Stories_The Handmaid’s Tale

Etwas ist faul im Staate Gilead

Bruce Miller inszeniert Margaret Atwoods "The Handmaid´s Tale" als düstere Serie, die einen nachdenklich zurückläßt. Sie bringt uns nämlich zu Bewußtsein, daß Menschen- und Frauenrechte, Demokratie und Wahlrecht keine Selbstverständlichkeiten sind - und was passieren könnte, wenn uns diese Werte genommen werden.    19.06.2017

Der dystopische Roman "The Handmaid´s Tale" der kanadischen Autorin Margaret Atwood geht nun endlich - nach einer Verfilmung und einer Operninszenierung - in Serie. Bereits 1985 schrieb die 1939 geborene kanadische Autorin die Ich-Erzählung und ließ sich dabei von Reisen in Regionen jenseits des Eisernen Vorhangs inspirieren. Das Gefühl, bespitzelt zu werden, und die Vorsicht, mit der die Menschen dort aus Angst vor Spionen miteinander umgingen, waren unter anderem Vorlage für das Nordamerika des Romans, in dem das demokratische System zusammengebrochen ist und eine radikal-fundamentalistische Gruppierung regiert. Da verwundert es auch nicht, daß nach Trumps Wahlsieg in vielen Internet-Foren ähnliche Aussagen zu lesen waren: "Ich hätte nie gedacht, daß The Handmaid´s Tale einmal wahr werden könnte!"

 

Im Zentrum der Erzählung steht Offred - ein patronymischer Name, der die unterdrückte Rolle der Frau widerspiegelt -, die bei der Flucht vor der Regierung gefangengenommen und gewaltsam von ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter getrennt wird. Von da an fristet sie ein unglückliches und einsames Leben als Handmaid (deutsch: Magd) im Haus des Commanders, dem sie zugeteilt wurde. Dessen Frau, Serena Joy, ist alles andere als begeistert von Offreds Anwesenheit und sozialer Stellung. Neben dem täglichen Einkauf von Orangen, Thunfisch und dergleichen besteht Offreds Hauptaufgabe im paternalistischen Haushalt nämlich darin, sich vom Commander schwängern zu lassen.

Doch die Geschichte setzt schon einige Zeit früher an. In den USA der nahen Zukunft ist ein Großteil der Bevölkerung durch mehrere nukleare Katastrophen und die fortschreitende Umweltverschmutzung unfruchtbar. Die Lage spitzt sich zu, als eine radikale und christlich-fundamentalistische Oppositionsbewegung durch einen Staatsstreich an die Macht kommt, die Verfassung außer Kraft setzt und die Republik Gilead ausruft. Dies ist der Beginn einer totalitär-theokratischen Militärdiktatur, die strenge patriarchale Hierarchien einführt und die Rolle der Frau vor allem als Gebärmaschine neu definiert. Kontrolliert wird die Bevölkerung - insbesondere ihr weiblicher Anteil - von den allgegenwärtigen Eyes, der Geheimpolizei Gileads.

Die schrittweise Dezimierung der Frauenrechte bekommt Offred (deren richtigen Namen wir übrigens nur in der Serie erfahren) in den Anfangszeiten Gileads am eigenen Leib zu spüren. Zuerst werden ihre Konten von der Regierung gesperrt, später alle weiblichen Mitarbeiter in ihrer Firma gekündigt. Über Offreds Geld und Besitz darf fortan nur noch ihr Mann verfügen. Proteste gegen das System werden mit wahllosen Schüssen auf Demonstranten beantwortet. Lesen und Schreiben ist fortan für Frauen verboten, Magazine und Bücher mit nichtchristlichem Inhalt werden verbrannt. Offred und ihrem Mann bleibt nur eine Möglichkeit, um sich selbst und ihre Tochter zu schützen: die riskante Flucht über die Grenze. Doch das Vorhaben mißlingt. Offred wird gewaltsam von ihrer Familie getrennt und kommt - nachdem ihre Fruchtbarkeit bestätigt wurde - in ein Umerziehungszentrum, in dem sie zur Handmaid ausgebildet wird.

Nach ihrer Ausbildung lebt sie im Haus von Commander Fred Waterford (Joseph Fiennes) und seiner Frau Serena Joy. Letztere wird von Yvonne Strahovski gespielt, die dem inneren Zwiespalt zwischen dem Wunsch nach einem Kind und der verhaßten Anwesenheit der Leihmutter sehr überzeugend Ausdruck verleiht. Die einzige soziale Funktion der Handmaids ist das Gebären von Kindern anstelle der unfruchtbaren Ehefrauen der Commander. Nach einer kurzen Stillperiode überlassen die Handmaids ihre Babys den Familien und werden einem neuen Commander zugeteilt, während die Ehefrau des Commanders das neugewonnene Kinderglück beim Kaffeeklatsch mit anderen Frauen der Oberschicht stolz als ihr eigenes präsentieren kann.

Um dieses Ziel möglichst effizient zu erreichen, findet im Hause Waterford eine allmonatliche Fruchtbarkeitszeremonie statt, bei der sich zunächst der gesamte Haushalt im Wohnzimmer versammelt und das Familienoberhaupt Bibelstellen vorträgt, was zur positiven Empfängnis beitragen soll. Die darauffolgende eigentliche Zeremonie gleicht eher einer mechanischen Befruchtung als einem auch nur ansatzweise lustvollen Akt: Die Magd liegt mit dem Kopf auf dem Schoß der vollbekleideten Ehefrau, die sie von hinten festhält, während der Commander im Stehen zustoßen kann. Kein besonders erotischer Dreier ...

 

 

Die Folgen sind von vielen Rückblenden durchzogen, in denen der Zuschauer mehr über Offreds Vergangenheit erfährt - als unbeschwerte Collegestudentin, Mutter und Ehefrau, auf der Flucht vor dem Regime und schließlich im Rachel-und-Leah-Umerziehungszentrum. Diese Szenen, in denen gezeigt wird, wie junge Frauen zu Handmaids ausgebildet werden, sind besonders bedrückend. Die zuständigen Lehrkräfte, die braun-uniformierten Aunts, schrecken bei ihrer Indoktrination nicht vor physischer Mißhandlung (in der ersten Folge wird einem aufmüpfigen Neuankömmling ein Auge ausgestochen) und Bestrafung mit dem Elektroschocker zurück. Neben dem Repertoire an unterschiedlichsten körperlichen Quälereien dringen sie auch auf psychischer Ebene tief in die Köpfe der zukünftigen Handmaids ein. Dabei preisen sie die Fruchtbarkeit ihrer Schützlinge und das Privileg derer, die noch Kinder bekommen können, um damit den Nachwuchs der an der Spitze der Hierarchie stehenden Commanders und ihrer Frauen zu sichern. Die stark gestiegene Unfruchtbarkeit, die die Handmaids zu gefragten Dienstleistern macht, sei Gottes Antwort auf das menschliche Fehlverhalten der vergangenen Jahrzehnte, erklärt eine der Aunts, während im Hintergrund Dias von Kernkraftwerken und Fabriken gezeigt werden. Nachdem die "Tanten" quasi Bildungsbeauftragte zur Heranbildung junger, devoter Frauen sind, dürfen sie als einzige Frauen in Gilead lesen, schreiben und von der Regierung konfiszierte Medien verwenden.

Naturgemäß baut die Umsetzung der Serie mehr auf Dialog und weniger auf den inneren Monologen Offreds auf. In der der Romanvorlage ist die Protagonistin wesentlich ruhiger (beziehungsweise von der Gesellschaft mundtot gemacht), während sie in der Serie recht redselig ist. Offreds Gespräche mit der Handmaid und Widerstandskämpferin Ofglen während der täglichen gemeinsamen Einkäufe sind wesentlich ausführlicher und aufschlußreicher, genauso wie die Dialoge mit Nick, dem Chauffeur ihres Commanders, mit dem sie im Buch zunächst hauptsächlich über Blickkontakt kommuniziert. Über Offreds Stimme aus dem Off erfährt der Zuschauer dennoch viel über ihre Verzweiflung und Ohnmacht im Angesicht des gesellschaftlichen Systems, in dem sie gefangen ist, aber auch über die Hoffnung, ihre Tochter und ihren Mann wieder zu sehen - der einzige Gedanke, der sie vor dem Suizid bewahrt. Elisabeth Moss spielt eine eindrucksvoll kämpferische Offred, die die Bürde und Demütigungen in der Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihrer Familie schlußendlich auf sich nimmt.

Abgesehen von Offreds Geschichte scheut die Serie nicht davor zurück, den Staat Gilead mit all seinen Greueln auf bedrückende Art und Weise darzustellen. Da wird Lynchjustiz betrieben und ein Mob wütender Handmaids auf einen vermeintlichen Vergewaltiger losgelassen, um auf brutalste Art und Weise Vergeltung zu üben; Schwule, Priester und Widerstandskämpfer hängt man plakativ an der Stadtmauer auf, bis die Fliegen um ihre Köpfe schwirren. Die graue Betonwand ist ein beliebter Treffpunkt für die Handmaids nach ihren täglichen Besorgungen - vielleicht, um sich ihres grausamen Schicksals bewußt zu werden. oder um nicht selbst auf dumme Gedanken zu kommen und ebenfalls an der Mauer zu enden.

 

 

 

Die Serie löst, ebenso wie der Roman, eine innere Wut und Fassungslosigkeit, aber auch eine gewisse Ohnmacht aus. Gezwungenermaßen stellt man sich die Frage: Was, wenn diese so unmöglich erscheinende Welt mit ihren patriarchalen Hierarchien, menschenunwürdigen Praktiken und einer Gesellschaft, die sich selbst zugrunde richtet, gar nicht so unmöglich ist? Und was, wenn man genauso wie die unterjochte Bevölkerung in The Handmaid´s Tale nichts dagegen unternehmen kann?

Die Unterdrückung des Volks seitens des Regimes, die Unmöglichkeit zu fliehen oder als einzelner etwas am System zu ändern, die gewaltsame Auslöschung des Sozialstaats und der Demokratie - die Auseinandersetzung mit diesen Themen macht The Handmaid´s Tale zu einem schockierenden, aber lohnenswerten Literatur- und Serienerlebnis.

Saskia Draxler

The Handmaid´s Tale

Leserbewertung: (bewerten)

USA 2017

hulu

 

Showrunner: Bruce Miller

Darsteller: Elisabeth Moss, Yvonne Strahovski, Max Minghella u. a.

Links:

It´s a man´s world?

Vaughan & Guerra - Y: The Last Man


Was würde wohl passieren, wenn auf einmal sämtliche Vertreter des männlichen Geschlechts tot umfielen? Wenn es ein Virus gäbe, das dies sogar speziesübergreifend bewerkstelligen könnte? Eine mögliche Antwort auf diese Frage finden Sie in "Y: The Last Man" von Brian K. Vaughan und Pia Guerra.

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Kommentare_

Kino
Mord im Orient-Express (2017)

Tatort Hollywood

Neun Monate hat sich Kenneth Branagh auf die Rolle des Hercule Poirot vorbereitet. Doch seine Neuverfilmung des Agatha-Christie-Krimiklassikers kommt trotz des prächtigen - und von Fans verschmähten - Schnurrbarts, neuer technischer Möglichkeiten und einer von Stars nur so überkochenden Besetzung nicht an die früheren Kinoversionen der Vorlage heran.  

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