Kolumnen_Ausweiskontrolle

Angst vorm schwarzen Mann

Alles wird noch schlimmer. Der neue Innenminister versucht mit dem großen Besen die Grundrechte aus dem Land zu fegen.    18.07.2007

Während der Präsentation des aktuellen Jahresberichts der Menschenrechtsorganisation Amnesty International wünschte sich Heinz Patzelt, Generalsekretär von ai Österreich, eine "menschenrechtliche Asbest-Entseuchung" verschiedener Büros im Innenministerium. Dort müsse etwas nicht mit rechten Dingen zugehen - wie könne es sonst geschehen, daß "Leute, die durchaus etwas mit dem Begriff Menschenrechte anfangen können, nicht einmal mehr wissen, wie man das Wort schreibt, sobald sie dort eingezogen sind?" Die Frage ist berechtigt, und Günther Platter ist ein aktuelles Beispiel dafür.

Am 19. Juni 2007 erschien in der Tageszeitung "Kurier" ein Interview mit dem österreichischen Innenminister, in dem er laut über die mögliche Einführung eines "Behörden-Trojaners" nachdachte (für Platter gilt übrigens die Unschuldsvermutung). "Wir müssen im tagtäglichen Wettlauf mit den Kriminellen ständig auf dem laufenden sein; daher ist es logisch, daß wir verschiedenste Varianten prüfen", gab der gestandene Schwarze, der sich schon im Kabarett Schüssel seine Brötchen als Verteidigungsminister verdiente, dem Tagblatt zu Protokoll. Eine konkrete Aussage, ob seine Spin-Doktoren schon an einem Behörden-Trojaner arbeiten, wollte der Präsident der Musikkapelle Zams jedoch nicht machen. Wie schon erwähnt: "Wer gern einmal ausprobieren möchte, wie die Reaktion auf eine neue Idee ist, ohne gleich einen konkreten Vorschlag zu machen, der denkt laut nach" ("Standard", 20. 6. 2007).

Wie Max Frisch bereits in "Die Physiker" festhielt, kann nicht zurückgenommen werden, was einmal gedacht wurde, und so führt der Innenminister seine Überlegungen halt weiter. Am 4. Juli sagt Platter im Rahmen der Präsentation des "Cybercrime-Report 2006" über den Behörden-Trojaner bereits: "Wir arbeiten hier eng mit Deutschland zusammen und werden nach einer eingehenden Prüfung sehen, wie wir weiter vorgehen werden." In der gleichen Pressekonferenz gibt Platter auch zu Protokoll, daß er sich "Waffengleichheit" wünsche. Die werde nicht nur durch das (zur Zeit auch für Herrn Platter illegale) Einbrechen in private Computersysteme hergestellt, sondern auch durch die umstrittene "Vorratsdatenspeicherung" der Europäischen Union: "Eine Waffengleichheit mit den Verbrechern zu haben, um die Bevölkerung schützen zu können, muß gegeben sein, und dafür wollen wir die Vorratsdatenspeicherung."

Diese Art der Argumentation wirft die Frage auf, ob Platter aktives Scientology-Mitglied ist oder nur seine NLP-Kenntnisse auffrischen will - zynisch und menschenrechtlich bedenklich ist sie auf jeden Fall. In Deutschland, mit dem Platter hinsichtlich seines Behörden-Trojaners eng zusammenarbeitet, ist der von Innenminister Wolfgang Schäuble propagierte "Bundes-Trojaner" vorerst gestoppt worden - nicht zuletzt wegen des anhaltenden Widerstandes von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Schäuble ist es nicht gelungen, den Gesetzesentwurf vor der Sommerpause im Bundestag einzubringen, was beiden Seiten eine kleine Atempause verschafft - sowohl Schäuble als auch den zahlreichen Gegnern des geplanten Lauschangriffs auf die eigene Festplatte.

Noch schlimmer als der plumpe Lauschversuch ist aber Platters subtiles Bemühen, die Vorratsdatenspeicherung zum alltäglichen Ermittlungswerkzeug umzudefinieren. Von England schon vor 9/11 unter dem Aspekt des Kindesmißbrauchs und der organisierten Kriminalität initiiert, wurde die "Data-retention"-Direktive schließlich in den Nachwehen der Anschläge von Madrid und Lissabon als Maßnahme im "Kampf gegen den Terror" durchgebracht. Wenn SPÖ und ÖVP jetzt unisono "unglücklich" über sie sind, dann entspricht das vielleicht ein bißchen dem aktuellen Stand der Wahrheit - allerdings hätten die österreichischen EU-Parlamentarier schlicht auch "Njet" sagen können, und die Sache wäre gegessen gewesen. Platter beweist in seiner Datengeilheit das Gegenteil von dem, was das offizielle Österreich behauptet, ist aber trotzdem nur Zweiter: Es waren die Entertainment-Konzerne, die prompt nach der Verabschiedung der Direktive die gesammelten Verbindungsdaten zum Henken von Raubkopierern verwenden wollten.

 

Es wäre nicht die EU, hätte man die Data-retention-Direktive nicht so schwammig formuliert, daß ihr auch Große Brüder ein kleines Extra abgewinnen könnten. Die Auswertung der Vorratsdatenspeicherung darf zwar nur im Rahmen der Ermittlung bei "schweren Straftaten" erfolgen; diese sind allerdings Definitionssache des jeweiligen Landes (so gilt beispielsweise Folter bei türkischen Behörden nicht als Straftat und Kinderschändung in Belgien als Abschluß eines guten Essens). Die Vereinigung der Internet-Anbieter Österreichs fordert deshalb: "Aus Sicht der ISPA entspricht die Gleichsetzung der 'schweren Straftat' mit dem Begriff der 'mit beträchtlicher Strafe bedrohten Handlung' des § 17bSPG dieser Anforderung in keiner Weise, da von dieser Definition sogar Fahrlässigkeitsdelikte (!) umfaßt sind. Aus Sicht der ISPA muß der Zugriff auf die Daten auf Verbrechen (§ 17 Abs. 1 StGB; vorsätzliche Handlungen, die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind), soweit sie Offizialdelikte sind, beschränkt sein. Darüber hinaus müssen Regelungen in anderen Gesetzen (etwa § 87b Abs 3 UrhG, § 53 Abs 3a SPG) so angepaßt werden, daß unmißverständlich klar ist, daß die Vorratsdaten nur im Strafverfahren auf schriftlichen richterlichen Beschluß und nicht etwa im Verwaltungsverfahren oder gar in zivilrechtlichen Angelegenheiten verwertet werden dürfen. Nur durch die Entscheidung eines Richters kann sichergestellt werden, daß der Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz sowie in Art 8 EMRK gerechtfertigt ist und der Betreiber nicht allfälligen Schadenersatzansprüchen der Betroffenen ausgesetzt ist."

Plattner schaut derweil weiter zum Nachbarn und seinem Idol Wolfgang Schäuble genau auf die Hände. Ein bisserl beleidigt, weil sein Bundes-Trojaner vom Verfassungsgerichtshof vorläufig gestoppt wurde, denkt auch der laut nach. "Man könnte beispielsweise einen Straftatbestand der Verschwörung einführen wie in Amerika", sagte Schäuble in einem Interview mit dem "Spiegel" vom 7. 7. 2007, in dem er einen neuen kriminellen Archetyp aus dem Hut zaubert, den so genannten "Gefährder." Man merkt, der Mann hat Blut geleckt: "Kann man solche Gefährder behandeln wie Kombattanten und internieren?" sinniert er - und könnte sich für nicht abschieb- oder wegsperrbare "GefährderInnen" auch "ein Kommunikationsverbot im Internet oder mit dem Handy" vorstellen. Hilft das alles nichts, werden einer potentiellen "GefährderIn" die Zunge herausgeschnitten und die Augen ausgestochen.

Daß die geforderten Methoden jenseits der Rechtsstaatlichkeit liegen, dürfte auch Schäuble klar sein, denn nicht umsonst denkt er via "Spiegel" darüber nach, "ob unser Rechtsstaat ausreicht, um den neuen Bedrohungen zu begegnen. Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist mit den klassischen Mitteln der Polizei jedenfalls nicht zu meistern." Würde etwa Osama Bin Laden durch die Münchener Innenstadt schlendern, dürfte ihn die deutsche Polizei nicht einmal über den Haufen schießen, weil die Gesetzgebung kein "targeted killing" ohne unmittelbare Bedrohung vorsieht. Wie lange wird es noch dauern, bis auch die Wiedereinführung der Todesstrafe in Deutschland diskutiert wird?

 

In seiner Argumentation entwirft Schäuble das Bild eines blassen und blutlosen Rechtsstaats, dessen Kraft nur aus der Wahl seiner Waffen resultiert. Die Folge ist eine an den jeweiligen Regierungs-Trend angepaßte Gesetzgebung, die immer mehr Druck ausübt. Abgegebene Grundrechte werden traditionell nicht zurückgegeben, das gebietet schon die Systemerhaltung; und offenbar will auch Günther Platter diesen Weg gehen. So schnell im internationalen Nachhall-Chor von 9/11 auch in Österreich etwa die Befugnisse der Polizei neu verteilt oder die erweiterte Videoüberwachung und die Vorratsdatenspeicherung beschlossen wurden, so lange warten wir schon auf die Einführung eines Folterparagraphen (der auch nach der Mißhandlung eines Schubhäftlings in einer von der Polizei angemieteten Lagerhalle durch vier WEGA-Beamte im Vorjahr immer noch ausständig ist). Menschenrechtliche Agenden und die Erfindung der Langsamkeit liegen offenbar nahe beisammen.

Etwas schneller geht es natürlich, wenn Gefahr in Verzug ist; dann haben Menschenrechte und Gesetzgebung kurzfristig Pause. In diese Richtung geht auch Günther Platters Plan, im Rahmen der Fußball-WM bekannte Hooligans präventiv in Haft nehmen zu lassen. Dermaßen konkrete Aktionen werden in einer ansonsten schwammigen Politik vom Volk natürlich gern gesehen, denn den versoffenen Abschaum, um den es dabei geht, kann ohnehin kein Mensch leiden. Allerdings - und das ist das Blöde an der Demokratie - gilt auch für versoffenen Abschaum die Unschuldsvermutung. Man kann aufgrund bisheriger Vorfälle Stadionverbote aussprechen; die Gesetzgebung erlaubt die Definition von Schutzzonen, in denen sich "GefährderInnen" nicht aufhalten dürfen - aber man kann Menschen nicht präventiv inhaftieren, ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, das Verbrechen überhaupt zu begehen, für das sie einsitzen. Was der Schwarze Mann aus dem Innenministerium hingegen vorhat, könnte auch einem Roman von Philip K. Dick entstammen:

 

Wir schnappen sie uns, noch bevor sie ein Gewaltverbrechen begehen können. Also ist die Tat an sich rein metaphysisch. Wir behaupten, sie sind schuldig. Sie wiederum behaupten ununterbrochen, sie seien unschuldig.

 

Die Story "Minority Report" von Philip K. Dick stammt aus dem Jahr 1956 - die mit der Vorratsdatenspeicherung erwirkte Umkehrung der Unschuldsvermutung, die bislang noch eine tragende Säule der Rechtssprechung darstellt, wird spätestens im Jahr 2009 gelebter Alltag sein (dann muß sie von der österreichischen Bundesregierung in nationales Recht umgesetzt sein, was die Änderung des Telekom- und des Datenschutzgesetzes nach sich zieht). Die Unschuldsvermutung resultiert aus Art. 6 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK): "Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig." Sie ist Bestandteil des Rechtsstaatprinzips, wodurch ihre Demontage auch einen Abbau der Rechtsstaatlichkeit an sich darstellt. Ein Rechtsstaat definiert sich übrigens als Staat, "in dem die öffentliche Gewalt an eine in ihren Grundzügen unabänderliche und im Ganzen auf Dauer angelegte objektive Wert- und Rechtsordnung gebunden ist." Im Polit-Neusprech bedeutet "auf Dauer" offenbar so viel wie "verdammt lang her" ...

In George Orwells ewigem Bestseller "1984" gibt es keine Wohnung ohne einen sogenannten "Telescreen". Das ist ein großer Bildschirm, der die Belangsendungen der Einheitspartei abspult und von dem die Augen des Großen Bruders in den Raum starren. Er ist aber auch ein Sender, der Bild und Ton an die Gedankenpolizei übermittelt und somit für eine rundum überwachte Gesellschaft sorgt. Im Roman ist es letzlich der Telescreen, der Winston und Julia, die beiden unglücklichen Hauptfiguren, heim ins kontrollierte Reich holt. "Ihr seid die Toten" ist das letzte, was sie hören, bevor sie vom Großen Bruder überrollt, gefoltert, vergewaltigt und dann als gebrochene Geister einer alptraumhaften Gesellschaft eingegliedert werden.

 

Der Teleschirm war Sende- und Empfangsgerät zugleich. Jedes von Winston verursachte Geräusch, das über ein gedämpftes Flüstern hinausging, würde registriert werden; außerdem konnte er, solange er in dem von der Metallplatte kontrollierten Sichtfeld blieb, ebensogut gesehen wie gehört werden. Man konnte natürlich nie wissen, ob man im Augenblick gerade beobachtet wurde oder nicht. Wie oft oder nach welchem System sich die Gedankenpolizei in jede Privatleitung einschaltete, darüber ließ sich bloß spekulieren. Es war sogar denkbar, daß sie ständig alle beobachtete.

Aus: "1984" von George Orwell, verfaßt im Jahr 1948 und ein Jahr später erstmals veröffentlicht.

 

Wien, im Juli 2007.

Chris Haderer

CROPfm Big Brother News: Frontberichte aus dem Land des Großen Bruders


Im Radio: alle 14 Tage bei CROPfm (im Raum Steiermark auf 92,6 MHz/Radio Helsinki und als Livestream) 

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Kommentare_

Aphorismus - 24.07.2007 : 14.11
Danke Mr. Haderer, war wieder mal sehr informativ. Lese ihre Kolumne im evolver immer mit großem Interesse.

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