Stories_Die Toten Hosen im Interview

Stark unter Strom

Mitte November veröffentlichen die Toten Hosen unter dem Titel "In aller Stille" ihr mittlerweile 21. Album, im Juni 2009 ziehen sie dann mit wehenden Fahnen in die Nürnberger Arena: Deutschlands wichtigste Punkband im EVOLVER-Gespräch.    12.11.2008

Still ist es um die Toten Hosen nie geworden, aber zwischen dem Vorgänger und dem brandneuen Werk lag doch eine untypisch lange Schaffenspause, die die Band-Mitglieder für eigene Projekte oder zur Erweiterung des persönlichen Erfahrungshorizonts genutzt haben. Dazu zählen Campinos Theater- und Filmauftritte, die Realisation eigener, ganz unterschiedlicher Musikversuche oder ausgedehnte Reisen an ungewöhnliche Orte. Das Resultat: Nach fast dreijähriger Pause drehen die Toten Hosen jetzt wieder mit Lust die Verstärker auf, "schwitzen Lärm aus sich heraus". Das neue Album ist laut Single-Auskopplung "mit dem Blut" der Band geschrieben; es ist dunkler, härter, wuchtiger und um einige Nuancen ausgereifter!

Da die "Machmalauter"-Tour, die im November 2008 startet, bereits kurz nach ihrer Bekanntgabe ausverkauft war (was bedeutet, daß bis Ende des Jahres mehr als 250.000 Menschen die Hosen bei ihren Hallenkonzerten sehen werden), haben die Musiker noch einmal nachgelegt und ihr Live-Engagement zu Gunsten der inzwischen unüberschaubaren Anhängerzahl erweitert. Für Fans der Band heißt das, daß die Band bis Sommer 2009 zusätzliche Gigs absolvieren wird, um die eruptiven Stromschläge weiterzugeben.

Hosen-Bassist Andi gab dem EVOLVER ein Interview.

 

EVOLVER: Eine ketzerisch-offensive Frage zu Beginn: Wie satt, saturiert ist man nach 21 Alben und mittlerweile 22 Millionen verkaufter Platten? Ist das Musikmachen da noch eine Sache, der man Spannung abgewinnen kann - oder doch ein Routinejob geworden?

Andi: Nein, mit blanker Routine hat das nichts zu tun, und auch finanziell wären wir abgesichert. Die kreative Spannung in uns ist einfach noch so groß, der Drang, wieder Musik zu machen, ist bei allen Mitgliedern stark - und aufhören wollen wir sowieso nicht. Um aber so etwas wie ein kreatives Ausbluten zu vermeiden, haben wir ja genau vor dieser Platte erstmals in unserer Geschichte eine längere Auszeit eingelegt, die nun lautstark vorbei ist. Wir stehen so wie seit 1983 wieder unter Strom! Was die Zahlen angeht, so sind wir aber ganz eindeutig darüber froh, sogar etwas stolz darauf, daß wir es als Band geschafft haben - und immer noch sowohl als Band-Mitglieder als auch als Freunde zusammenarbeiten.

 

EVOLVER: Und wie sieht es mit der gesellschaftlichen "Relevanz" der Toten Hosen aus? Braucht dieses Land die Band und ihre Musik überhaupt noch?

Andi: Eine toughe Frage, aber gut: Als Band, als Musiker kann man sicher nicht die Welt verändern, da sind die Möglichkeiten doch zu begrenzt, die Welt wird sich sicher auch ohne die Toten Hosen weiterdrehen! Dazu kommt, daß man auch aufpassen muß, daß man nicht die Bodenhaftung verliert, sich zu wichtig nimmt und sich für eine Art von Messias hält. Auf der anderen Seite aber sagen wir schon, daß wir einen Wert darauf legen, richtige Dinge richtig zu tun, niemand ist ohne Verantwortung! Wir wollen, daß die Umwelt sieht, daß wir versuchen, im kleinen positive Dinge zu verwirklichen, wie beispielsweise den Support für die Kampagnen von "ProAsyl" und "Oxfam". Man darf sich nur nicht verzetteln oder zuviel anfangen, damit man nicht unglaubwürdig wird. Aber zu bestimmten Dingen in der Welt und hier im Land haben wir etwas zu sagen, wollen wir auch etwas sagen! Man hat als erfolgreiche Band schon auch die Aufgabe, Dinge - wie gesagt, im kleinen - anzustoßen ...

 

EVOLVER: Ihr habt nach der letzten Platte erstmalig eine längere Auszeit genommen. Warum genau - und wie wichtig war dieser "Break"?

Andi: Weil wir schon seit 1983 zusammen arbeiten, aber irgendwann jeder einmal etwas größere Freiräume braucht. Die Auszeit war wichtig und rückblickend genau richtig, denn jeder hat sich nach einiger Zeit, die er für sich und seine Projekte genutzt hat, wieder darauf gefreut, als Band gemeinsam loszulegen. Der Abstand hat nicht zur Entfremdung geführt, sondern zu einem größeren Zusammengehörigkeitsgefühl. In aller Stille haben wir uns "verloren" und wiedergefunden, auch wenn wir uns natürlich nie bösartig verloren hatten. Und jetzt freuen wir uns, gemeinsam wieder auf eine lange und laute Tour zu gehen.

 

EVOLVER: Einige Mitglieder der Band haben sich auf andere Weise kreativ ausgelebt. Kommuniziert ihr untereinander über eure anderen Projekte, kritisiert ihr einander?

Andi: Natürlich, wir sind doch befreundet! Ich habe mir zum Beispiel Campino als Mackie Messer in Klaus Maria Brandauers Inszenierung von Brechts "Dreigroschenoper" mehrmals angesehen und dabei auch Campinos Fortschritte als Schauspieler festgestellt - er hat einen tollen Gauner abgegeben! Wir reden über unsere Arbeit wie unter Freunden üblich, wie kritisieren und loben, wie man das bei Freunden erwartet und unter Freunden macht.

 

EVOLVER: Wie hat sich die Produktion des aktuellen Albums "In Aller Stille" gestaltet?

Andi: Die gesamte Produktion war wieder ganz anders im Vergleich zu den bisherigen Arbeitsprozessen. Nach vielen Jahren in Düsseldorf hatten wir uns für die letzten Alben aus der Stadt wegbewegt, weil wir das Gefühl hatten, dort momentan in einer Sackgasse festzustecken. Deshalb haben wir uns für die letzten paar Produktionen zum Beispiel in Spanien in ein abgelegenes Haus "eingemietet" und dort gearbeitet. Für das aktuelle Album sind wir sozusagen wieder nach Deutschland zurückgekommen, wenngleich wir auch diesmal in Münster, auf dem flachen Land, angedockt haben. Dort haben wir, was eine sehr schwierige Entscheidung gewesen ist, auch beschlossen, mit einem neuen Mann als Produzenten zusammenzuarbeiten, was sich aber musikalisch als produktiv erwiesen hat: Ein Neuer an den Reglern ist wie ein frischer Musiker. Er hört Dinge anders, konnte uns auch zu neuer Energie verhelfen - und das hat sich auf den Druck ausgewirkt, den wir mit dem Sound und der Produktion auch erreichen wollten. Wir haben das Album in vier Zeitphasen zusammengebastelt und eingespielt, und sind wirklich sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Man hört hoffentlich, wie der Strom knistert: Wir wollten Gas geben und haben unserer Meinung nach dieses Ziel erreicht. Mal hören, was das Publikum sagt ...

 

EVOLVER: Die Texte der neuen Songs sind teilweise ernster, wirken beinahe etwas "pessimistisch", zeigen viel mehr lyrischen Tiefgang als früher. Wie kommt das beziehungsweise woher kommen überhaupt die Inspirationen?

Andi: Ja, das kann man so deutlich sagen. Natürlich finden sich auch ironischere Passagen oder Stücke auf der Platte, beispielsweise die Single "Strom" oder der Song "Disco". Aber diesmal haben wir ganz bewußt den Partyklassiker weggelassen. Tendenziell ist das Album vor allem textlich nicht so leicht zu verdauen. Campinos Texte, inspiriert durch Erfahrungen und Beobachtungen, die er dann zu Papier bringt, haben eine dunklere, pessimistischere Richtung eingeschlagen.

 

EVOLVER: Habt ihr euch den Eichinger-Film über die RAF schon angesehen - und, wenn ja, wie hat euch "Der Bader-Meinhof-Komplex" gefallen?

Andi: Leider konnte ich aufgrund von Zeitproblemen den Film noch nicht sehen, werde das aber sicher nachholen. Da wir als Kinder ja Teile dieser deutschen Geschichte selbst noch miterlebt haben, sieht man da vieles aber sicher anders als heutige Jugendliche. Das Buch von Aust, das als Vorlage gedient hat, war natürlich damals eine Pflichtlektüre. Wenn heute junge Menschen den Film sehen, erkennen sie hoffentlich, daß es eine klare Trennlinie zwischen den Idealen der Studentenbewegung und den Taten der RAF gibt. Es ist nachvollziehbar, wie diese Leute in den Terrorismus abgeglitten sind, psychologisch und aufgrund der damaligen Zeitumstände, aber der Weg des Terrors, der dann eingeschlagen wurde, kann durch nichts gerechtfertigt werden. Wenn man vergleicht, welchen Weg andere Personen vor ähnlichem Background - beispielsweise Joschka Fischer - eingeschlagen haben, kann man nur feststellen, daß deren Weg der bessere und auch erfolgreichere war, auch wenn er mühsamer ist und langsamer gegangen worden ist.

 

EVOLVER: Einige jüngere Gitarrenrock-Fans behaupten, daß die Hosen nichts anderes sind als die Böhsen Onkelz. Was würdet ihr darauf antworten beziehungsweise wie steht ihr zu einer Band wie den Onkelz?

Andi: Wir können natürlich verstehen und nachvollziehen, daß das für den Sound zutrifft. Beide Bands spielen härteren Gitarrenrock - aber wenn man sich die Biographien beider Bands anschaut und die Texte vergleicht, dann müssen einem die Unterschiede sofort ins Auge stechen. Wir haben ja in den Jahren einige Probleme mit den Onkelz ausgetragen, die Band hat ja auch einen Song gegen uns geschrieben. Persönlich stehen wir auf dem Standpunkt, daß die Onkelz, wenn sie ihre Abkehr vom rechten Gedankengut ernstgemeint haben, dies dann deutlicher textlich und in ihren Interviews hätten thematisieren müssen, da gab es uns noch zu viele Interpretationsspielräume, die die Band mit ihren Aussagen und Metaphern gelassen hat. Aber nach der Auflösung ist das eigentlich kein Thema mehr für uns, auch wenn die Band mit ihrer Musik natürlich noch "da" ist, wie die Aussagen mancher jungen Leute ja beweisen. Dazu kommt auch noch, daß es seitdem mehrere Gespräche zwischen uns und Stefan Weidner gegeben hat, in denen einige Dinge ausgeräumt wurden. Weidner sieht wohl vieles inzwischen differenzierter und scheint sich wirklich verändert zu haben.

Emmerich Thürmer

Die Toten Hosen - In aller Stille

(Photos © Die Toten Hosen)

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Kommentare_

Huhu - 13.11.2008 : 00.04
Toll, die RAF wurde später immerhin nicht zu einem Kriegstreiber
Martin - 13.11.2008 : 12.25
Man kann über Joschka Fischer sagen, was man will und sein Werdegang vom Sponti zu einem der obersten Staatsbüttel wurde schon oft heruntergebetet, aber ein Kriegstreiber war er sicher nicht. Bleibt die Frage, ob sein Gang durch die Institutionen erfolgreicher war... Und die ist, da gebe ich Andi recht, auch politisch mit "ja" zu beantworten - was der Film als finales Loser-Kapitel deutlich zeigt. Was hat die RAF gebracht? Letztlich krumme Diskurse und einen Action-Film, dem Bruce Willis fehlt.
Andi Maurer - 08.12.2008 : 17.19
Joschka Fischer war definitiv ein Kriegstreiber, denn ohne sein immenses Engagement hätte es den Kosovoeinsatz (und somit auch keine späteren Militär-Abenteuer) für Deutschland nicht gegeben bzw. nicht so schnell. Zu dumm, dass es heute unbestrittene geschichtliche Realität ist, dass die Gräuel die ihn zu seiner Position brachten propagandistisch manipuliert waren.
Was die RAF betrifft, sie hat wenigstens doch noch einen Schlußstrich unter ihre verkehrten Strategie gezogen, was man von der Politik die sie dazu getrieben hat nicht behaupten kann. Die ist heute sogar noch restriktiver als damals!
Blub - 28.01.2009 : 00.46
Nein,die RAF waren nie Kriegstreiber,die haben den Krieg lieber selbst geführt und zwar mitten in eine zivile Gesellschaft hinein.Wir haben ihnen viel zu verdanken, z.b. fast alle "restriktiven" Gesetze, über die sich heute aufgeregt wird, fast Alles geht auf Reaktionen gegn deren Terror zurück.Thema Kosovo: Man muß sich schon durch Einiges an Text wühlen um auch nur ansatzweise eine Ahnung zur deutschen Rolle zu bekommen, von Gründung "BRD" bis heute, aber das ist viel Arbeit und passt nicht auf irgendeinen "Flyer" irgendeiner ahnungslosen Gruppe.Herr laß Hirn regnen, auch wenn es Viele wahrscheinlich erschlägt.

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