Kolumnen_Ausweiskontrolle: Unter die Haut...

Unter die Haut...

Der jüngste Trend der IT-Branche: Funkchips sollen die drahtlose Überwachung von Konsumgütern erlauben - und von Menschen. Natürlich nur zu guten Zwecken.    18.06.2004

Für Industrie und Behörden sind die trendigen Winzlinge aus dem Silicon Valley fast eine Offenbarung: Funkchips können, was sich Transportlogistiker, Marketing-Abteilungen und sonstige Metternich-Epigonen offenbar schon immer gewünscht haben, nämlich jedes markierte Objekt identifizieren und orten. RFID-Chips (für "Radio Frequency Identification") gehören zu den kleinsten Elektronikbauteilen, die zur Zeit auf diesem Planeten in Serie hergestellt werden, und sie sind so anspruchslos in der Erhaltung, daß sie nicht einmal eine Stromquelle brauchen. Ihr Name ist zugleich ihr Motto. Anders als die in Computern verwendeten Mikroprozessoren können RFID-Chips keine Daten verarbeiten, sondern nur einen eingebrannten Identifikationscode per Funk abgeben. Aktiviert werden die Chips ebenfalls per Funk von einem Lesegerät. Der erhaltene ID-Code stellt dann die elektronische Verknüpfung zu einer Datenbank her, in der genaue Angaben über das Objekt gespeichert sind, auf dem der Funkchip angebracht war. Und da RFID-Chips sehr klein sein können, ist der Einsatzbereich praktisch unbeschränkt: Etiketten, Kleidungsteile, Ausweise, Geldscheine - alles ist möglich, selbst die Transplantation unter die Haut.

Mit dem "Verichip" stellte das US-Unternehmen Applied Digital Solutions einen solchen Chip für "drunter" vor. Er läßt sich mit einem kleinen chirurgischen Eingriff unter der Haut positionieren und soll jederzeit Daten über seinen Wirt liefern können. Mexiko, Argentinien, Brasilien, Chile, Paraguay und Spanien - alles Länder, die einen Stammplatz im jährlichen Menschenrechts-Report von Amnesty International haben - gehören bereits zur Klientel des US-Unternehmens, das im Kondensstreifen der 9/11-Anschläge Richtung Börsenspitze segelt. Der Verichip ist mit Antenne 12 Millimeter lang; der eigentliche Chip-Körper hat einen Durchmesser von gerade 2,1 mm, ist also etwa so groß wie ein Reiskorn. Sollten Sie ein VIP sein und des öfteren im Baja Beach Club in Barcelona weilen, können Sie einen unter die Haut transplantierten Verichip übrigens als Zahlungsmittel verwenden. Wo Sie sich den Chip einsetzen lassen, bleibt Ihnen selbst überlassen (am Besten dort, wo niemals Sonne scheint).

Unterboten wird der Reiskorn-Chip übrigens nur von "Meu", einem RFID-Winzling aus dem Hause Toshiba, der für den Einbau in Geldscheine entwickelt wurde. Der Meu ist nur 0,4 Quadratmillimeter groß und 60 Mikron dick. Damit ausgestattete Euro-Scheine wären jederzeit identifizierbar. Bankräuber und Schwarzgeldschieber hätten es dann einigermaßen schwer, weil der Weg des Geldes nachvollziehbar ist - vor allem, wenn die Möglichkeit zur Datenverknüpfung besteht. So könnte beispielsweise bei der Behebung am Bankomaten der ID-Code jedes ausgezahlten Geldscheins einer Person zugeordnet werden. Dadurch ist nachvollziehbar, durch welche Hände eine Banknote gegangen ist; ein Wunschtraum für jede Steuerbehörde, aber ein Alptraum für alle Leute, die mit dem altmodischen Begriff "Privatsphäre" noch etwas anfangen können.

Was die Transportlogistik angeht, sind RFID-Chips ein wahrgewordener Traum: Jedes Stück, egal ob es sich um einen Pullover, einen Autoreifen oder einen Sack Kartoffeln handelt, ist jederzeit exakt erfaßbar. Das hat auch Auswirkungen an der Supermarktkasse. Nach dem Willen der RFID-Lobby soll über kurz oder lang der Barcode von der Verpackung verschwinden und einem Funkchip Platz machen. An der Kasse erfaßt ein Funk-Scanner die Kennsignale aller Produkte im Einkaufswagen und hat praktisch sofort die Rechnung fertig. Ladendiebe haben keine Chance, weil der Scanner auch versteckte Waren registriert. Die Verknüpfung der so erfaßten Einkäufe mit Personendaten (beispielsweise über eine Kundenkarte) ist technisch gesehen nur ein kleiner Schritt - aber ein recht großer für die Marketing-Abteilung, die über den Supermarkt hinaus auch noch den Lebenszyklus eines ganz bestimmten Produkts beobachten könnte. RFID-Chips können nämlich nicht abgeschaltet werden; sie bleiben aktiv, bis sie zerstört werden (beispielsweise durch mechanische Gewalt, einen elektronischen Puls oder sanftes Backen im Mikrowellenherd - was bei implantierten Chips allerdings schmerzhaft werden kann...).

Aber nicht nur der Handel, sondern auch Behörden, Unternehmen und Schulen haben RFID-Chips für sich entdeckt. So werden in den künftigen EU-Pässen neben digital codierten biometrischen Merkmalen auch Funkchips enthalten sein. Firmen versehen die Personalausweise von Mitarbeitern immer öfter mit den geschwätzigen Mikrochips, und an der HTBLVA Spengergasse (Wien 5) müssen Schüler nicht nur wie Häftlinge ihren Ausweis jederzeit sichtbar tragen - dank eingebauter RFID-Chips gehen sie auch als menschliche Bewegungsmelder durchs junge Leben. Die Einsatzmöglichkeiten von RFID-Chips sind praktisch unbegrenzt, weil es immer irgendwo etwas zu identifizieren gibt.

Datenschützern stehen schon beim Gedanken an die Möglichkeiten die Haare zu Berge, zumal das österreichische Datenschutzgesetz den Einsatz von RFID-Chips praktisch überhaupt nicht regelt. Im Gegensatz zum "informellen Selbstbestimmungsrecht" in Deutschland, das vom deutschen Bundesverfassungsgericht mit einem Urteil zum Volkszählungsgesetz noch untermauert wurde: "Die freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus", heißt es dort. Da in RFID-Chips gespeicherte Daten von jedem Besitzer eines Lesegeräts abgefragt werden können, ist ihr Einsatz durch das Urteil extrem limitiert. In Österreich fehlen derartige Verordnungen.

Dabei sind RFID-Chips der aktuellen Generation nur die Spitze des Eisbergs. Unter der Wasserlinie liegen die Wünsche der potentiellen User, zu denen natürlich auch Militärs und Geheimdienste gehören. So hat die US-Army bereits den Wunsch nach wiederbeschreibbaren Chips geäußert, die auch Daten aufnehmen können. RFID-Chips sind - wie jede Technologie, die nicht allein vom Nutzen, sondern von einer Lobby getrieben wird - vermutlich nicht zu verhindern. Der Handel will sie, die Industrie will sie, Behörden wollen sie. Alleine diese Dreifaltigkeit wird einem flächendeckenden Einsatz mehr oder weniger den Weg ebnen. Umso dringender ist die Forderung nach einer gesetzlichen Regelung, die den Datenmißbrauch zwar nicht verhindern wird, ihn jedoch verfolg- und ahndbar macht. Denn RFID-Chips sind geschwätzige kleine Kerle. Auch wenn sie sich "nur" in einer Chips-Packung verstecken - sie sind immer aktiv und erzählen jedem, der es wissen will und ihre Sprache versteht, was Sie gerade in der Einkaufstasche haben.

Und das alles, ohne daß Sie es merken. Würde Ihnen das gefallen?

 

Chris Haderer

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