Kolumnen_Ausweiskontrolle: EFF´s Most Wanted

EFF´s Most Wanted

Nicht nur CIA und FBI führen Fahndungslisten - auch die Freiheitskämpfer im globalen Dorf haben eine: sie listen regelmäßig die gesuchtesten "Patent-Verbrecher" der USA.    16.07.2004

Während die CIA ihre Todeslisten eher verdeckt führt, gehören die Online-Fahndungslisten des FBI zu den meistbesuchten Websites der Welt. Das Federal Bureau of Investigation führt zwei solche Listen: die "Top Ten Fugitive" (angeführt von Richard Steve Goldberg wegen Kindesmißbrauchs und Kinderpornographie) und die "Top Ten Terrorists" (auf dem ersten Platz: Ayman Al-Zawahiri, der im Zusammenhang mit Bombenattentaten auf die US-Botschaften in Dar es Salaam/Tansania und Nairobi/Kenia genannt wird). Und weil Verbrechen irgendwie auch Leistungssport ist, gibt es zusätzlich den "Monthly Fugitive". Dieser Titel wird derzeit von Nuraldin Shareef Karim gehalten, der wegen mehrfachen Telemarketing- und Lotteriebetrugs gesucht wird. Zwar können die europäischen Online-Fahndungslisten nicht mit einem so prominenten Umfeld wie Osama bin Laden aufwarten (der vom FBI als Flüchtiger und Terrorist gelistet wird), doch die BKA-Site gilt nach wie vor als Dauerbrenner, und im Fahndungsweb des österreichischen Innenministeriums wird einem irgendwie kalt. Dies- und jenseits des Schürens von Paranoia vermitteln solche Aufzählungen ein anschauliches Bild von den Dämonen, die da draußen ihr Unwesen treiben.

Die Chance, einem der "Henrys" von den Fahndungslisten persönlich zu begegnen, ist allerdings deutlich geringer als die Wahrscheinlichkeit, es mit den "Verdächtigen" auf der "Most Wanted"-Liste der Electronic Frontier Foundation (EFF) zu tun zu bekommen. Die EFF ist kein Verein militanter Computer-Cracker; ganz im Gegenteil, sie bewegt sich seit jeher an vorderster Front, wenn es um Bürger- und Privacy-Rechte im Online-Zeitalter geht. Die Stimme der EFF wird zudem laut wahrgenommen; weniger in Österreich als vielmehr in den internationalen Medien. Daß sich die EFF nun ebenfalls zur Führung einer Liste der meistgesuchten Übeltäter entschlossen hat, ist einerseits als Publicity-Gag zu verstehen, andererseits aber auch als Wink mit dem Brückenpfeiler, daß der Patent-Tango, den EU und USA zur Zeit tanzen, noch lange kein harmonisches Ende finden wird.

Die "EFF´s Most Wanted" ist Bestandteil des "Patent Busting Project" und listet jene US-Unternehmen auf, die durch ihre Patent- und Lizensierungspolitik Aufruhr ins Software-Busineß bringen. Das Projekt will vor allem Unternehmen ins Gebet nehmen, die durch "illegitime Patente" Innovationen in nichtkommerziellen Märkten sowie im klein- und mittelständischen Bereich be- und verhindern. Auch Patente, die die freie Meinungsäußerung in digitalen Medien erschweren, stehen auf der Abschußliste. Im Rahmen des "Patent Busting Project" wird Material über bereits erteilte US-Patente gesammelt, die diesen Kriterien entsprechen. Die Akte soll als Grundlage für eine Neubewertung der entsprechenden Patente - bis hin zum Entzug des Patentrechts - dienen. Konkret lautet die Anklage gegen die von den "EFF Marshals" gesuchten Personen und Unternehmen: "Crimes against the Public Domain; Willful Ignorance Of Prior Art; Eregious Display Of Obviousness" - drei Todsünden, auf die der moralische Pranger vor der Community steht.

Wie die Dutrouxs, Bundys und bin Ladens nur die plakative Spitze der behördlichen Top-ten-Fahndungslisten darstellen und die alltägliche Teufelei im Detail schlummert, sucht man auch in den EFF-Charts vergeblich nach "großen Namen" - von Nintendo (Platz 8) einmal abgesehen. Der einstige Edel-Japaner aus den Tagen vor der Playstation und der Xbox kommt hier vor, weil er das "Reverse-Engineering" und den Betrieb alter Gameboy-Spiele mit Software-Emulatoren verbieten will. Daß sich keine multinationalen Konzerne auf der EFF-Watchlist finden, liegt vielleicht auch daran, daß die Waffen der Community in Wahrheit recht stumpf sind.

Dem Software-Konzern Microsoft haben beispielsweise zwei Jahrzehnte Anklage überhaupt nicht geschadet. Trotz aller Proteste (nicht nur) aus dem Open-Source-Lager wuchsen die Redmonder wie nie zuvor. Die Rückschläge an der Linux/Unix-Front sind für Microsoft verschmerzbar - und es wäre realitätsfremd, auch nur anzunehmen, an der Konzernpolitik würden Kartellgerichts-Urteile und EU-Sprüche etwas ändern. Der während einer Roadshow wie ein Derwisch über die Bühne tanzende Microsoft-Geschäftsführer Steve Ballmer ist der Beweis dafür, wie sehr auch der "Große Bruder" Microsoft schon ins kollektive Weltbild eingegangen ist. Software aus dem Hause Gates gehört mittlerweile genauso zum Lifestyle wie Nokia-Handys, Sony-Digicams und Apple-Powerbooks.

Was für eine Welt ...

 

Chris Haderer

CROPfm Big Brother News: Frontberichte aus dem Land des Großen Bruders


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