Stories_Kärntner Türkei

Alles nur getürkt?

Vielen Unkenrufen und Klischees zum Trotz findet sich in Kärnten ein wahres Eldorado für Befürworter einer politischen Erweiterung Europas. Ist auch die Kärntner Türkei schon reif für den EU-Beitritt? Eine Bestandsaufnahme.    06.10.2009

Ein kleines Tal, unweit des schönen Faaker Sees gelegen, trägt den Namen "Türkei" und präsentiert sich mindestens genauso friedlich wie der See selbst. Eine schleichende Islamisierung, respektive die von vielen selbsternannten Patrioten befürchtete Zurückdrängung der christlichen Leitkultur, ist hier aber nicht zu erwarten. Bis dato liegen keine Ansuchen für die Errichtung von Moscheen, Minaretten oder sonstigen Bauten vor, welche die traditionelle Kärntner Architektur konterkarieren würden. Die lang diskutierte Änderung des Kärntner Ortsbildpflegegesetzes im Jahr 2008 - mit der Absicht, den Bau islamischer Gotteshäuser zu verhindern - hatte erwartungsgemäß auch zu keinen Protestveranstaltungen oder Karikaturstreit-ähnlichen Ausschreitungen verbaler und nonverbaler Natur geführt.

"Ein idyllisches Seitental, das zu einem romantischen Spaziergang mit der oder dem Herzallerliebsten einlädt", so beschreibt Helmut Hinterleitner, einer der renommiertesten Touristiker des Landes, das kleine Tal. Die Namensgebung der Kärntner Türkei geht wenig überraschend auf die Türkenangriffe auf das seinerzeitige habsburgische Territorium zurück. Weniger bekannt ist, daß die osmanischen Krieger nicht nur in Wien ante portas standen, sondern auch vor den mäßig verriegelten Toren Villachs. In einem engen und nicht bevölkerten Tal, wenige Kilometer von der Stadt Villach entfernt, hatten sie ein Zeltlager angelegt, um von dieser Basis aus ihre Angriffe zu planen und zu lancieren. Reminiszenzen an diese Zeit sind heute nur noch in sehr überschaubarem Maße vorhanden; historische Belege, daß die Türken jemals in diesem Tal stationiert waren, nicht unumstritten.

Das Tal selbst nennt sich also Türkei, was bis vor kurzem durch eine große Tafel mit kurzer geschichtlicher Erklärung am Taleingang signalisiert wurde. Diese Tafel ist aber vor einigen Monaten umgefallen und mittlerweile verschwunden. Ob sie jemals ersetzt werden wird, ist derzeit nicht bekannt. Kritische Geister könnten diese Entwicklung als Dakapo des Kärntner Ortstafelsturms in den 70er Jahren sehen, allein: ein vergleichbarer medialer Aufschrei ist ausgeblieben. Es war eben doch nur die einzige türkische Ortstafel im "Wir wären so gern ein Freistaat"-Gebiet südlich der Hohen Tauern. Hinweise über die Hintergründe des Umfallers gibt es nicht. Entweder resultiert er aus einer altersbedingten Mangelerscheinung, oder die Tafel wurde gewaltsam entfernt, um jeden noch so kleinen Hauch an Kosmopolitik im Land auszulöschen. Vielleicht hat sich die Tafel aber einfach nur der Kärntner Landespolitik angepaßt - da stehen Umfaller nämlich auf der Tagesordnung. Geübte Kärntner Verschwörungstheoretiker untersuchen derzeit routinemäßig Verbindungen zu den Freimaurern oder dem israelischen Geheimdienst Mossad.

Der erste Kilometer des schmalen Tals bringt keine aufregenden Einblicke. Rechter Hand fällt der Blick auf einen Mischwald, links breiten sich Wiesen aus. Am Ende der asphaltierten Taleinfahrt finden Wanderer, Radfahrer und Hobby-Historiker den "Türken-Brunnen", der klares, kaltes Quellwasser Kärntner Provenienz zur Erfrischung bietet. Zu sehen gibt es aber de facto nichts, ausgenommen die elf Einfamilienhäuser, die mit der Türkei so wenig zu tun haben wie der Kärntner Heimatdienst mit zweisprachigen Ortstafeln. Ein Kopftuchverbot für Frauen, die in ihren hauseigenen Gärten tätig sind, scheint derzeit (wie auch ein Verbot politischer Parteien) jedenfalls nicht angedacht. Im Orts- bzw. Talzentrum versorgt die "Wetterwarte Türkei" die Besucher mit essentiellen Informationen. Geographische Lage: 46,59 N, 13,92 O, Seehöhe: ca. 550 m, Stein naß = Regen, Stein trocken = kein Regen, Stein doppelt = besoffen, Stein weg = gestohlen etc. Die Türken werden also doch diskriminiert - andere bekommen mit weniger Humor einen Platz in der Prime Time im österreichischen Staatsfunk.

Einige Kilometer von dem Tal entfernt erinnert der Türkenkopf an den Besuch der Krieger vom Bosporus. Er ist ein 1739 Meter hoher Berg, der den bekannten Mittagskogel flankiert und ihm zu Füßen liegt. Ein Lokalaugenschein auf dem über einen schön ausgetretenen, aber sehr steilen Wanderweg erreichbaren Berg läßt ein Vorurteil wie den Frühjahrsschnee dahinschmelzen: Den von einem (bedenklicherweise) hochrangigen Vertreter einer politischen Gruppierung befürchteten Halbmond findet man auf diesem Berggipfel nicht.

Ein möglicher Beitritt der Türkei zur Europäischen Union wird derzeit wieder heftig diskutiert. Gehört die Türkei aus geographischen, kulturellen, politischen und religiösen Gesichtspunkten überhaupt zu Europa oder sollte sie eher dem asiatischen Raum zugeordnet werden? Als es 1995 für Österreich - und damit auch für die Kärntner Türkei - um den EU-Beitritt ging, wurden derartige Fragen nur zweitrangig behandelt. Wirtschaftliche Auswirkungen und Fragen der nationalen Souveränität sowie die heißgeliebte Neutralität standen im Vordergrund. Die Bewohner der Türkei haben sich anno dazumal, wie der Rest Österreichs, deutlich für einen EU-Beitritt Österreichs ausgesprochen. Und das Ergebnis war definitiv nicht getürkt.

 

Der Historiker Mirko Hofer aus Maria Gail bei Villach hat ein umfangreiches Archiv über die geschichtliche Entwicklung seiner Heimatgemeinde, inklusive der österreichischen Türkei, zusammengestellt. Der Name "Tyrkey" oder "Türkey" taucht erstmals im Josephinischen Flurbuch aus dem Jahr 1785 auf. Das geht auch aus einer kartographischen Katasterfestlegung aus dem Jahr 1831 hervor. Die Herkunft der Bezeichnung "Türkei" kann aber nicht definitiv geklärt werden, mehrere Erklärungen sind möglich.

Die noch am ehesten bekannte Variante geht auf die Türkeneinfälle in Kärnten im 15. Jahrhundert zurück. Insgesamt waren die Türken fünfmal in das Land eingefallen - 1473, 1476, 1478, 1480 und 1483. Bei ihrem dritten Angriff im Jahr 1478 sollen die muselmanischen Krieger in dem engen Tal ihr Basislager aufgeschlagen und von dort ausgehend den Villacher Raum erobert haben. Historische Texte sprechen von wilden Horden, die durch das Kärntner Land zogen. 5000 Mann sollen bei Villach geblieben sein: "Do chamen sy zusamen und belieben an der Geyl in di vierde wochen, sy verwuesten dieselbe gegennt gar an lewdt und an guet." (K. Grosmann & Jakob Unrest: "Österreichische Chronik", S. 97/98). Beweise, ob damit tatsächlich das kleine Seitental "Türkei" gemeint ist, lassen sich jedoch nicht finden.

Besondere Bedeutung für die Türkenlager soll dem Haus oder der Keusche "Turtschitsch" zugekommen sein. Unabhängig davon, ob die Türken tatsächlich in dem Tal stationiert waren, könnte die Bezeichnung des Tals mit diesem "Turtschitsch" zusammenhängen. Türkei heißt auf Slowenisch "Turcija", was von der Phonetik her wiederum dem Namen "Turtschitsch" ähnelt, der 1686 erstmals urkundlich erwähnt wird. Zuvor hatte das Anwesen noch den Namen "Plesch" getragen. Anlaß für diese Umbenennung könnte laut Historiker Mirko Hofer ein Mensch mit etwas dunklerer Hautfarbe (wie ein Türke) gegeben haben. Jedoch existieren auch dafür keine historischen Belege.

Die älteste mögliche Erklärung für die Bezeichnung "Türkei" ist die unwahrscheinlichste und findet sich im 14. Jahrhundert. Rund um das Jahr 1357 hat ein Otto, der Türk, südlich von Villach und im Gailtal gute Geschäfte gemacht. Für seinen Namen hatte er ein Bockshorn im Siegel, das könnte wiederum aus dem slawischen "trkati" (=anklopfen, anstoßen) abgeleitet sein. Eine Verbindung des Kaufmanns mit dem Tal läßt sich aber nicht rekonstruieren.

Ein mittlerweile verstorbener Gemeindesekretär aus Maria Gail hat behauptet, in dem Tal einen Säbel und einen türkischen Schuh ausgegraben zu haben; das soll sich in den 60/70er Jahren zugetragen haben, zu dieser Zeit wurde dann die große Tafel bei der Taleinfahrt aufgestellt. Eine weitere Legende, die jedoch historisch nicht belegt ist, bringt den nahegelegenen Berg Tabor ins Spiel. Die dort noch immer zugänglichen Höhlen sollen den Türken als Zufluchtsorte gedient haben. Wie dem auch sei - im EU-Land Kärnten existiert eine Türkei. Darüber kommt man nicht hinweg.

Wolfgang Fercher

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