Kolumnen_Ausweiskontrolle: Keiner kommt hier lebend raus

Keiner kommt hier lebend raus

Vorige Woche wurden in Amerika neue Copyright-Gesetze verabschiedet. Für raubkopierte Kinofilme gibt´s nun Gefängnis.    02.07.2004

In Kalifornien ist ein zweitklassiger Schauspieler aus der Steiermark Gouverneur geworden - und Hollywood ist drauf und dran, einen Teil der Macht in Amerika zu übernehmen. Letzteres könnte man wenigstens glauben, wenn man die in der Vorwoche vom US-Senat verabschiedeten Copyright-Gesetze Revue passieren läßt. Allesamt handelt es sich um von der Entertainment-Lobby gewünschte Reglements, die vordergründig Urheberrechte schützen sollen. Im Endeffekt werden damit jedoch Bestrafungen legalisiert, die in keinem Verhältnis zum begangenen Verbrechen stehen.

Vergangenen Freitag wurde beispielsweise der Artists´ Rights and Theft Prevention Act von Republikanern und Demokraten gemeinsam durch den Senat getragen. Durch ihn kann das Mitschneiden eines Kinofilms mit der Videokamera mit einer Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren geahndet werden - womit das Strafmaß einem Schwerverbrechen entspricht.

Trockener Kommentar des aus Texas stammenden Republikaners John Cornyn: "Wir sind dem Ziel, diese Art von Diebstahl schwerer zu machen und gleichzeitig die Verfolgung von Kriminellen zu erleichtern, einen großen Schritt näher gekommen." Fragt sich nur, wohin der Weg führen soll, wenn schon sein Anfang im Stechschritt gegangen wird. Daß der Motion Pictures Association of America so etwas wie ein digitales Abu Ghraib vorschwebt, zeigt sich im internationalen Vergleich. So führt beispielsweise eine schwere Körperverletzung laut §84 des österreichischen Strafgesetzbuches nur zu einer Freiheitsstrafe von maximal drei Jahren. Es müssen schon eine Körperverletzung mit tödlichem Ausgang oder wenigstens eine zünftige Vergewaltigung sein, damit man einen ähnlich langen Aufenthalt im Staatskotter ausfaßt wie für ein Urheberrechtsdelikt in Amerika.

In eine ähnliche Kerbe schlägt auch der Pirate Act, offiziell Protecting Intellectual Rights Against Theft Expropiration Act genannt: er vereinfacht dem Staatsanwalt die Einleitung von Zivilverfahren bei Urheberrechtsverstößen. Der oberste Ankläger konnte bislang nur bei kriminellen Operationen aktiv werden - dank dem Pirate Act schreitet die US-Justiz nun auch ohne einen Entertainment-Konzern als Kläger ein, wenn ein zehnjähriger Kazaa-User ausgeforscht wird. Oder wenn die verdammte Klingelton-Mafia wieder einmal ihr Unwesen auf dem Schulhof treibt ...

Mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird auch aus anderen Richtungen. Für Datenschützer ist etwa der Induce Act, der vom republikanischen Senator Orrin Hatch aus Utah eingebracht wurde, ein lebendiges Beispiel für industriellen Lobby-Terror: Hatch möchte generell Geräte und Technologien mit einem Bannspruch belegen, die dem Anwender überhaupt die Möglichkeit zur Übertretung des (von der Industrie nach eigenen Vorstellungen neu definierten) Urheberrechts bieten. Ein derartiges Gesetz würde nicht nur Tauschbörsen den Todesstoß versetzen, sondern auch den Besitz von Videorecordern, CD/DVD-Brennern und ähnlichen Geräten an den Rand der Illegalität rücken.

Die Idee, unbescholtene Anwender in vorauseilendem Gehorsam als potentielle Kriminelle zu verunglimpfen, ist nicht auf Hatchs eigenem Mist gewachsen. Der vom Reiskocherbauer zum japanischen Exportartikel Nummer eins gewachsene Sony-Konzern geht mit seinen Kunden schon länger so um. Wer beispielsweise einen NetMD-Recorder von Sony erwirbt, wird sich möglicherweise über die USB-Schnittstelle freuen, mit der man Musik-Files vom Computer schnell auf Minidisc umkopieren kann. Der Pferdefuß dabei: Eigene Aufnahmen lassen sich nicht digital vom Recorder auf den Computer überspielen. Sony ist nämlich der Meinung, daß eine solche Funktion ausschließlich von Raubkopierern genützt würde (beispielsweise für illegale Konzertmitschnitte), und hat sie deshalb gesperrt. Damit trampelt das Unternehmen einerseits auf den Nerven der Anwender herum und schießt sich andererseits selbst ins Knie. Aufgrund der restriktiven (und verbraucherfeindlichen) Firmenpolitik steht der ehemalige Edeljapaner so auch dem Erfolg seiner eigenen Technologie heftig im Wege. „Realität ist, daß eine Welt auf uns zukommt, in der Hollywood die Technologie kontrolliert", meint Jason Schulz, ein für die Privacy-Bewegung Electronic Frontier Foundation (EFF) tätiger Anwalt. "Niemand wird mehr einen Geldgeber für ein Projekt finden, das von den Hollywood-Konzernen nicht unterstützt wird - aus Angst vor den möglichen gerichtlichen Folgen."

Aber wir brauchen gar nicht in die Ferne zu schweifen - Italien reicht schon. Dort verabschiedete der Senat am 18. Mai das sogenannte Urbani-Gesetz, das den Umgang mit geistigem Eigentum im Netz regeln soll. Dieses extrem schwammig formulierte Gesetz bestraft Copyright-Piraterie mit einem Bußgeld von bis zu 1500 Euro und Gefängnis von bis zu vier Jahren. Nebenbei führte das Urbani-Gesetz auch noch zu einer Erhöhung der Steuern für CD/DVD-Brenner - ein kleines Körberlgeld für die Italienische Vereinigung der Herausgeber und Autoren, kurz SIAE genannt und nicht mit dem ähnlich klingenden US-Geheimdienst zu verwechseln.

Mit dem Beginn des auf die Generation X folgenden Infotainment-Zeitalters hat sich die Unterhaltungsindustrie zur politischen und mittlerweile auch gesetzgebenden Kraft aufgeschwungen. Das Fatale daran: Entwicklungen wie die restriktiven Urheberrechte, auf deren Einhaltung mit drakonischen Strafen geachtet wird, sind nur möglich, weil die Konsumenten still und heimlich ihre Macht abgegeben haben. Würden wir auf die Glitzerprodukte aus dem Video-Wunderland einfach verzichten, hätte die Industrie schon ein bißchen weniger zu lachen - was möglicherweise im Jahr 2020 der Fall sein wird. Eine von der Telekom Austria in Auftrag gegebene und vom Hamburger Trendbüro durchgeführte Studie kommt nämlich zu einem interessanten Schluß: Die Generation der Netzwerkkinder, die heute zwischen sechs und 14 Jahren alt ist, wird sich als Erwachsene der Macht das Kapitals als formende Kraft deutlicher bewußt sein als wir: Ihr Protest, so heißt es in der Studie, findet dann nicht mehr auf der Straße statt, sondern über die Kaufkraft.

Mit anderen Worten: Ab 2020 wird zurückgeschossen.

Chris Haderer

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