Kolumnen_Ausweiskontrolle: Schau mir in die Linse, Kleines

Schau mir in die Linse, Kleines

Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Deshalb will Innenminister Strasser mehr Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen.    25.06.2004

Es gibt Nachrichten, die haben es schwerer als andere. Daß im Parlament gerade munter an der Novellierung des Sicherheitspolizeigesetzes gebastelt wird, das unserer lieben Exekutive größere Videoüberwachungsrechte einräumen soll, ging zwischen Adelshochzeit und EM-Beginn bislang eher unter. Das Kernstück der geplanten Direktive: Zur Zeit dürfen die Betreiber von Überwachungskameras nur vor dem Monitor sitzen und beobachten, als wären sie vor Ort. In Zukunft soll auch die Aufzeichnung der Videosequenzen erlaubt werden, und zwar für 48 Stunden.

Was nach einer kleinen Gesetzeskorrektur klingt, hat weitreichende Konsequenzen: Der Entwurf instrumentalisiert nämlich die bislang nur zur unmittelbaren Beobachtung eingesetzten Überwachungskameras als Fahndungs- und Ermittlungswerkzeuge. Da tun sich Möglichkeiten auf, von denen die Watchmen hinter den Monitoren bislang nur feucht träumen konnten.

Zum Beispiel: Bei Demonstrationen ist die Exekutive zur Zeit auf unhandliche Photoapparate und Digicams angewiesen, bei denen immer im falschen Moment die Akkus ausgehen. Außerdem haben manche Demonstranten den Hang zur Vermummung, was die Kameraarbeit auch nicht gerade erleichtert. Werden in Zukunft ganze Plätze und U-Bahnanlagen hochauflösend aufgezeichnet, läßt sich aber vielleicht sogar feststellen, wo sich ein Demonstrant die Maske übergezogen hat, woher er gekommen ist und wen er auf einem öffentlichen Platz getroffen hat.

Daß es auch mehr Kameras geben soll, verkündete Innenminister Strasser unter Beifallskundgebung von Helene Partik-Pablé bereits im März: Flughäfen, Drogenumschlagplätze und belebte Einkaufstraßen sollen als Hintergrundmotive dienen. Strasser könnte sich vorstellen, die Videoüberwachung auf einen ähnlichen Level zu heben wie die Telefonüberwachung. (Durch die Ende 2001 erlassene Überwachungsverordnung sind die Mobilfunkbetreiber verpflichtet, auf richterlichen Beschluß ihre Kunden zu kontrollieren, was bis zur Positionsbestimmung eines Ziel-Handys geht.)

Statistiken sprechen von einem Verbrechensrückgang in videoüberwachten Arealen - der aber auch daran liegen kann, daß sich die auszuhobelnde Szene in andere Gebiete verlagert (zumal überwachte Gebiete deutlich gekennzeichnet sein müssen). Daß mehr Kameras auch mehr Überwachungsstaat bedeuten, läßt Frau Partik-Pablé nicht gelten: "Die Sicherheit ist eine wesentliche Aufgabe des Staates, und in dieser Zeit müssen auch andere Mittel angewendet werden." Eine Kontrolle durch einen Rechtschutzbeauftragten hält die Freiheitliche dementsprechend für "übertrieben und unnötig".

Mehr Videoüberwachung wünschte sich auch Erich Zwettler, Leiter der Kriminalpolizei im Bundeskriminalamt, vergangenen Mittwoch im Rahmen einer Sicherheitsenquete des Kuratoriums Sicheres Österreich (KSÖ) und des Innenministeriums. Zwettler kann sich Kameras auch in Bussen und U-Bahn-Waggons vorstellen - wobei die Wiener Linien in vorauseilendem Gehorsam bereits ein Videoüberwachungssystem in den Silberpfeil-Garnituren testen. Wer an der Decke eines U-Bahn-Waggons eine mysteriöse Kugel erspäht, sollte also freundlich lächeln (um deutlich zu zeigen, daß er nichts zu verbergen hat) oder schnell eine Maske überziehen (Vorsicht - Vermummungsverbot!). Anders als die gelernte Richterin Partik-Pablé bezieht Zwettler sehr wohl den Rechtsschutzbeauftragten des Innenministeriums (zur Zeit: Franz Matscher) mit ein: bei ihm müsse jede Videoüberwachung angemeldet werden. Und bei Matscher könne man nach Inkrafttreten der Novellierung des Sicherheitspolizeigesetzes auch um Löschung von Aufnahmen ansuchen. Ob die Wiener Linien mit dem neuen System von ihrer bisherigen Politik der Nicht-Aufzeichnung abrücken werden, ist noch nicht ausdiskutiert.

In den Rolltreppenanlagen und Röhren der Wiener U-Bahn sind zur Zeit etwa 1000 Überwachungskameras installiert. Laut Franz Kaida, Leiter des sicherheitstechnischen Dienstes der Wiener Linien, würden die Bilder nicht aufgezeichnet und auch nicht an die Polizei weitergeroutet. Möchte ein Polizeibeamter sehen, was im Röhrennetz der U3 vor sich geht, muß er sich in der Stationsaufsicht selbst vor den Monitor setzen.

Der Wunsch nach Vernetzung der unterschiedlichen Kamerasysteme ist jedoch unübersehbar. So will Zwettler beispielsweise auch die Verkehrsüberwachungskameras der ASFINAG in die laufenden Überwachungspläne einbeziehen. Letztlich könnte das aufgrund der auf den Autobahnen installierten Section-Control-Anlagen zu einer Totalüberwachung des Verkehrs führen - mit automatischer Kennzeichenerkennung. Ein derartiges System wurde in Deutschland bereits getestet; dabei werden die Nummernschilder vorüberfahrender Autos gescannt und mit den Fahndungslisten des Bundeskriminalamts abgeglichen. Stimmt etwas mit dem Kennzeichen nicht, wird automatisch Alarm ausgelöst. Ein ähnliches System wird in der Londoner Innenstadt zur Mauterfassung eingesetzt. Konsequent weitergedacht, sollen diese Kamerasysteme aber Personen, die als kriminell gelten, an der Benützung öffentlicher Straßen hindern. Daß sich - auch in Kombination mit anderen Techniken, wie dem Mobilfunk oder RFID-Transpondern - dadurch komplette Zeit/Weg-Diagramme anfertigen lassen, steht bestenfalls im Kleingedruckten.

Innenminister Ernst Strasser, der kürzlich im Kabelfernsehen einen überwachungskritischen Kurzfilm mit einer überwachungsgeilen Doku verwechselte, machte sich übrigens schon im vergangenen Jahr in London in Sachen Kameras schlau. Im dortigen Stadtteil Camden ist seit geraumer Zeit ein System im Einsatz, das die Gesichter von Passanten in Echtzeit identifizieren kann. Das photographische Vergleichsmaterial stammt aus unterschiedlichen Quellen, wobei in Österreich eine solche Quelle die Behörde selbst sein könnte. Wer beispielsweise einen Reisepaß beantragt, muß zwei Photos vorlegen, von denen eines einbehalten wird. In London lag die Trefferquote des Systems vor zwei Jahren bei etwa 70 Prozent; allerdings bleibt die Zeit nicht stehen, und die Prozessorleistung von Computern verdoppelt sich schon beim Zuschauen. Überwachungs-Software wird von Sekunde zu Sekunde besser, nicht zuletzt, weil sie für die involvierten Firmen seit 9/11 eine endlos sprudelnde Geldquelle darstellt. Nächstes Jahr brauchen die Biometrie-Algorithmen vielleicht gar kein Gesicht mehr - zur Erkennung reicht dann schon der blanke Hintern. Solchen Systemen ist es auch egal, ob sie Live-Bilder oder Aufzeichnungen verarbeiten, und man könnte mit ihnen auch noch nach Monaten herausfinden, wer vergangenen Samstag um 23.23 Uhr an den Klagenfurter Lindwurm gepinkelt hat.

Chris Haderer

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