Kolumnen_Ausweiskontrolle: Feind im eigenen Bett

Der Feind im eigenen Bett

Schwere Spionage-Vorwürfe gegen Sony BMG: Amerikanische Audio-CDs sollen heimlich ein Digital Rights Management System auf dem häuslichen Computer installieren.    08.11.2005

Überall Leid, Not, Armut, Wehklagen! Wenn es auf dieser gebeutelten Welt eine ganz besonders vom Schicksal gestrafte Branche gibt, dann ist das die Tonträgerindustrie. Die ist vom Untergang bedroht, seit es sie gibt. Seit dem Zweiten Weltkrieg verging kaum ein Jahrzehnt, in dem die Branche nicht aufgrund einer neuen Technologie den eigenen Exodus vorherorakelte. Zuerst war es das Radio, das die Schallplattenindustrie in den Untergang stürzen wollte, dann das Magnetband, dann die Musikcassette, dann selbstgebrannte CDs und DVDs und jetzt das Internet.

Das permanente Gejammer der notleidenden Unterhaltungsindustrie ist zu einem Hintergrundrauschen geworden und von der Wahrheit in etwa so weit entfernt wie der Donau- vom Suezkanal. Nach wie vor fahren die betreffenden Firmen phantastische Summen ein, was man ihnen auch nicht zum Vorwurf machen sollte; allerdings treibt ihre Paranoia, in jedem zweiten Konsumenten das raubkopierende Böse zu ahnen, ausgesprochen musikalische Blüten - mit Sony am Schlagzeug.

Der ehemalige Reiskocherbauer widmet sein Hauptaugenmerk seit ein paar Jahren weniger der Entwicklung aufregender Produktdesigns als der im wahrsten Sinne atemberaubender Kopierschutzverfahren. Dem Edeljapaner der 80/90er Jahre sei ein wenig mehr Demut und Respekt vor dem Konsumenten angeraten: Es gab einmal eine Zeit, in der die Industrie Wünsche zu verwirklichen versuchte, die keine Kopfgeburten einer kafkaesken Marketing-Vision waren. Das war zwar, als das Wünschen noch geholfen hat, aber es könnte ja sein, daß eine solche Zeit überraschend wiederkommt.

 

Jüngster Sündenfall von Sony BMG: Auf einigen amerikanischen Audio-CDs der Firma Sony wurde das von der britischen Software-Firma First4Internet entwickelte "XCP Content Management"-System ausfindig gemacht. Diese "Extended Content Protection" soll nicht nur die CD vor beliebigen Vervielfältigungen schützen, ohne gegen die von Philips im "Red Book" festgelegten Standards für Audio-CDs zu verstoßen - nein, der Copyright-Wahn geht viel weiter: Legt man eine solcherart geschützte CD in ein Computerlaufwerk ein, wird hinter dem Rücken des Anwenders auch gleich ein Digital Rights Management System installiert, wie der amerikanische Sicherheitsexperte Mark Russinovich herausfand (siehe Links).

Im ersten Schritt soll dieses System verhindern, daß von "XCP"-CDs mehr als drei Kopien gebrannt werden; den zweiten Schritt kennt die Welt noch nicht, weil Sony bis vor kurzem den Kopierschutz überhaupt verheimlichen wollte. Da die Software auf niederster Systemebene ansetzt und sich an den Treibern installierter Massenspeichermedien zu schaffen macht, kann sie kaum rückstandsfrei entfernt werden, ohne gröbere Instabilitäten in Kauf zu nehmen. Auf welches geltende Recht sich die heimliche Installation eines Digital-Rights-Management-Systems stützt, weiß bis heute nur der Sony-Vorstand, der die Geschichte seit Russinovichs Enthüllungen als kleine Panne darstellen will.

 

Nur für den US-Markt? Gegenüber dem Nachrichtendienst pressetext.austria erklärte eine Sprecherin von Sony Deutschland, daß sich das kritisierte DRM-System nur auf Datenträgern befinde, die aus den USA importiert wurden. In Deutschland werde dieser Kopierschutz nicht verwendet. Zudem seien in Europa alle Musik-CDs, die kopiergeschützt auf den Markt kommen, dementsprechend gekennzeichnet. Letztere Aussage ist allerdings mit Vorsicht zu genießen: Die Kennzeichnung resultiert daraus, daß zur Zeit alle kopiergeschützten Audio-CDs in Europa nicht den im "Red Book" definierten Audio-Standards entsprechen. Da sie nicht von allen Standard-Playern wiedergegeben werden können, dürfen sie auch nicht das "Compact Disc Digital Audio" Logo tragen. Laut First4Internet läßt "XCP" jedoch den Red-Book-Standard unangetastet, weshalb es fraglich ist, ob eine solche Hochsicherheits-CD tatsächlich unter die Kennzeichnungspflicht fallen würde. Daß Sony allerdings Programme in Umlauf bringt, die sich in ihrer Arbeitsweise durch nichts von Virenprogrammen oder Trojanern unterscheiden, deutet auf ein etwas traumatisiertes Weltbild des einstigen Edeljapaners hin.

 

Zum Teufel mit dem Datenschutz. Die heimliche Installation stellt einen datenschutzrechtlichen Übergriff dar, der durch keine Lizenzvereinbarung der Welt gedeckt ist - nicht zuletzt einer der Gründe, weshalb Sony nach zahlreichen Berichten ein "Update" der Software per Internet zur Verfügung stellte. Das läßt einerseits auf eine doch recht umfangreiche Auslieferung von "XCP"-CDs schließen, stellt andererseits aber nur ein bißchen Kosmetik dar: Das Digital Rights Management System lüftet zwar seine Tarnkappe und wird für den Anwender sichtbar, bleibt aber immer noch aktiv zu Lasten von Computer-Performance und Privatsphäre.

Laut einem von Sony zügig im Web veröffentlichten FAQ handelt es sich auch keinesfalls um Spy- oder Malware (der Ausdruck kommt von "malicious" und bezeichnet Programme, die heimlich "böse" Funktionen ausführen), sondern ausschließlich um ein Verfahren zur Verhinderung von Raubkopien. Daß besagtes Verfahren wie ein Dieb durch die Nacht schleicht und heimlich durch die Hintertür ins Haus kommt, wo es dann wie ein Alptraum nicht mehr weggeht, erwähnt der Sony-Kopierschutz-Guide für Endanwender allerdings nicht. Auf der Homepage des Konzerns ist neuerdings ein Utility-Programm zu finden, mit dem sich die DRM-Software angeblich deinstallieren läßt (wobei dann allerdings die entsprechende Audio-CD nicht mehr wiedergegeben werden kann) – aber wer will das schon ausprobieren? Man holt sich ja auch nicht absichtlich AIDS, um sich von der Wirkung des Gegenmittels zu überzeugen.

 

Standards und andere Fremde. Der neue Kopierschutz von Sony BMG soll nicht nur die Raubkopienflut am Überschwappen hindern, sondern verhindert auch die Übertragung von Musikstücken in die Player-Software iTunes und an den iPod von Apple. Sony begründet das in den FAQ mit dem "proprietären Datenformat" des Schurken aus Cupertino sowie mit der Weigerung von Apple, die "FairPlay Digital Rights Management"-Technologie an andere Hersteller zu lizensieren. Allerdings könne Musik "von geschützten Sony-BMG-CDs auf Hunderte Abspielgeräte übertragen werden, da Microsoft und Sony mitgearbeitet haben, um den Einsatz der neuen, sicheren Formate für den Anwender so problemlos wie möglich zu machen". Daß es sich dabei vorwiegend um Redmond-kompatible Geräte handelt, ist genauso wenig überraschend wie die Tatsache, daß "XCP" selbst proprietär und damit Lichtjahre von jeglichem internationalen Standard entfernt ist.

Ein Schelm, der Böses dabei denkt - beispielsweise, daß Sony mit "XCP" auch gleich dem unliebsamen Musik- und Lifestyle-Konkurrenten Apple den Scheitel ein wenig tiefer legen möchte. Eingesetzt werde "XCP" bereits seit dem Jahr 2002 zum Schutz von Preview-Silberlingen, heißt es in einer Pressemeldung des Herstellers First4Internet. Für den Schutz von Audio-CDs käme zur Zeit "XCP2" zum Einsatz, wobei der Software-Hersteller bestreitet, von der heimlichen Installation eines DRM-Systems beim Anwender gewußt zu haben. First4Internet räumte allerdings die Möglichkeit ein, daß die frei lizensierbare "XCP"-Entwicklungsumgebung auch dafür genützt werden könne.

Sayonara, Bodenhaftung: Der von Sony BMG verwendete Kopierschutz ist das Produkt eines Kontroll-Freaks, der die Kontrolle schon längst verloren hat. Könnte vielleicht jemand in Tokio anrufen und Bescheid sagen?

 

Heute Amerika, morgen die ganze Welt ... Kopfschüttelnd steht man als Betrachter diesem Potpourri des Lächelns auf jeden Fall gegenüber. Und am Ende eines langen Tages stellt man sich zumindest die Frage, was sich die Sony-Manager bei ihrer "XCP"-Entscheidung eigentlich gedacht haben. Niemand kann ernsthaft damit gerechnet haben, daß so etwas unentdeckt bleibt. Da draußen lauert eine ganze Welt von Nerds, für die es nichts Schöneres gibt, als die Leichen in den Kellern von Sony und Microsoft auszugraben. Bis zu einem Mark Russinovich war es also nur eine Frage der Zeit - und aus Konzernsicht ein extrem schlechtes Timing, denn Digital-Rights-Management-Systeme befinden sich zwar auf dem Vormarsch, doch bis zum kritischen Punkt, an dem sie flächendeckend vom Anwender akzeptiert werden, braucht es noch etwas Zeit.

"Ob wir wollen oder nicht: Die Zahl kopiergeschützter CDs wird zunehmen", ist Susan Kevorkian, Analystin beim IDC-Verlag, überzeugt. Die Möglichkeit, von jeder CD drei legale Kopien anzufertigen, hält Kevorkian außerdem für ein gutes Argument für Sony BMG, sollte es zu Prozessen kommen. Im Endeffekt seien die Konzerne hauptsächlich darauf aus, "neue Wege zu finden, mit denen sie die Kontrolle über Musik ausdehnen und Geld für die Art verlangen können, wie wir Musik konsumieren". Digital-Rights-Management-Systeme werden nicht nur Bestandteil künftiger Computer-Betriebssysteme sein, sondern eine Art "Blackbox" in jedem Gerät zur Medienwiedergabe. Laut First4Internet wird das "XCP"-Verfahren zur Zeit für den Schutz von DVDs weiterentwickelt: Sony BMG wolle es noch im Laufe des Jahres an große Hollywood-Studios zum Schutz von Preview-DVDs ausliefern und dann eine Version für Consumer-Produkte vorstellen. Sehr viel Aufwand, nur für den US-Markt ...

 

Wir sind Augenzeugen einer neuzeitlichen Operette, die den Rückschritt als Fortschritt darzustellen versucht. Auch der Konsument spielt darin eine Rolle: die des Kindes, dem alles verboten wird. Damit es im Supermarkt keine Süßigkeiten klaut, legt man ihm vorsichtshalber schon zu Hause Handschellen an. Und mit der Zeit wird es ganz normal, auf dumme Gedanken nicht einmal mehr zu kommen - die verbietet dann der Silizium-Chip im Kopf, den die Boomtown Rats schon 1979 besungen haben. Bloß ahnte an diesem ungeliebten Montag niemand, daß es so lange dauern und doch so schnell gehen würde.

Chris Haderer

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