Stories_F. Scott & Zelda Fitzgerald - Lover

Chronik eines Niederganges

Von den Roaring Twenties schnurstracks in die große Krise ... Gerhard Pretting las die Liebesbriefe zweier der wichtigsten Vertreter der "lost generation".    20.07.2004

"F. Scott Fitzgerald war der größte unter uns allen."

Ernest Hemingway

 

Die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf Europa sind im großen und ganzen bekannt. Der auszehrende Kampf in den Schützengräben ließ eine Generation junger Männer zurück, die alles - vor allem die Hoffnung auf eine bessere Welt - verloren hatten. In Zürich und dann in Berlin und Paris wurde als Antwort auf eine Welt, in der jeder Sinn vernichtet worden war, Dada gegründet. Diese Kunstrichtung wollte dem, was in Verdun und Ypern passiert war, ein künstlerisches Pendant gegenüberstellen. Die schlechte wirtschaftliche Lage in Europa steigerte den vorherrschenden Pessimismus noch einmal, und die politischen Wirren der zwanziger und dreißiger Jahre mündeten in den noch viel grausameren Zweiten Weltkrieg.

In den USA stellte sich die Situation ganz anders dar. Der Weltkrieg hatte nicht auf eigenem Territorium stattgefunden, und die Kämpfe in Europa hatten von der Bevölkerung (im Vergleich zu Frankreich und Deutschland) nur einen geringen Blutzoll gefordert. Auch begann nach dem Krieg die amerikanische Wirtschaft zu boomen, die Börsenkurse stiegen ins schier Unendliche, und die Zukunft konnte nur eine goldene sein - zumindest aus amerikanischer Sicht. Wie in Europa war auch in Amerika kein Stein auf dem anderen geblieben. Doch Europa bedauerte diesen Zustand, Amerika feierte ihn. Und während sich in den europäischen Metropolen die jungen Männer zu zynischen Dandys wandelten, die neben der Frage, was sie anziehen sollten, nur darüber nachdachten, wie sie sich - und in weitere Folge die künstlerische Welt - vernichten konnten, feierten in New York die jungen Männer und jungen Frauen sich und ihr ausschweifendes Leben.

Der Autor, der wie kein anderer dieses Lebensgefühl niederschrieb, war F. Scott Fitzgerald. 1920 erschien sein erster Roman This Side of Paradise, und er machte den Schriftsteller sofort zum amerikanischen Literatur-Superstar. "This Side of Paradise" verkaufte sich 40.000mal - für damalige Zeiten eine ungeheure Auflage. Mit 24 Jahren hatte es Fitzgerald geschafft: er war reich, bekannt und beliebt. Die renommierten Zeitschriften fragten bei ihm um Erzählungen an, und die Nachwuchssensation lieferte ihnen, was sie begehrten. Zu seiner besten Zeit - und das waren seine Anfangsjahre - bekam er für eine einzige Kurzgeschichte 3000 Dollar; soviel wie das amerikanische Durchschnittsjahreseinkommen betrug. Aber so leicht Fitzgerald sein Geld verdiente, so leicht gab er es auch wieder aus. Zusammen mit seiner Frau Zelda waren sie DAS Traumpaar der 20er Jahre. Sie waren auf jeder Party anwesend, sie fuhren immer wieder nach Frankreich, sie waren es, die die Riviera in den frühen Twenties als Urlaubsort entdeckten. Sie waren das perfekte Role-Model - jeder wollte so sein wie sie.

Zwei Jahre nach "This Side of Paradise" und nach seinem ersten erfolgreichen Erzählband kam Fitzgeralds zweiter Roman auf den Markt. The Beautiful and Damned - wahrscheinlich sein mit Abstand bestes Werk. Darin beschreibt Fitzgerald das Leben eines jungen Mannes, der reich ist, aber nichts im Leben erreicht. Er ist mit einer wunderschönen Frau verheiratet, aber nach und nach langweilen sich die beiden, und er wird zum Alkoholiker. Was "The Beautiful and Damned" so faszinierend macht, ist die Tatsache, daß Fitzgerald im Alter von 26 Jahren sein eigenes Schicksal bereits vorausgeahnt hat. Denn genauso wie in diesem Roman sollte sich sein Leben abspielen: Zelda wurde im Alter ins Irrenhaus eingeliefert, und F. Scott starb 1944 als verarmter Alkoholiker.

"The Beautiful and Damned" verkaufte sich nicht besonders, denn von dem Pessimismus, der sich immer mehr in den Vordergrund drängte, wollte das Amerika der "Roaring Twenties" nichts wissen. 1925 erschien jedoch das Buch, mit dem F. Scott Fitzgerald bis heute assoziiert wird: The Great Gatsby. Der Roman wurde begeistert aufgenommen, und F. Scott war am Höhepunkt seiner Karriere angelangt. Aber - und das ist die Kehrseite der Medaille - er war im Alter von 29 Jahren bereits ausgebrannt. Jahrelang sollte er sich mit seinem letzten großen Werk Tender Is the Night abplagen - ein Buch, das erst 1934 erschien und zu dieser Zeit niemanden mehr interessierte.

 

"F. Scott Fitzgerald. Schade, daß er nicht weiß, wie gut er ist. Er ist der Beste."

Dashiell Hammett

 

Ein Grund, warum Fitzgerald an "Tender is the Night" fast zehn Jahre lang arbeitete, waren die unzähligen Kurzgeschichten, die er fabrizieren mußte. Der Lebensstil der Fitzgeralds war legendär und der Autor Zeit seines Lebens verschuldet. Die Romane warfen wenig Geld ab, die Erzählungen dafür umso mehr. Immer wieder beschwerte sich Fitzgerald in Briefen darüber, daß er nicht so schreiben könne, wie er wirklich wolle, denn die Verlage verlangten immer wieder Liebesgeschichten; heitere, versteht sich, keine traurigen, die Fitzgerald viel lieber verfaßt hätte.

In noch viel größerem Maße als seine Romane sind die Erzählungen autobiographisch. Fast immer wird darin die altbekannte "Boy Meets Girl"-Geschichte verhandelt, und fast immer schauen die handelnden Personen F. Scott und Zelda zum Verwechseln ähnlich. In "Gretchens Nickerchen" zum Beispiel geht es darum, daß ein Mann seiner Frau erklärt, daß sie nun sechs Wochen nicht zu Veranstaltungen gehen könnten, weil er arbeiten muß. Der Frau gefällt das natürlich wenig, denn sie will sich amüsieren. Fitzgerald schrieb hier sein eigenes Dilemma nieder, da Zelda permanent unterhalten werden wollte. Versuchte er zu schreiben, so wollte sie, daß er sich mit ihr beschäftige, und er konnte nicht arbeiten. Ging sie außer Haus und amüsierte sich alleine, war er so eifersüchtig, daß er auch nicht arbeiten konnte - ein Teufelskreis.

Oft und oft geht es in den Erzählungen um einen jungen Mann, der die Frau seines Herzens nicht erobern kann, weil er schlicht und einfach zu arm für sie ist. Auch das ist autobiographisch, denn Zelda hatte F. Scotts ersten Heiratsantrag abgelehnt, weil er kein Geld hatte. Erst nachdem er mit seinen ersten Geschichten gut verdiente, wurde sie seine Frau. Dann gibt es in den Stories immer wieder Männer, die darüber trauern, daß sie nicht am Ersten Weltkrieg teilnehmen konnten. Auch hier schreibt der Autor über sich selbst: Kurz bevor er und seine Kompanie nach Europa übersetzen sollten, wurde der Weltkrieg beendet.

1929 beendete der Börsen-Crash die Party. Die Weltwirtschaftskrise ließ den Optimismus verschwinden, und die Verlage waren nicht mehr gewillt, Unsummen für Erzählungen zu zahlen. In den späten dreißiger Jahren ging F. Scott Fitzgerald nach Hollywood, um dort Drehbücher zu schreiben. Er scheiterte spektakulär. Nur ein einziges seiner Treatments wurde verfilmt, während seine Version von "Vom Winde verweht" von den Produzenten abgelehnt wurde.

In Lover finden sich leider fast ausschließlich die Briefe aus jener Zeit, als das Traumpaar der 20er Jahre sich rasant dem Abgrund näherte. Deshalb vermittelt dieses Buch mitunter einen falschen Eindruck. Es zeigt zwei Leute, die mit Mitte 30 bereits ausgebrannt sind. Sie pendelt zwischen verschiedenen Irrenanstalten hin und her, er versucht sich in Hollywood mit der Bearbeitung zweitklassiger Treatments über Wasser zu halten. "Lover" ist somit die Chronik eines Niederganges; eines Verfalls, der umso schmerzhafter erlebt wird, weil er aus den höchsten Höhen des Lebens geschieht.

 

"Man wird über Fitzgerald noch reden, wenn die Namen der meisten seiner schreibenden Zeitgenossen verblichen sind."

Gertrude Stein

 

Gerhard Pretting

F. Scott & Zelda Fitzgerald - Lover! Briefe

(Dear Scott, Dearest Zelda: The Love Letters of F. Scott and Zelda Fitzgerald)


DVA (München 2004)

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