Musik_Soft Cell - Cruelty Without Beauty

Alles beim Alten

Grausam, ohne jede Schönheit - genau so klingt das britische Synthpop-Duo nicht. Ganz im Gegenteil: Marc Almond und Dave Ball setzen sich für echte Gefühle und die wahre Liebe ein. Elektronisch, natürlich.    25.11.2002

Erlauben wir uns ein Gedankenexperiment: Was wäre passiert, hätte sich Marc Almond nach dem genialen Album "The Art of Falling Apart" KEINE Mammoth-Tremolo-Arm-Blitz-Gitarre gekauft? Die Vermutung liegt nahe, daß "This Last Night in Sodom" weniger rockig geklungen und direkt an die verschrobene New Romantic des Vorgängers angeknüpft hätte. Diese Chance des Chartbustens haben Soft Cell vertan. Macht nichts, wird jetzt nachgeholt ... Nach fast 20 Jahren setzt das perverse Duo mit "Cruelty Without Beauty" genau dort an, wo damals ein Bruch entstand. Almonds glasklare Stimme ist ausdrucksstärker denn je, blickt er doch auf eine fulminante Solokarriere als Chansonnier, umstrittener Brel-Intonator und Vaudeville-Ikone zurück. Textlich werden unter anderem die mediale Monokultur und die Oberflächlichkeit des New Age angeprangert, gefordert werden Rückbesinnung auf echte Werte (Liebe) und das Ausleben der eigenen Triebe. Zum fröhlichen Hedonismus gehören selbstredend die Reize unschuldiger, frühreifer Mädchen; gebrochene Herzen leuchten an allen Ecken und Enden. Die Welt hat sich seit 1984 nur unmerklich verändert. Stupider Kommerz wurde inzwischen institutionalisiert, plattes Nachäffen gilt als Hitparaden-Berufung. Soft Cell setzen all dem ein Plädoyer für mehr Gefühle und Sehnsüchte entgegen (Anspieltip: "Desperate"), ein emotionales Wechselbad für jung und alt. Kombiniert mit den sentimentalen Kinderherzenmelodien von Langzeitkumpel Ball wurde daraus eines der besten Alben des Jahres.

Ernst Meyer

Soft Cell - Cruelty without Beauty

ØØØØ


Cooking Vinyl/Indigo (GB 2002)

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