Stories_Porträt: Barry Eisler

Killer stellen sich nicht vor

Darum übernimmt Martin Compart diese Aufgabe - und präsentiert an dieser Stelle den herrenlosen Samurai John Rain und dessen Schöpfer. Der sympathische US-Autor sieht zwar aus wie der Liebling aller Schwiegermütter, war aber beim CIA, trägt den schwarzen Gürtel und schreibt noch dazu höllisch gut. Worauf warten Sie noch?    16.02.2009

Harry glitt durch das Menschengewimmel der morgendlichen Rushhour wie eine Haifischflosse durchs Wasser.

 

Mit diesem Satz beginnt die beste Killer-Serie seit William Wingates Hardacre- und Max Allan Collins´ Quarry-Büchern.

Killer-Romane als Subgenre der Kriminalliteratur haben ihre eigene Faszination: Durch den ultimativen Bruch des Sozialvertrags ist der Profikiller der absolute gesellschaftliche Außenseiter (auch wenn er wie Bond staatlich legitimiert ist, denn der staatliche Bruch des Sozialvertrages beinhaltet ja auch gleichzeitig die Bankrotterklärung einer zivilisierten Gesellschaftsform).

Barry Eislers Reihe um John Rain könnte nach James Bond die erfolgreichste Killer-Serie werden: Die bisherigen sechs Romane sind in 20 Sprachen übersetzt worden, und 2009 kommt der erste Film Rain Fall (mit the one and only Gary Oldman in einer Hauptrolle als Tokioter CIA-Chef und Gegner von Rain; Regie führt Max Mannix) in die Kinos.

 

Es ist sicher eine Herausforderung, einen Auftragskiller für den Leser sympathisch zu machen. Aber es gibt Hilfsmittel. John Rain hat einen Moralkodex: keine Frauen, keine Kinder und keine Unbeteiligten. Killer wie er sprechen etwas in uns an, indem er unsere antisozialen Wünsche verkörpert. Jeder von uns hat doch in Gedanken schon jemanden umgebracht - etwa das Arschloch, das am Nebentisch lautstark in sein Handy quatscht. Ich habe viele weibliche Leser, so wie Lee Child. Frauen mögen Rain, vielleicht, weil er ein guter Zuhörer ist. Und mysteriös, kultiviert und - sehen wir den Tatsachen ins Gesicht - weil er ein böser Junge ist. Böse Jungs sind sexy. Ich liebe die Romane Trevanians. Seine Killer Nicolai Hell aus "Shibumi" oder Jonathan Hemlock sind teilweise sympathisch, weil sie anderen an Intellekt, Geschmack und Kultiviertheit überlegen sind. Ohne einen Kodex oder seine Philosophie wäre Rain nur ein Nihilist oder ein Soziopath - niemand, mit dem man mitfühlt. Die Herausforderung ist, einen Mann zu schildern, der böse Dinge anstellt, aber in einer Weise, daß der Leser ihn mag.

 

Vergleiche mit Lee Child, die man gelegentlich liest, hinken. Eisler, der inzwischen ein richtiges Panoptikum an Nebenfiguren eingerichtet hat, bedient sich durch diese "Stock Company" viel stärker bei melodramatischen Strukturen als Lee Child.

 

Harry hatte die Fähigkeiten eines Schlossers und das Herz eines Einbrechers.

 

Aber auch für Rain gilt dasselbe Gesetz wie für alle Noir-Helden: sie können die Welt nicht kontrollieren, bestenfalls entscheiden, wie sie in ihr leben. Halb Japaner, halb Amerikaner, ist John Rain eine wurzellose Figur; ein Vietnam-Veteran, den Amerikas Kriege zynisch gemacht haben und der keinen Parolen mehr glaubt. Eisler gelang mit ihm ein äußerst komplexer Charakter, der mit jedem Buch mehr an Tiefe gewinnt.

Gleich zu Beginn der Serie wird Rain emotional ins Geschehen verwickelt: Er verliebt sich in die Tochter eines seiner Opfer. Als er sie auch töten soll, wendet er sich gegen die Auftraggeber und beschützt die Frau. In Hard Rain bringt er einen CIA-Agenten um, der ihn verfolgt hat, und muß für das japanische FBI einen hohen Yakuza-Boß umlegen. Auch hier läßt der libertäre Eisler keine Gelegenheit aus, um das Wirtschaftssystem und die korrupten Politiker, die sich dessen so unverfroren bedienen, zu geißeln. Am Ende inszeniert Rain seinen eigenen Tod und flieht nach Brasilien, um ein neues Leben zu beginnen. Aber er hat die Rechnung ohne seine alten Arbeitgeber von den "Christians in Action"(CIA) gemacht. Sie finden ihn in Brasilien und schicken ihn in Rain Storm nach Macao und Hongkong, wo er einen Waffenhändler umlegen soll, der verschiedene Terror-Gruppen beliefert.

Killing Rain führt ihn im Auftrag des Mossad nach Manila. In The Last Assassin erfährt er, daß seine einstige Geliebte und ihr Kind noch leben - in New York. Aber sie werden auch von Rains Feinden observiert. Für viele gilt der Roman als Eislers bisher bester. Zum Zeitpunkt des Erscheinens sagte er auch öfters, daß er die Rain-Serie begrenzen wolle. Sie solle mit dem Tod des Protagonisten enden. Im bisher letzten Roman, Requiem for an Assassin, wird Rains Freund Dox entführt. Rain, inzwischen in Paris, soll für die Kidnapper drei Hits ausführen, um Doxs Leben zu retten. Dahinter steckt mal wieder der Ex-CIA-Agent Hilger, der Rain für terroristische Aktionen instrumentalisieren will. Die Handlung führt nach Bali, Vietnam, New York, Rotterdam und ins Silicon Valley - genügend Schauplätze für atemberaubende Beschreibungen und jede Menge Action.

 

Eisler recherchiert akribisch. Er besucht jeden Handlungsort, um ein Gefühl für dessen Essenz zu bekommen, quetscht Experten aus und nutzt exzessiv das Internet. Er ist oft witzig, immer genau und ein exzellenter Kenner der japanischen Kultur, die er ebenso respektvoll beschreibt, wie er auch ihre Absurditäten aufdeckt: "Japaner machen nicht halt, um sich eine Zigarette anzuzünden, denn sonst würden sie im Laufe ihres Erwachsenenlebens ja Wochen verlieren." Ihm gelingen großartige Schilderungen von Tokio, Bangkok, Rio oder Barcelona - letztere neben Tokio seine Lieblingsstadt.

Eine weitere Stärke ist seine sorgfältige und vieldimensionale Darstellung von Nebenfiguren (etwa Dox oder Rains Mossad-Geliebter Delilah). Als Ich-Erzähler entführt er den Leser in den Kopf von John Rain. Es ist faszinierend, wie es Eisler schafft, den Leser quasi live an allem teilnehmen zu lassen. Der Autor gleitet in die Szenen wie ein Regisseur mit subjektiver Kamera. Ob eine Fahrt mit der Tokioter U-Bahn oder eine Kampfszene - er langweilt nie mit seinen präzisen, oft lyrischen Beobachtungen. Keine Frage: Barry Eisler ist ein begnadeter Schriftsteller, einer der besten Autoren, die im Genre arbeiten, einer der besten in jedem Genre.

Eisler sieht übrigens fast auf eine Yuppie-Art gut aus, ist freundlich und liebenswürdig - ein echter Schwiegermüttertraum mit besten Manieren. Sein Äußeres läßt kaum vermuten, daß er knallharte Thriller schreibt und für die CIA gearbeitet hat. Als Marketing-Genie in eigener Sache weiß er vorzüglich mit Fans und Buchhändlern umzugehen (seine Tips verrät er im Internet). Lange Lese- und Signierreisen auf eigene Faust durch die USA schrecken ihn nicht.

 

Deine Bücher sind dein Geschäft, und du mußt alles dafür tun, daß sie sich verkaufen. Verlaß dich nicht auf deinen Verleger. Wenn dein Buch floppt, ist er noch im Geschäft - du aber vielleicht nicht mehr.

 

Der Autor studierte Jura, machte seinen Abschluß an der Cornell Law School und ging 1989 zur operativen Abteilung der CIA. Damals kam er auch erstmals nach Japan. Als begeisterter Kampfsportler hat er einen schwarzen Gurt in Judo. "Man hat mich in vielen Disziplinen ausgebildet: Handfeuerwaffen, Langfeuerwaffen, waffenloser Kampf, Bombenbauen, Gegenterrorismus usw. Das Insider-Wissen nützt mir natürlich. Ich kann zeigen, wie Geheimdienste wirklich funktionieren."

1993 beendete er seine Mitarbeit bei der CIA und zog nach Tokio, um Japan in sich aufzusaugen. Heute lebt er mit Frau und Teenager-Tochter an der Bucht von San Francisco. "Ich hatte das Glück, immer interessante Jobs zu haben: als Geheimagent, Anwalt in einer internationalen Kanzlei oder Verantwortlicher in einem Startup-Unternehmen im Silicon Valley. Jetzt bin ich hauptberuflich Schriftsteller. Ich habe seit der Jugend geschrieben und immer davon geträumt." Und warum politische Thriller? "Ich bin schon ewig ein Informations- und Politik-Junkie. Meine Romane kommen alle direkt oder indirekt aus den Schlagzeilen der Presse." Und er läßt kaum eine Gelegenheit aus, sein Mantra zu verkünden:

 

Schaut bloß kein Fernsehen. Das ist der größte Zeitdieb und die sinnloseste aller Beschäftigungen.

 

Er selbst nutzt sein TV-Set fast ausschließlich für DVDs, etwa für die "Sopranos":

 

Das Beste seit der Miniserie "Lonesome Dove". Schaut ja bloß TV, wenn ihr lernen wollt, wie man Fernsehskripts schreibt.

 

Das Handwerk des Schreibens interessiert ihn sehr. Er diskutiert darüber auf seiner Homepage, aber auch in seinem Blog, und ist freigiebig mit Anregungen und Tips für angehende Autoren.

Eisler ist Jazz-Fan, was sich auch in den Büchern niederschlägt. "Zu meinen Lieblingsmusikern gehören Sade, Seal, Southern All Stars - und kürzlich habe ich eine unglaubliche japanische Jazz-Pianistin entdeckt: Akiko Grace." Zu seinen Lieblingsautoren zählt er unter anderem Pat Conroy, James Ellroy, Dave Gutterson, John Le Carré, Trevanian und Stephen King. "Ich liebe nicht nur seine Bücher, sondern Stephen King als Menschen. Er ist erstaunlich klug, ehrlich und dabei lustig."

Politisch ist er nach amerikanischen Maßstäben weit links einzuordnen. Die Heuchelei der USA und der westlichen Welt (sowie ihrer asiatischen Verbündeten) wird nicht nur in den Romanen immer wieder angesprochen, er beklagt diese auch in seinem Blog:

 

If instead of American soldiers and Arab detainees, the photos and videos from Abu Ghraib were of American POWs and, say, Iranian guards, what would be the American reaction? Note the linguistic choices in the previous sentence, which would be automatic: Arabs are denied the dignity of being designated Prisoners of War. They´re not even prisoners. They´re merely "detainees" (I´m half-surprised we haven´t started calling them "guests"). The Americans holding them are "soldiers"; were the shoe on the other foot, the enemy captors would doubtless receive the less exalted term, "guards." Would there be any debate about whether the practices revealed in the photos were "outrages upon human dignity," as prohibited by the Geneva Conventions and US law? Would we describe the practices as "abuse?" Or would they obviously, and rightly, be called "torture?" If Americans were taken against their will and spirited away by Iranian government forces, would we call the practice "rendering," or would we recognize it as "kidnapping?" Would we call the places to which Americans were secreted and where they were held without acknowledgment to their families or even to the Red Cross "detention centers?" Or would we call such a system a gulag?

 

Fazit: Wer intelligente, gutgeschriebene Noir-Polit-Thriller liebt, kommt um Barry Eisler nicht herum. Er ist schon jetzt ein Klassiker - und bestätigt Tolstois Satz: "Kunst ist eine Lüge, die uns befähigt, die Wahrheit zu sehen."

Martin Compart

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