CROPfm Big Brother News: Frontberichte aus dem Land des Großen Bruders
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Am Nationalfeiertag wurden im Flex die größten Überwacher und Privacy-Terroristen Österreichs mit den alljährlichen "Big Brother Awards" ausgezeichnet. 02.11.2004
Am Nationalfeiertag gleicht der Wiener Heldenplatz traditionell einem Volksfest mit dem Bundesheer im Mittelpunkt. Ein paar Stunden später, wenn sich die Heeresbummler nach Einbruch der Dunkelheit verlaufen haben, findet im Wiener Flex ebenso traditionell die "Gegenveranstaltung" zum Nationalfeiertag statt: die Verleihung der "Big Brother Awards". Heuer wurden bereits zum sechsten Mal die größten Überwacher und Privacy-Terroristen des Landes an den moralischen Pranger gestellt. Vielen nominierten Behörden, Institutionen oder Einzelpersonen kann man keine Gesetzesübertretung im strafrechtlichen Sinn nachsagen - das Defizit an Respekt für die Privatsphäre des einzelnen ist daher von weitaus größerer Relevanz für eine Nominierung. Und an Vorschlägen gab es im Jubiläumsjahr von George Orwells "1984" keinen Mangel.
Die "Big Brother Awards" sind als eine Art Auszeichnung für jene Behörden, Firmen und Personen gedacht, die sich im Jahr davor durch bemerkenswerte Übergriffe auf die Privatsphäre von Bürgern hervorgetan haben. Zu den Preisträgern der vergangenen Jahre zählten daher Politiker, Software-Unternehmen, Adreßverlage und selbst EU-Behörden. Die ursprünglich auf eine Idee von Simon Davis zurückgehenden und aus England stammenden Awards werden in zahlreichen Ländern (darunter auch Australien und den USA) verliehen; die österreichische Preisverleihung organisieren die Aktivistengruppen Quintessenz, Vibe und der Verein zur Förderung freier Software. Mit Hubsi Kramar als Moderator und einer auf Halloween ausgerichteten Bühnenshow (die Preisträger wurden von Hexen symbolisch geteert und gefedert) stand beim heurigen Big-Brother-Event der aktionistische Charakter, der in den vergangenen Jahren immer breiteren Platz einnahm, endgültig im Vordergrund (im Vorjahr wurden die Gewinner "nur" mit öffentlich abgeschnittenen Schweinsohren verwöhnt).
Fünf Preisträger in sechs Kategorien wurden gekürt. Nominiert waren jedoch viele. Aus Hunderten von Einreichungen (die per Internet abgegeben werden konnten) wählte eine fünfköpfige Jury die interessantesten und gesellschaftlich relevantesten Fälle aus. Die endgültigen Gewinner wurden dann per Abstimmung ermittelt. Und es sind:
• die Grazer Discothek WON in der Kategorie Busineß und Finanzen: "Ein knappes Dutzend unscheinbar angebrachter Webcams überträgt live ins Netz. Dem Besucher ist dabei jeweils nicht bewußt, daß er auf Sendung ist", heißt es in der Jury-Begründung. Auch Biometrie-Anwendungen mit Fingerabdruck-Kontrolle werden im WON eingesetzt.
• die Innen- und Justizminister der EU-Mitgliedsländer Schweden, Frankreich, Irland und England in der Kategorie Politik: Sie fordern mittels "Data Retentio", alle Kommunikationsdaten [Telefon, E-Mail, Internet, P2P, ICQ etc.) präventiv drei Jahre oder sogar länger zu speichern. Dies steht in krassem Widerspruch zur EU-Richtlinie und nationalen Datenschutzgesetzen. Diese werden de facto aufgehoben, sollte diese Richtlinie in Kraft treten."
• die Wiener Amtsärzte in der Kategorie Behörden und Verwaltung: Wie durch einen Fall im Frühjahr bekannt wurde, haben sie Gesundheitsdaten an andere Behörden weitergegeben.
• der UMTS-Mobilfunkanbieter Hutchinson Austria/3 in der Kategorie Kommunikation und Marketing: Mit dem "friendfinder"-Dienst können Handys von 3-Kunden vergleichsweise exakt und auch unauffällig geortet werden. Damit eröffnen sich überwachungswütigen Eltern (oder Ehepartnern) ganz neue Möglichkeiten der Kontrolle.
• Der Publikumspreis ging in die öberösterreichische Landeshauptstadt, und zwar an die Linz-Strom: Nachdem Techniker des Unternehmens herausgefunden hatten, daß ein "Internet durch die Steckdose"-Verfahren ihres Arbeitgebers massive Funkstörungen verursacht und sie ihre Meßergebnisse veröffentlicht hatten, wurden sie von der Linz-Strom auf Kreditschädigung geklagt.
Bereits zum zweiten Mal ausgesetzt wurde der Lifetime Achievement Award, der aufgrund des Jubiläums in Lebenslanges-Ärgernis-Elisabeth-Gehrer-Preis für die nachhaltigste Annäherung an die Romanvorlage 1984 umgetauft wurde. Grund für die Namensgebung ist die von Elisabeth Gehrer initiierte "Bildungsevidenz", in der sensible Schuldaten (beispielsweise religiöses Bekenntnis oder Betragensnoten) über die Sozialversicherungsnummer eindeutig zuordenbar 60 Jahre lang gespeichert bleiben.
Nicht in die Endauswahl schafften es beispielsweise Microsoft und Siemens, die für ihre Allianz zur Durchsetzung von Software-Patenten in Europa prämierungswürdig schienen. Auch Innenminister Ernst Strasser, in den Vorjahren immer ein Top-Kandidat für einen Award, mußte heuer leer ausgehen - obwohl er gleich mehrfach nominiert war, unter anderem für die "Erweiterte Videoüberwachung", die Behörden umfassende Rechte für die Überwachung öffentlicher Plätze einräumt. Insgesamt eine anspruchsvolle Auswahl, die auf den ersten Blick ein bißchen im Widerspruch zum Flex-Event steht: Dort stehen die Regler auf "Fun" - und leider sind viele der ausgezeichneten Delikte alles andere als lustig, zumal sie sich unter der Schirmherrschaft einer Verfassung ereignen, deren Schutzfunktion für den Bürger offenbar nicht mit den Möglichkeiten einer digital orientierten Welt mitgewachsen ist.
Ob die "Big Brother Awards" über die Provokation hinaus auch eine verändernde Wirkung haben, wird sich zeigen. Ihre Nähe zu einem "Nationalfeiertags-Rave" stellt zumindest die Frage nach dem Zielpublikum. Die Szene zu erreichen und gemeinsam "Fuck you!" zu brüllen, mag zwar im Flex verbrüdernd wirken, die plakative Demonstration diverser Analfixierungen sorgt gemeinhin aber nur wenig für öffentliche und/oder mediale Akzeptanz. Zumal gelegentlich der Eindruck entsteht, daß der Gegner (= der Große Bruder) nicht mit seinen eigenen Waffen geschlagen, sondern bespuckt werden soll.
Jenseits formaler Aspekte verstehen sich die "Big Brother Awards" jedoch als notwendiger "Gedankenanstoß" für eine Generation, die "Big Brother" mit dem öffentlichen Leben im de-Mol-Container assoziiert und nicht mit George Orwells Langzeitwarnung. Dementsprechend sind die Awards zwar ein vergleichsweise leises Zeichen - aber ein kontinuierliches Signal, das von immer mehr Stationen empfangen wird.
Photos (Bild 2, 3): (c) m. grinner/moccabeans.com
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