschlag auf die Hofburg und den Prater konsequent verhindert hat. Applaus! Auch für die Menschen an den Tastaturen und Kopierern darf geklatscht werden, die tippten und sortierten, als ginge es ums nackte Leben.

Respekt muß man weiters den vielen Journalisten zollen, die mit stoischer Geduld an der Schokoladefontäne ausharrten, bis fabelhafte Politiker so weit waren, sie an ihren Lippen kleben zu lassen. Man muß sie einfach neidlos im Raum stehen lassen, die politischen Lichtfiguren so vieler Länder und auch unsere eigenen, die jeden der österreichischen EU-Gipfel so mühelos und zügig erklommen wie Reinhold Messner einst den Himalaya ohne Sauerstoffgerät.

Bravo! - Aber der Yeti kommt noch. Da es nicht um irgendeinen Yeti von der Straße handelt, sondern um einen reichen und mächtigen, kommt er sogar mit dem eigenen Flugzeug, das von seinen Unteryetis gern "Airforce One" genannt wird. Damit gelangt nach den vielen mittelgroßen EU-Treffen der vergangenen Monate und dem medial überdimensionierten Lateinamerika-Gipfel nun der letzte und größte Eisberg in Sicht: Am 21. Juni wird US-Präsident Doubleyou Bush seinen Freund und Believer, den EU-Präsidenten Doubleyou Schüssel, besuchen. Unter anderem ist es ein Abschiedsbesuch, denn beide werden ihre Ämter nicht mehr allzu lange bekleiden. Die Musik zum Abspann ihrer Karrieren spielen sie im Duett auf dem USA-EU-Gipfel, auf den sich schon ganz Wien wie narrisch freut. Wie lange ist es denn schließlich her, daß ein Staatsmann vom Kaliber des amtierenden US-Präsidenten der blauen Stadt an der trüben Donau die Ehre gab? Ein Ereignis kündigt sich an, das sogar die kosmischen Energien auf sich bündelt, und die Menschen in vorauseilende Neugierde versetzt: Wann wird er kommen? Wo wird er kommen? Und - wozu eigentlich?

 

Die Fernsehanstalten bitten jedes Jahr zu einer so genannten Werbeparty, zu der alle potentiellen Geldquellen eingeladen werden. Dort läßt der jeweilige Sender dann seinen Programm- und Quotenmuskel zucken, bis keine Werbesekunde ungebucht geblieben ist. So ähnlich stellen sich die verschiedenen EU-Gipfel der verwichenen Monate in der Wiener Hofburg dar: Ein offensichtlich immer gut gelauntes und entspanntes Minister-Team präsentierte vor laufenden Kameras Absichtserklärungen, Übereinkünfte, Pläne und Konzepte. Der medial zum Ereignis aufgeblähte Schlagschatten der ansonsten eigentlich recht sensationslos gebliebenen Gipfel fiel zwangsläufig dorthin, wo eigentlich Transparenz herrschen sollte. Der politische Teil der "Events" fand hinter verschlossenen Türen statt, während in der Öffentlichkeit nur ein mediales Echo wahrgenommen wurde. Ordentlich protzen wollte die Republik, und sonst gar nichts. Langfristig nennt man das auch Umwegrentabilität, weil Wien ständig in ausländischen Medien präsent ist und die Touristen zwischen Simmering und Penzing deshalb schon keinen Platz mehr zwischen den Hundstrümmerln haben. Die Wahrheit aber ist, daß die Wiener Gipfel zwar ein Höhepunkt der schwarzblauen Ratspräsidentschaft sind, die Alpen aber immer noch die freie Sicht aufs Mittelmeer versperren.

Eine Werbeparty für die guten Beziehungen zwischen den USA, der EU und im speziellen Doubleyou Schüssel soll der USA-EU-Gipfel werden. Die menschenrechtlichen Verfehlungen, die den Vereinigten Staaten im Jahresbericht 2006 von Amnesty International vorgeworfen werden, waren bislang noch nicht Bestandteil einer ernsthaften Diskussion. Auch Ratspräsident Schüssel wird seinen Standpunkt vom Jänner, er glaube Präsident Bush, daß die USA die Menschenrechte respektieren, im Detail noch einmal überdenken müssen. Immerhin sind mittlerweile sechs Länder, darunter England, Deutschland und Italien, der Kollaboration bei der Entführung von Menschen durch ausländische Geheimdienste verdächtigt.

Ein italienischer Richter wollte sogar Haftbefehle gegen mehrere CIA-Agenten ausstellen lassen; sein Antrag wurde jedoch im Instanzenweg gestoppt. Mitwisserschaft wirft Amnesty International jenen Staaten vor, die angesichts der Vorwürfe so "brüllend schweigen", wie es Heinz Patzelt formuliert. In Wahrheit wird ein Besuchstag nicht annähernd ausreichen, um die vielen offenen Fragen und Probleme zu erörtern, die zwischen Nordamerika und dem Rest der Welt stehen. Der heilige Kampf gegen den Terror, der bereits mehr Opfer gefordert hat als alle Terroranschläge zusammengerechnet, ist ein williger Hintergrund für eine kolonialistische Sicherheitspolitik: Alle sollen in eine Richtung segeln, mit den USA als Flaggschiff voran.

 

Die Meuterei ist allerdings vorprogrammiert - und langsam wird das Murren über die eigenwilligen Methoden der USA lauter. Die Weitergabe von Passagierdaten, die amerikanische Behörden von Fluglinien bei US-Flügen fordern, ist beispielsweise als illegal zu werten. Die EU kann eine solche Erlaubnis gar nicht erteilen beziehungsweise keine Richtlinie ausgeben, weil die Daten von den Fluglinien unter anderem zu Marketing-Zwecken erhoben werden und sich außerhalb des Zugriffs von Behörden befinden. Die Forderung auf Datenherausgabe selbst kollidiert wiederum mit verschiedenen Datenschutzgesetzen, sodaß die US-Behörden permanent gegen europäisches Recht verstoßen (und sich damit genauso strafbar machen). Weil vom Gesetz nicht gedeckt, hat die Flugdatenweitergabe auch einen ausgesprochen mafiösen Aspekt: Die US-Behörden erpressen die Datenherausgabe mit potentiellem Landeverbot für aufmüpfige Airlines. Bislang haben weder Ratspräsident Schüssel noch die EU gegen die andauernde Bürgerrechtsverletzung aufgeschrien - stattdessen ist der illegale Datenverkehr zur Alltagspraxis geworden (wobei es keinerlei Informationen über die Fahndungseffektivität der weitergegebenen Daten gibt). Die Flugdatenweitergabe ist in mehrfacher Hinsicht eine Blaupause für eine immer arrogantere US-Außenpolitik, die kaum mehr Grenzen bei der Wahl ihrer Mittel kennt.

 

Medial kann für den 21. Juni schon jetzt Kaiserwetter angesagt werden. Plakate der Linkswende und anderer Gruppierungen zeugen bereits von der einschlägigen Beliebtheit des US-Präsidenten. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bereitet gerade einen Fragenkatalog vor, der George Bush bei seinem Wien-Aufenthalt präsentiert werden soll. "Wir werden die Fragen etwa eine Woche vor dem Besuch des US-Präsidenten öffentlich machen und erhoffen uns diesmal Antworten", heißt es. Schließlich läßt nicht das kleine Österreich fragen, sondern - wenn Herr Schüssel die Fragen weitergibt - die EU. Die Kamera-Teams werden sich traditionsgemäß um die beste Aussicht prügeln (mit den Photographen und untereinander), der ORF wird traditionell gewinnen, und die Security wird ernsthaft Verletzte verhindern. Teile der Wiener Innenstadt werden für Wiener Innenstädter zeitweise unbegehbar sein, weil George Bush die Straße für sich alleine haben will (das ist nichts Persönliches, er macht überall, wo er hinkommt, solche Schwierigkeiten). Wie und wohin uns sein Besuch politisch weiterbringen wird, steht bestenfalls noch im Kaffeesud. Man kann annehmen, daß George Bush nicht so weit reist, um sich hier von Wolfgang Schüssel zur Sau machen zu lassen. Um die touristischen Früchte des EU-USA-Gipfels ernten zu können, darf der US-Präsident in Wien zwar über den Haufen geschossen, aber bloß nicht noch um ein paar Zentimeter politisch kürzer gemacht werden. Wollen wir uns wirklich am Ende der so erfolgreichen österreichischen Ratspräsidentschaft noch Schwierigkeiten machen? Meine Damen! Meine Herren!

Darum wird der Abend des 21. Juni völkerverbindend und wie folgt verlaufen: Doubleyou Bush und Doubleyou Schüssel werden sehr entspannt vor die Kamera treten; genauso wie Heinz Fischer, der sowieso immer tiefenentspannt wirkt, und die anderen geladenen Minister. Der Kanzler wird betonen, daß die Gespräche in sehr entspannter Atmosphäre stattgefunden haben. Und, um niemanden auf die Folter zu spannen, wird er hinzufügen, daß auch das Verhältnis zwischen der EU und den USA ein sehr entspanntes ist - und in nächster Zeit noch entspannter wird. Denn eines, so schallt es dann vielleicht aus den Lautsprechern, hat der Gipfel auf jeden Fall gebracht: Gespräche. Und über viele Dinge, wie beispielsweise über die Flugdatenweitergabe, wird man sich ausführlich unterhalten müssen. Und das wird man tun, natürlich; denn beim Reden kommen die Leit zsamm, gerade in Wien, meine Damen und Herren!

So wird es vielleicht klingen, am Ende eines langen Tages, an dem jeder wieder Großartiges geleistet hat. Aus heutiger Sicht ist der EU-USA-Gipfel schon jetzt ein voller Erfolg gewesen, denn egal, was passieren wird - "die Krot", wie der gelernte Wiener sagt, "frißt sowieso ein anderer." Finnland heißt der Tierdompteur, dessen Ratspräsidentschaft am 1. Juli das österreichische Kommando ablösen wird; und für die kommenden Gipfel werden sich die EU-Vertreter wohl etwas wärmer anziehen müssen als im schlußendlich doch sonnigen Wien. Keine Fragen sind offen geblieben, nur Peter Pilz rotiert einsam in seinem Büro herum. Jedem gebührt Dank, vor allem aber denen, die ab dem 22. Juni damit beschäftigt sind, wieder den österreichischen Normalzustand herzustellen.

Chris Haderer

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