Stories_Ars Electronica 2009

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Von 3. bis 9. September findet in Linz das legendäre Digital-Festival unter dem Motto "Human Nature" statt. Das neue Ars Electronica Center steht dabei im Mittelpunkt. Christian Haderer kramt für den EVOLVER in seinem Erinnungerungs-Schatzkästlein.    19.08.2009

Es muß die zweite "Ars Electronica" gewesen sein, im Jahr 1980, als das Linzer Stadtbild noch von den Abgaswolken der VOEST geprägt wurde und es außer dem Pöstlingberg und dem Bruckner-Festival genaugenommen keinen Grund gab, in der oberösterreichischen Landeshauptstadt aus dem Zug zu steigen. Meine Fahrt dorthin kam mir vor wie eine Weltreise: Fast drei Stunden brauchte man damals mit der Eisenbahn, um sich einen Hauch von Industrie um die Nase wehen zu lassen (heute sind es knapp eineinhalb).

Als Urlaubsort wäre Linz also ganz unten auf der Wunschliste gestanden, hätten nicht 1979 der damalige Intendant des ORF-Landesstudios Oberösterreich, Hannes Leopoldseder, und Christine Schöpf die (an das Bruckner-Festival gekoppelte) "Ars Electronica" erfunden. Gedacht als Festival für Kunst, Kultur und Technologie, verwandelte die "Ars" die Stahlstadt einmal im Jahr in ein Gesamtkunstwerk. Selbst das VOEST-Gelände wurde zum Veranstaltungsort, beispielsweise durch komponierte Nachtfahrten mit der Transportbahn des Unternehmens. Damals war die "Ars Electronica" ein haptisches Abenteuer, das mit dem digitalen Multiversum, zu dem sie heute gehört, nicht viel zu tun hatte.

 

Da war Charlotte Moorman zu Gast (verstorben am 8. November 1991 in New York), die schwebend Chello spielte; oder der Performance-Künstler Flatz, der - von der Decke des Brucknerhauses baumelnd - mit einem Vorschlaghammer einen auf der Bühne stehenden Fernseher zertrümmerte. Was an Digitalem zu sehen war, wirkt aus heutiger Sicht wie ein Science-Fiction-Film aus den 50er Jahren, als es für die Spezialeffekt-Leute noch eine Herausforderung war, rotierende Farbflächen und Muster auf einen Bildschirm zu zaubern (was der damalige künstlerische Leiter Peter Weibel Anfang der 90er Jahre mit moderner AutoDesk-Software nachverkunstete).

Später dann, in den 80ern, kam selbst der japanische Elektronikkünstler Isao Tomita nach Linz - und in einer Glaspyramide über der Donau mit dem Diskettenwechseln kaum nach. Auch der erste Amiga-Computer, der einen österreichischen Asylantrag stellte, landete in Linz - und sorgte mit seinen graphischen Möglichkeiten, die Mitte der 80er Jahre weit über denen eines konventionellen DOS-PCs lagen, für Aufregung.

So gesehen war die "Ars Electronica" immer ein kleines Fest der Sensationen, bei dem die Special-Effects-Spezialisten von "Star Trek: Genesis" genauso ihren Platz hatten wie unbekannte Künstlergruppen - mit allem, was dazwischen liegt. Selbst der geniale Erfinder Nikola Tesla und Carl Djerassi, der Erfinder (auf Basis einer Idee des Innsbrucker Physiologen Ludwig Haberlandt) basierenden Antibabypille, waren schon einmal Themenschwerpunkte der "Ars". Somit war das Festival nie eine reine "Techno-Show", weil immer der Mensch sowie die kulturellen und gesellschaftlichen Auswirkungen neuer Technologien im Mittelpunkt standen.

 

Dann wurde ORF-Intendant Leopoldseder (siehe Bild) nach Wien abberufen - mitten hinein ins Herz des Staatsfunks, den Wolfgang Bauer wahrscheinlich als trockenen Klumpen Blut beschrieben hätte. Ohne ihn begann sich auch die "Ars Electronica", die von Anfang an auch touristisch ausgewertet wurde, zu verändern. Obwohl sich der ORF 2004 als Mitveranstalter des Festivals weitgehend zurückgezogen hat, spielte der Sender weiterhin eine wichtige Rolle für die Linzer - in Form von Kooperationen und vor allem durch Sendungen, durch die die "Ars Electronica" auch eine langfristige internationale Reichweite erlangte.

 

An die Festivals der 80er Jahre erinnere ich mich als exzessive Ereignisse, mit künstlerischen Pendants zum ach-so-legendären 68er-Jahr. Ein Abendessen mit Isao Tomita war da genauso normal wie eine Nacht auf dem ORF-Parkplatz, nach irgendeinem der vielen Feste, die in den Eighties gefeiert wurden. Journalisten hatten besondere Privilegien: sie bekamen praktisch alles an Eß- und Trinkware umsonst und wurden auch das Donauufer wieder hinaufgerollt, falls sie hinunterfielen.

Deshalb glaube ich, daß die "Ars Electronica" nicht mit ihren Machern gewachsen ist, sondern mit ihren Besuchern langsam älter wird. Während des Festivals trifft man zum Teil immer noch die gleichen Personen wie vor 20 Jahren (als wir beispielsweise nach der "Linzer Stahloper" am Rathausplatz die Skulpturen hochkletterten und dann kulturell interessante Gespräche mit der Linzer Polizei führten). Zum Teil war das Festival eine Art künstlerisches Kino, zum Teil eine Art Leistungsschau der Technologie und drittens eine visionäre Ballung von Künstlern und Wissenschaftlern, die Linz einmal jährlich ins Zentrum der elektronischen Kunst rückten.

Die 80er Jahre waren also so etwas wie die Rock´n´Roll-Ära der "Ars Electronica". Neben den big acts der Branche kamen auch kleine Künstlergruppen, die manchmal im Park um das Brucknerhaus (dem damaligen Hauptaustragungsort der "Ars Electronica", da das Center noch in weiter Ferne lag) campierten - und ebenfalls gelegentlich das Donauufer wieder hinaufgerollt werden mußten. Die Luft roch oft sehr aromatisch dort; vor allem, wenn die Veranstaltungen vorbei waren und die allabendliche Alkohol-Performance der "Ars"-Akteure begann. Auf seine Art war das "Ars Electronica"-Festival eine Alkoholvernichtungsmaschine der besonderen Art, die eine bestimmte Art Menschen einander näherbrachte (auf eine weniger physische Art als im Gasthaus am Eck).

 

Sieben Jahre lang logierte ich während der "Ars Electronica" Anfang September in einem Gasthof namens "Goldenes Dachl". Das Zimmer kostete 25 Schilling pro Nacht und bot den Komfort eines Bau-Containers. Da ich immer das gleiche Zimmer erhielt, sah ich es sieben Jahre lang verfallen, weil niemand diverse Schäden beseitigte. Dann reichte es mir, und ich suchte mir eine Freundin in Linz.

Das war etwa die Zeit, zu der die "Ars Electronica" langsam das Potential der digitalen Welten der Zukunft zu entdecken begann - und auch an Seriosität im Auftreten zu gewinnen versuchte: keine herumlungernden, betrunkenen Künstler mehr, sondern ein zunehmend geordneter Ablauf der Dinge. Gestaltete sich die "Ars Electronica" in ihren Gründerjahren als Volksfest mit jeder Menge Empfängen und offiziellen Anlässen, so existiert sie heute vergleichsweise zurückgezogen - wobei sie allerdings durch das neue Ars Electronica Center und Linz als heurige Kulturhauptstadt wieder Aufwind bekommen hat.

Das Linz des Jahres 1979 und das von 2009 sind verschiedene Welten - obwohl Barrington Nevitt bereits 1979 mehr oder weniger jene Fragen formulierte, mit denen sich das Festival in Zukunft auseinandersetzen sollte: "Welche materiellen, geistigen und sozialen Auswirkungen wird 'Ars Electronica', die elektronische Kunst, ab dem Jahr 2000 unter den verschiedenen Kulturen des Raumschiffs Erde haben? Durch welche Software-Methoden und Hardware-Technologien kann man in diesem elektronischen Zeitalter dem Menschen helfen? Die Gutenberg-Druckerpresse war der Vorläufer der ersten industriellen Hardware-Revolution, die ihre Fließbandlogik - über Marktmedien - überall hin ausbreitete." Jetzt, nachdem die Hardware-Revolution mehr oder weniger vorbei ist, breiten sich "digital arts" via Software und Internet überallhin aus; oft genug sprechen wir nicht mehr von Erledigungen, sondern von Prozessen. In Linz ist sogar die Altstadt modern geworden: Auf den Pöstlingberg soll eine Straßenbahn hinauffahren, und auch eine U-Bahnlinie vom Bahnhof zum Hauptplatz ist im Gespräch.

 

Mit den 90er Jahren erfolgte offenbar nicht nur eine Kostenoptimierung des Festivals, sondern auch das Digitalzeitalter hielt endgültig Einzug in die Welt der elektronischen Kunst - wobei es gelegentlich auch gelang, wissenschaftliche Erkenntnisse digital aufbereitet wiederzugeben und noch dazu das Publikum einzubeziehen. Beispiel für eine solcherart gelungene Aktion war das "Sperm Race" im Jahr 2000, bei dem Besucher eine Spermaprobe abgaben und am Abend dann ermittelt wurde, wessen Sperma am schnellsten ans Ziel gelangt war - anonym natürlich und unterstützt durch eine Auswahl der schlechtesten Pornofilme, die im Ausverkauf zu haben waren.

Im Vorjahr wiederum setzte sich die "Ars Electronica" mit dem Thema "Copyright im Internet" auseinander. "Es steckt eine Art Strategie dahinter, jeden Content im Web nur gegen Geld verfügbar zu machen", kommentiert Gerfried Stocker, seit 1996 künstlerischer Direktor des Ars Electronica Centers (und damit direkter Nachfolger von Peter Weibel, der digitalen Ausgabe von Marcel Reich-Ranicki). Der Grund, warum sich die "Ars Electronica" gerade 2008 mit Themen wie Copyright und Urheberrecht im Internet auseinandersetzte, war "kein singulärer", sagt Gerfried Stocker. "Es ist die Kulmination der Problematik. Es ist ganz einfach ein Problem, das immer weiter auseinanderläuft. Da ist auf der einen Seite die wie selbstverständliche Umgangspraxis der jungen Generation mit dem Internet - der eine verschärft kämpfende, aber in den letzten Zuckungen daliegenden Urheberrechtsidee gegenübersteht." 35.900 Besucher, 484 Künstler und immerhin 516 Journalisten machten "A New cultural economy - wenn Eigentum an seine Grenzen stößt", zum Erfolg.

 

Einen ähnlichen Erfolg erwartet sich Stocker auch von der heurigen "Ars Electronica", die unter dem Motto "Human Nature" vom 3. bis 8. September in Linz stattfinden wird. Zum Auftakt gibt es die "Sternennacht", bei der sich alles um Geschichte, Gegenwart und Zukunft von Astronomie und Weltraumforschung dreht. Den "Campus09" bestreitet das MIT aus Boston und präsentiert unter der Führung von Professor Hiroshi Ishii, dem Leiter des "Things that Think"-Programms, Ideen und Projekte zur Verknüpfung von digitalen Phänomenen und der Realität unserer Körper- und Sinneswahrnehmungen.

Mit Professor Ishiguro kommt der "Featured Artist ´09" aus Japan - mit im Gepäck sein Zwillings-Androide Geminoid. Zwei große Symposien stehen dann außerdem noch im Zeichen der "Human Nature" sowie der "Cloud Intelligence". Letzteres wird von den Bloggern David Sasaki (US) und Isaac Mao (CN) kuratiert. Auf dem Linzer Hauptplatz begegenen "Ars Electronica" und Ö1 der japanischen Games- und Manga-Kultur. Im Brucknerhaus erhalten die diesjährigen Gewinner des Prix Ars Electronica ihre Goldenen Nicas, ihre Arbeiten werden traditionell im OK bei der CyberArts-Schau gezeigt. Interessant ist beispielsweise auch das aktuelle Projekt "80+1", in dem Kinder eine virtuelle Reise nach dem fernen Vorbild von Jules Verne unternehmen. Viele Projekte lassen sich außerdem kaum von denen unterscheiden, die im Rahmen der Landesausstellung stattfinden - wie beispielsweise das IN-SITU-Projekt, bei dem (ganz innovativ) Rassismus thematisiert wird.

 

Die Generalsanierung des Brucknerhauses, dem Zentrum der "Ars Electronica", wurde rechtzeitig Anfang 2009 fertig. Das ursprünglich 1996 in Betrieb genommene Center wurde seit 2007 "upgedatet" und für etwa 30 Millionen Euro umgebaut. Es hat nun eine Gesamtfläche von 6500 Quadratmeter und beinhaltet neben Ausstellungshallen, Testräumen und Medienarchiv auch das Forschungslabor Futurelab. Gezeigt werden nicht nur Kunstprojekte, sondern auch wissenschaftliche Arbeiten."Der Andrang bei der Eröffnung war einfach unglaublich", sagt Gerfried Stocker. "Wir haben damit gerechnet, daß viele neugierig auf das Haus sein werden. Daß wir aber geradezu gestürmt werden, war nicht absehbar."

Heute sind Ars Electronica Center und das erwachsen gewordene Festival lebendige Beispiele dafür, wie moderne Kunst eine Stadt aufwerten kann - und wie sich Technologie ins Leben integriert.

Chris Haderer

"Ars Electronica"-Links


Hier finden Sie Links, die sich unmittelbar mit der "Ars Electronica" auseinandersetzen, sowie einen Link zu einer Sendung über das neue Ars Electronica Center. Das "Ars Electronica"-Festival 2009 steht unter dem Motto "Human Nature" und findet vom 3. bis 8. September in Linz statt.

Links:

Radiobericht über das "Ars Electronica"-Festival 2008

(im RealAudio-Format)


Idee, Gestaltung & Interview: Tina Strauss (www.sobothage.at)

Produktion: Chris Haderer

© Tina Strauss

Links:

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