Stories_F. Paul Wilsons Handyman Jack

Reparaturdienst für die Apokalypse

Lieber Handyman als Candyman: Statt ein dumpfes Rädchen im System zu sein, sammelt dieser Held alte Monsterfilme auf Laserdisc oder DVD und sorgt für Gerechtigkeit, wo Justitia schon lange versagt. Ein Porträt von Martin Compart.    13.06.2007

Wenn der Abfluß verstopft ist, sollte man Repairman Jack gar nicht erst rufen. Jack repariert nämlich andere Sachen: Probleme, mit denen sonst niemand fertig wird - schon gar nicht betrunkene Handwerker oder die Bullen. Er ist eine Mischung aus Holden Caulfield und Charles Bronson; zu seinen Fans gehört Stephen King, selbsterklärter Präsident des nichtorganisierten Repairman-Jack-Fanklubs.

Repairman Jack (der in deutschen Übersetzungen zum "Handyman" mutiert) hat es nicht so mit dem Staat und deshalb für sich einen toten Winkel geschaffen, der ihn für Autoritäten unsichtbar macht. Er haßt Bürokraten und jede Form von Kontrolle. Und er weiß auch genau, wie man sich entziehen kann: Er hat weder eine Sozialversicherungsnummer, noch gibt es irgendwelche amtlichen Zeugnisse über ihn. Er ist ein kapitalistischer Anarcho, also ein Libertärer - was nichts mit diesen dumpfen Parteien namens FDP oder FPÖ zu tun hat. Den Libertären verdanken wir vielmehr so schöne Gedanken wie "Steuerhinterziehung ist Menschenrecht".

Michael Drewniok schreibt in seiner ausgezeichneten Betrachtung über den Romanhelden:

 

"Repairman Jack" macht uns Leser darauf aufmerksam, wie tief sich die Gedankenpolizei der politisch korrekten Tugendbolde schon in unseren Köpfen eingenistet hat. Geradezu lustvoll verstößt dagegen Wilson gegen inzwischen schon versteinerte Konventionen und erinnert uns daran, daß nichts den Geist so schleichend und nachdrücklich tötet wie bedingungslose Konformität: Störenfriede muß es geben auf dieser Welt, denn sie stellen scheinbar Selbstverständliches in Frage und sorgen für frischen Wind. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten leisten F. Paul Wilson und Jack ihren Anteil.

 

Diese Haltung ist typisch für Jacks Schöpfer, der 1968 sowohl die Freiheit des Marktes als auch die des Drogenkonsums verlangte. Für seinen psychedelischen Equalizer gilt Bob Dylans Satz: "If you live outside the law you must be honest." Und wer so wenig Vertrauen in Politiker und Institutionen hat, der gerät zwangsläufig von einer Verschwörung in die nächste.

Auch das Universum macht davor nicht halt. Im Laufe der Romane wird deutlich, daß Jack eine wichtige Rolle im kosmischen Kampf spielt, denn die "Andersheit" will nicht etwa die Menschheit versklaven, sondern die gesamte Natur ausrotten. X-Akten auf Speed. Doch mit Kleinkram wie außerirdischen Invasoren gibt sich Wilson gar nicht erst ab. Die Erde ist nicht Beute, sondern ein simpler Nebenkriegsschauplatz.

Wilson hämmert neue Funken aus dem kosmischen Dualismus von H. P. Lovecraft, den er als seinen stärksten Einfluß nennt. Wie so viele Verehrer des großen Meisters aus Providence hat auch Wilson ihm durch Pastiches des Cthulhu-Mythos den Kotau erwiesen. Wenn Wilson gut ist, dann liest sich das wie ein Lovecraftsches Delirium, geschrieben von Lee Child (einem gar nicht genug zu würdigenden Erneuerer des Action-Helden und der Man´s Adventures).

Oft ist Wilson ein etwas langatmiger Erzähler; besonders nervend, wenn es um das ausschweifend erzählte Innenleben seiner Figuren geht - da kann er einfach nicht die Tinte halten. Aber er ist auch immer für eine lyrische Impression gut:

 

Er erinnerte sich noch an die Zeiten, als es sich beim Times Square um das Rotlichtviertel gehandelt hatte, ein immer geöffnetes Kuriositätenkabinett, bei dem sogar Tod Browning neidisch geworden wäre ... Nirgends hatte es eine größere Artenvielfalt von Homo sapiens abschaumiensis gegeben ... An der Fußgängerampel wartete Jack neben einem Puertoricaner auf Grün, der einen riesigen Ghettoblaster auf der Schulter trug, dessen Salsageplärre in der Lautstärke bei den meisten kleineren Säugetieren zu Sterilität führen mußte.

 

Im ersten Roman The Tomb trifft Jack seine vegetarische Freundin Gia und ihre kleine Tochter, um sie vor einem Schicksal zu bewahren, das schlimmer ist als der Tod. Zur Unterstützung hat Wilson seinen Protagonisten mit skurillen Charakteren umgeben - wie etwa seinen kuchenfressenden Waffendealer Abe, einen anthropologischen Pessimisten, der nicht müde wird, seinem Freund Jack den Weltuntergang nahezubringen: "Wenn Abe ihm die Welt erklärt hätte, würde sich ein Ertrinkender über sein Schicksal freuen."

Für ein bestimmtes weibliches Lesepublikum (falls es so was überhaupt für Wilson und Weird Fiction jenseits von Stephen King gibt) sicherlich attraktiv ist Jacks Gspusi Gia, deren kleinbürgerliches innermonologisches Herumgejammer über Jacks Erwerbstätigkeit man klugerweise überspringen sollte. Für die Repairman-Serie ist sie von ähnlicher Nervigkeit wie die unerträgliche Zicke Susan in Robert B. Parkers Spenser-Serie: sexy wie eine Eurhytmieveranstaltung und politisch korrekt wie ein grüner Blockwart.

Repairman Jack bleibt am Ende seines Romandebüts scheinbar tödlich verwundet zurück, erledigt von den haimäuligen Rakoshi-Dämonen, die das Hirn eines Pitbulls besitzen und den tödlich zielgerichteten Instinkt einer Tomahawk-Rakete. (Uber diese Kretins würde man gerne mehr lesen ...) Aber ein Kerl wie Jack ist durch eine Bagatelle wie den Tod nicht aufzuhalten. Besonders nicht, nachdem er mit dem Buch 1984 die Bestsellerliste erklommen hatte und seitdem nicht mehr out of print war - außer in Deutschland, wo für die alte Goldmann-Taschenbuchausgabe sittenwidrige Summen von Antiquariaten und glücklichen Besitzern gefordert wurde.

Es ist also für uns Fans eine glückliche Fügung, daß der Weird-Fiction-Verlag Festa vor kurzem die von Wilson überarbeitete Auflage herausgebracht hat. Applaus. Die weiteren Werke aus Wilsons Adversary-Zyklus, zu dem "Die Gruft" gezählt wird, folgen. Bereits erschienen ist der erste Band, The Keep (umstritten ist die Verfilmung von Michael Mann). Der Erfolg dieses Romans war verantwortlich dafür, daß "The Tomb" zur "Gruft" wurde, obwohl im Buch keine Gruft vorkommt. ("The Keep" liegt ebenfalls beim Festa-Verlag als "Das Kastell" in deutscher Übersetzung vor.)

 

Schuld war der Verlag. Nach dem Erfolg von "The Keep" wollten sie mir so eine Titelidentität anhängen. Auf meinen Einwand hin, daß ja keine Tomb im Roman vorkäme, meinten sie, daß würde eh keiner merken. Ich habe die Leserbriefe bekommen und nicht sie. Deswegen heißt die amerikanische Neuauflage auch wie mein ursprünglicher Titel: Rakoshi.

 

Jack war übrigens nicht als Serienheld geplant. Doch Wilson erkannte - nicht zuletzt durch Fan-Post - das Potential seines Helden und rettete ihn zunächst durch mehrere Kurzgeschichten. Aber es dauerte satte 14 Jahre, bevor er ihn endlich wieder buchlang gegen die Verschwörungen des Planeten einsetzte. Seit Jahren ist auch eine Verfilmung geplant. Dreimal wurde "The Tomb" optioniert, darunter von Roger Corman. Momentan wird er durch die Entwicklungsmühle von Beacon Films gedreht.

Könnte sein, daß Beacon Film zusammen mit Disney/Touchstone/Buena Vista demnächst Jacks erstes Abenteuer mit einem Budget von 80 Millionen Dollar tatsächlich in die Kinos bringt. Natürlich sind auch eine Serie und jede Menge schrottiges Merchandising geplant.

Wilson ist ein Meister des Crossover-Thrillers, wie er etwa von Dean R. Koontz kultiviert wurde. Er mixt alle möglichen Genres - Horror, Detektivroman und Science Fiction - zu originellen Thrillern, die ihre Herkunft aus den Pulps und alten Horrorfilmen nicht verleugnen. Manchmal braucht er eine Weile, um seine Karre auf Touren zu bringen, aber spätestens nach der Hälfte nehmen die Romane richtig Fahrt auf und knallen dich in den Sitz: richtig guter Trash, der sich noch bei größter Hitze vorzüglich runterlesen läßt.

 

Der Repairman-Jack-Erfinder wurde in New Jersey geboren, wo er heute noch lebt. Als Kind ernährte er sich von einer Diät aus EC Comics, Carl Barks, Lovecraft, Richard Matheson und Ray Bradbury. In einer Woche sah er sich elfmal "King Kong" an, was einen bleibenden Schaden hinterlassen haben dürfte.

In den 60er Jahren studierte er Medizin in Georgetown. Obwohl seine Bücher in 25 Sprachen übersetzt sind und er alleine in den USA 6 Millionen Exemplare verkauft hat, praktiziert er heute noch zweimal die Woche als Arzt. Er begann mit SF-Kurzgeschichten (die meist auch Horrorelemente enthielten) und Skripten für die Warren-Comics "Creepy" und "Eerie".

Seine erste Short story kaufte ihm 1970 der legendäre John W. Campbell ab. Inzwischen hängt Wilson irgendwo zwischen Bestseller- und Kultautor, der geschickt versucht, seine Romane in Zyklen zu bündeln und ihnen ein gemeinsames Universum zu geben - ein Universum, dessen völlig durchgeknalltes Ende er in seinem Weltuntergangsroman Nightworld schon 1992 vorweggenommen hat.

So sei es nochmals gepriesen: Der deutschsprachige Leser muß sich bei Blanvalet und Festa bedanken, daß er mit diesem Autor versorgt wird.

Martin Compart

F. Paul Wilsons Repairman-Jack-Romane

Handyman-Jack-Bibliographie


1. "The Tomb" (1984, dt. "Die Gruft", Festa 2006)

2. "Legacies" (1998, dt. "Der Spezialist", Blanvalet)

3. "Conspiracies" (1999, dt. "Im Kreis der Verschwörer", Blanvalet)

4. "All the Rage" (2000, dt. "Tollwütig", Blanvalet)

5. "Hosts" (2001; "Todesfrequenz", Blanvalet)

6. "The Haunted Air" (2002; "Das Ritual", Blanvalet)

7. "Gateways" (2003; "Todessumpf", Blanvalet)

8. "Crisscross" (2004; dt. "Der schwarze Prophet", Blanvalet)

9. "Infernal" (2005)

10. "Harbingers" (2006)

11. "Bloodline" (2007)

 

Autorenphoto © Peter Fleissner

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Kommentare_

Diabolo666 - 15.07.2008 : 11.08
Eine wunderbare Rezension, witzig, frech, ein wenig schnoddrig und sehr informativ!
doc - 07.11.2009 : 11.59
bloß hat der herr wilson einen grottigen stil, der einem die schuhe samt socken auszieht (oder liegt es an einer minderwertigen deutschen übersetzung? da bin ich mir nie sicher) ich wünschte, er würde wenigstens ein bisschen weniger labern und vielleicht so kantige sätze schreiben wie mein geliebter lee child! aber überhaupt: an jack reacher kommt der repairman niemals ran...
liebe grüsse, doc
martin compart - 08.11.2009 : 12.18
Der Doc hat leider recht. Und die Übersetzer sinds diesmal nicht.
Diabolo666 - 08.11.2009 : 15.45
Nun, nachdem ich - aufgrund der Kritik - das Buch gekauft und gelesen habe, muss ich leider zustimmen. Es hält einfach nicht, was die Rezension verspricht.

@ Doc:
Danke für den Hinweis auf Jack Reacher; kenne ich noch nicht, werde ich aber jetzt mal ändern ;-)
martin compart - 08.11.2009 : 16.57
An Diabolo!
Das tut mir leid und ärgert mich. Sorry, ich wollte Dir kein negatives LKeseerlebnis bescheren.
Diabolo666 - 08.11.2009 : 19.03
@ martin Compart

He, kein Problem! Die Geschmcker sind ja bekanntlich verschieden und es hätte ja genauso gt sein können, dass ich "Handyman Jack" trotz deiner Einwände für das beste seit der Erfindung von Bratkartoffeln gehalten hätte.
martin compart - 08.11.2009 : 20.36
danke. aber ärgern tu ich mich trotzdem. wenn ich das maul aufreisse und glaube was zu sagen zu haben... hast ja recht: geschmäcker sind verschieden (und zeit abhängig).
doc - 08.11.2009 : 21.12
@diablo666: jaa der jack reacher das ist ein moderner hardboiled-mann nach meinem geschmack :)) und auch der extrem kantige und lakonische schreibstil seines erfinders lee child - übrigens hat der herr compart an anderer stelle hier einen sehr schönen artikel über lee child geschrieben, siehe "Für alle Fälle Lee"...

liebe grüsse,
doc
Julio - 22.12.2009 : 23.53
Ich muss euch widersprechen - Repariman Jack ist im englischen mitnichten grottig zu lesen, sondern wunderbar flüssig. (Jack Reacher ist allerdings auch ne coole Serie, habe von beiden Figuren alle Bände.)

Leider kommt der vorletzte Repairman Jack (ja, es gibt ein Ende) erst im Herbst 2010...
Diabolo666 - 24.12.2009 : 18.05
@ Julio

danke für die Info, das problem ist allerdings, niht jeder ist so fit in Englisch, um Originalversionen hinreichend würdigen zu können. Um so ärgerlicher, wenn dann Übersetzungen lieblos sind...
martin compart - 25.12.2009 : 17.50
Ich halte die Übersetzungen für okay. Englisch liest sich einfach schneller. Bei aller Liebe zum Handyman (hätte ich sonst den Artikel verbrochen?) - die Dinger sind, wie die meisten zeitgenössischen Thriller, zu DICK!
Throndorin - 19.10.2010 : 21.32
Hey,
Ich finde die Bücher klasse, werde aber wohl die nächsten auch auf englisch lesen müssen, da laut Blanvalet völlig unklar ist wie und wann die Nächste Übersetzung erscheint. Ich kann mich über den Stil nicht wirklich beklagen, wäre die Story lahm wäre das etwas andere, aber so. Ich lese Ihn schon zum 2ten mal und werde ihn wohl noch öfter lesen. Der Artikel ist sehr unterhaltsam und informativ, danke dafür.

Throndorin

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