Kolumnen_Ausweiskontrolle: Listen to your fingerprints

Listen to your fingerprints

Die neueste Idee aus den Labors der Kopierschutz-Mafia: ein Multimedia-Player, der nur per Fingerabdruck läuft.    11.06.2004

Nicht nur unser Freund, der Innenminister, möchte uns in Zukunft noch genauer auf die Finger schauen - auch die am Hungertuch nagende Musikindustrie hat solche Pläne. Während das Strassersche Verlangen nach digital kodierten Fingerprints in Ausweisen schon in der Rubrik "Im Westen nichts Neues" zu Hause ist, haben die Spin-Doktoren der Schallkonzerne eine für Ost und West wirklich neue Idee ausgebrütet. Im bislang erfolglosen Kampf gegen Filesharing-Börsen sollen nun Fingerabdrücke zur ultimativen Waffe werden. Die Recording Industry Association of America (RIAA) hofft nämlich auf eine neue Generation mobiler Multimedia-Player, die mit einer Kombination aus "Digital Rights Management"-Systemen (DRM) und biometrischen Kontrollverfahren "zu einem verbesserten Nahverhältnis mit dem Kunden führen", wie es die Privacy-Aktivisten der "quintessenz" formulieren. Nahverhältnis heißt: Die DVD- und Audioplayer der Zukunft sollen nur dann funktionieren, wenn der Besitzer per Fingerscan seine Identität preisgibt. No fingerprint, no music!

Eine Idee, die man für einen Scherz halten könnte, käme sie nicht aus Amerika. Tatsächlich ist ein Player, der Biometrie und DRM kombiniert, bereits zum Patent angemeldet. Veritouch, ein auf drahtlose Biometriesysteme spezialisierter US-Konzern, hat mit "iVue" den Prototypen eines Players vorgestellt, der es Entertainment-Lieferanten ermöglicht, Musik und Videodateien mit biometrischen Kontrollverfahren zu kombinieren. Der "iVue", der von Veritouch im Schulterschluß mit der schwedischen Designer-Company Thinking Materials entwickelt wurde, soll "autorisierten Anwendern die Identifizierung per Fingerabdruck erlauben, wonach sie Zugriff auf Musik- und Media-Dateien erlangen, inklusive drahtloser Content-Lieferung und Anbindung des Players an andere Peripheriekomponenten". RIAA und MPAA (Motion Pictures Association of America), die das Ding schon in Augenschein nehmen durften, sind naturgemäß begeistert, während der Rest der denkenden Welt noch vorsichtig den Kopf wiegt. Wedelt da wieder einmal der Schwanz mit dem Hund? Ja, das tut er, und zwar recht heftig, denn bei Veritouch geht es nicht nur um den "War on Piracy", sondern gleich um den "War on Terror" - schließlich beliefert das Unternehmen auch die amerikanische Heimatschutzbehörde mit Biometrielösungen und erwartet sich "viele aufregende Synergieeffekte" zwischen den unterschiedlichen Kriegsschauplätzen.

Was geht da vor, wenn in einem Nebensatz zwei grundverschiedene Fronten zu einer großen verschmelzen (letztlich dem "War on Privacy")? Ist da bloß ein Texter übers Ziel hinausgeschossen oder ist der Wind tatsächlich so rauh geworden? Dürfen Sony und Konsorten Raubkopierer demnächst formlos mit einem Genickschuß bestrafen? Nicht gleich, nicht morgen, aber in ein paar Jahren vielleicht, sollte sich die Welt nicht aus irgendeinem wundersamen Grund radikal ändern? Verblüffend ist die Konsequenz, mit der RIAA, MPAA und Entertainment-Konzerne ihren restriktiven Kurs fahren. Obwohl in der Vergangenheit kein einziges Kopierschutzverfahren erfolgreich war, werden Millionenbeträge in die Entwicklung neuer Systeme investiert - und das zu einer Zeit, in der eher neue Geschäftsmodelle gefordert wären.

Die Serie der Kopierschutz-Niederlagen hat Tradition. Sie begann bereits Mitte der 80er Jahre mit dem Macrovision-Verfahren, das die Vervielfältigung von VHS-Videos verhindern sollte. Professionellen Raubkopierern ist Macrovision bis heute nicht einmal einen Lacher wert; für Videosammler hält der Fachhandel kleine Decoder-Boxen bereit, mit denen ein Macrovisions-Störsignal rückstandsfrei entsorgt werden kann. Mit der DVD kam dann das "Content Scrambling"-Verfahren, das vom damals 16jährigen EDV-Fex Jon Lech Johansen praktisch in Nullzeit geknackt wurde; ebenso die Regionalcodes, mit denen ein länderübergreifender DVD-Handel unterbunden werden sollte. Beim nächsten Versuch waren dann Audio-CDs dran; ebenfalls ein Schuß in die eigene Hose, denn durch den aufgebrachten Kopierschutz entsprechen die CDs nicht mehr den von Philips vor zwei Jahrzehnten definierten Standards (und dürfen im Handel auch nicht als Audio-CDs verkauft werden).

Aber nur keine Panik, wir sind im Hier und Jetzt und stehen mit beiden Beinen fest auf der Erde - und das alles entbehrt nicht einer humorigen Note. Ein vermutlich mit Hardcore-DVDs bezahltes Joint-venture zwischen einer schwedischen Designer-Hütte, die Textilien zum Denken bringen will, und einer US-Firma mit NSA-Clearance bringt einen Multimedia-Player mit Biometrie-Kopierschutz auf den Markt. Auf die Marketing-Kampagne dürfen wir gespannt sein: Kauf iVue - und du kopierst nie wieder! Als Drehbuch würde einem das kein Mensch glauben.

 

Chris Haderer

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