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In England lassen es die Politiker krachen: Schimpfen wird bestraft und eine Gen-Datenbank soll Verbrechen verhindern. 20.08.2004
Engländer haben normalerweise zwei Betriebsmodi: sie sind entweder scheißfreundlich oder Hooligans. Genauso extrem sind auch die Ideen, die Hazel Blears, Staatssekretärin im britischen Innenministerium, gerade vor der Tageszeitung "Independent" ausbreitete. Sie möchte die Kinder aller Kriminellen, die hinter schwedischen Gardinen sitzen, amtlich erfassen, verfolgen und gegebenenfalls auch (zwangs)behandeln lassen, um zu verhindern, daß sie nach dem Vorbild des betroffenen Elternteils selbst kriminell werden. "Wir können die Risikofaktoren vorhersagen, die ein Kind zu kriminellem Verhalten führen", behauptet Blears. In England wären von einer solchen Maßnahme zur Zeit etwa 125.000 Kinder betroffen - laut Blears "werden 65 Prozent dieser Kinder selbst im Gefängnis landen".
Kindern, die durch ihr Umfeld auf die schiefe Bahn geraten könnten, Hilfestellung anbieten zu wollen, ist an sich ein edles Unterfangen - ginge mit der "Katalogisierung" nicht gleichzeitig auch eine Stigmatisierung einher. Den lieben/bösen Kleinen muß ja irgendwie verständlich gemacht werden, warum sich der Staat so sehr für sie interessiert, wo sie doch gar nichts verbrochen haben. Hinter der Hilfe (zum Beispiel durch spezielle Schulprogramme oder psychologische Betreutung) steht zudem die Strafe. Will sich ein Kind partout nicht bessern lassen, kann die Polizei legitim auch bei Kleinigkeiten eingreifen. Weiters ist ein bereits als Kind katalogisierter potentieller Straftäter leichter zu fassen, wenn er tatsächlich einmal ein Verbrechen begehen sollte.
Hazel Blears kühner Plan, der im überwachungsgeilen England nicht auf taube Ohren gestoßen ist, formuliert zynisch die Crux der staatlichen Datenerfassung: Für die Behörden ist präventiv zunächst jeder Bürger ein Verbrecher. Es gilt nicht mehr die Unschuldsvermutung, sondern die Vorverurteilung.
Basierend auf Studien, die das Verhalten von Kindergruppen protokollieren, geht Hazel Blears (Bild links) davon aus, daß Kriminalität ausschließlich aus dem sozialen Umfeld heraus entsteht - was aber, wenn es beispielsweise auch genetische Motivationen gibt? Nun, auch das ist kein Problem für die britische Regierung, die seit 1995 eine immer umfangreichere nationale Gen-Datenbank betreibt. In dieser sind die genetischen Profile aller verhafteten Straftäter enthalten - und seit dem "Justice and Police Act 2001" auch DNS-Samples von Personen, die zwar verhaftet, aber nicht verurteilt wurden. Politiker und Behördensprecher fordern seither die Ausweitung der Datenbank auf alle britischen Bürger. Geht es nach dem Willen von Rick Naylor, dem Präsidenten der "Police Superintendents Association of England and Wales," sollen DNS-Samples per Verordnung zum Alltag gemacht werden. Jeder englische Bürger müßte dann eine Speichel- oder Blutprobe abliefern; von Neugeborenen wird sie noch im Krankenhaus gezogen.
Was die Bürgerrechtsvereinigungen als einen weiteren Schritt in Richtung internationaler, länderübergreifender Gen-Datenbanken ansehen, ist in den Augen der Befürworter ein Mittel zur raschen Aufklärung von Verbrechen und - da man fast immer eine genetische Spur hinterläßt - auch ein Präventionsinstrument. Wozu ein Verbrechen begehen, wenn man mit großer Sicherheit als Täter ausgeforscht wird? Nicht umsonst bejubeln Kriminalisten die DNS-Analyse als größten Fortschritt in der Verbrechensbekämpfung seit Entdeckung der Fingerabdrücke.
Flankiert wird Hazel Blears Maßnahmenpaket von der bereits gültigen "Anti Social Behaviour Bill", die vom britischen Innenminister David Blunkett (Bild links) ins Leben gerufen wurde. Dieses Gesetz ist eine Art Erziehungsmaßnahme für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, da es öffentliche rassistische oder beleidigende Äußerungen, Ruhestörung, Betteln, Belästigung etc. unter Strafe stellt. Nach der "Anti Social Behaviour Bill" darf die Polizei Minderjährigen auch das Taschengeld pfänden oder ihnen Ausgangsverbot erteilen. Familien haben mit empfindlichen Geldstrafen zu rechnen, sollte der Nachwuchs beispielsweise die Nachbarskinder beschimpfen. Gleichzeitig wurden auch noch die Befugnisse der Polizei vergrößert wurden, die damit auch minimale "Vergehen" als unsoziales Verhalten interpretieren kann.
Der Ernstfall ist bereits eingetreten: Weil ein gewisser Michael Guilfoyle eine Behördenangestellte als "Paki Bitch" beschimpft hatte, darf er lebenslänglich nicht mehr den rassistischen Begriff verwenden, andernfalls sofort eine fünfjährige Haftstrafe fällig wird.
Tatsächlich will Blunkett seine englischen Untertanen mit dem neuen Gesetz zu einem besseren Verhalten erziehen - zweifelhaft ist aber die Methode, Verbrechensprävention bloß durch die Androhung drakonischer Strafen zu erzielen. Wen nur die Angst vor Bestrafung an einem Mord hindert, der läßt sich auch durch die britische Sozialverordnung nicht von bösen Worten abhalten. Und was im Affekt geschieht, entzieht sich ohnehin der bürokratischen Kontrolle. Das wäre so, als würde die Medizin auf schmerzstillende Präparate verzichten können, weil man im Ernstfall lieber gleich das betreffende Organ entfernt ... Blunkett und Blears kümmern sich nur um die Wirkung, nicht um die Ursache. Umso tragischer, daß England von verschiedenen europäischen Behörden gerne als Modellfall für neue Methoden der Verbrechensbekämpfung angesehen wird (auch Innenminister Ernst Strasser weilte schon in London, um sich persönlich von den Vorzügen der totalen Videoüberwachung zu überzeugen).
Druck erzeugt Gegendruck. Zur Erhaltung unserer Sicherheit und Freiheit müssen wir andere Freiheiten aufgeben. Dies ist eine Welle, die sich zur Flut hochschaukelt und an deren Ende der durch und durch transparente Mensch steht. Es wird uns nichts mehr passieren können, weil ganz einfach nichts mehr passiert. Zugegeben - die Hooligans wird niemand vermissen, aber hat eine Welt, in der jeder nur scheißfreundlich ist und man sich von der Wiege bis zur Bahre dem Staat überantwortet, überhaupt noch Reize?
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