CROPfm Big Brother News: Frontberichte aus dem Land des Großen Bruders
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Ab sofort können Nominierungen für die "Big Brother Awards 2004" abgegeben werden, mit denen die besten Lauschlöffel und Metternich-Epigonen des Landes ausgezeichnet werden. 09.07.2004
Am 26. Oktober, wenn die Sozialisten ihre Fahnen schwingen und das Bundesheer seine Panzer ausführt, werden im Wiener Flex traditionell die österreichischen "Big Brother Awards" verliehen.
Dieser Preis, der vor sechs Jahren von Simon Davies in England ins Leben gerufen wurde, ist als Auszeichnung für die besten Überwacher und Privacy-Terroristen im Lande gedacht. Mangel an Bewerbern gab es bislang noch nicht - ganz im Gegenteil, weshalb heuer Nominierungen ab sofort entgegengenommen werden. "Damit die Überwachungsschweinereien des ersten Halbjahrs 2004 nicht in Vergessenheit geraten, weil sie von aktuelleren überdeckt werden", formuliert Erich Möchel von der quintessenz, die neben dem Verein der Internet-Benutzer Österreichs (VIBE) zu den Veranstaltern des Events gehört. "Der Verlauf des ersten Halbjahrs 2004 läßt in punkto Deutlichkeit leider keine Wünsche offen. So schnell ist es mit Datenschutz, Privatsphäre und anderen Rechten des Individuums in der europäischen Praxis noch nie binnen sechs Monaten bergab gegangen, seitdem es die Preise für die großen Brüder gibt."
Allerdings: Bislang ließen sich Vertreter von mit einem Award bedachten Behörden und Unternehmen bei der Preisverleihung noch so gut wie nie blicken. Die Trophäen - etwa mit lebenden Kakerlaken gefüllte Skulpturen oder abgeschnittene Schweinsohren - wurden auf dem Postweg zugestellt. Daß Unternehmen "mittlerweile aber auch Anwälte losschicken, wenn sie nominiert werden, ist ein Beweis dafür, daß die Awards wirken", meint Möchel. Wie sie auf die Dauerkandidaten Strasser und Gehrer (letztere wurde für ihr Lebenswerk "Bildungsevidenz" ausgezeichnet) wirken, werden wir mit ein bißchen Glück am Nationalfeiertag erleben können. Nominierungen werden, wie bereits erwähnt, ab sofort per Internet (siehe unten) entgegen genommen.
Allerdings steht zu befürchten, daß es heuer viel mehr Preiswürdige geben wird als Preise. 20 Jahre nach dem Orwellschen Datum 1984 hat sich nämlich eine ganze Menge ereignet, sowohl national als auch international. In Brüssel handelte beispielsweise EU-Kommissar Frits Bolkestein einen zweifelhaften Deal mit den Amerikanern aus, der die Auslieferung von Flugdaten legalisiert. In den USA laufen Entertainment-Lobbies und einige Senatoren Amok und kriminalisieren Urheberrechts- und Copyright-Vergehen zu Schwerverbrechen hoch - während der EU-Rat dabei ist, ein neues Software-Patentrecht nach den Wünschen der Industrie zu schmieden, das nicht nur komplette Programme oder Routinen, sondern auch Ideen schützbar macht. Gleichzeitig wird heftigst an der Einführung biometrischer Personenidentifikationssysteme an den Grenzen gearbeitet. Und in der Ferne schwappt bereits die erste Welle von Funkchips über den großen Teich, die neben Waren auch Personen markieren können. Erste Gischtspritzer machen auch das kleine Österreich naß: Funkchips werden beispielsweise in den neuen EU-Pässen enthalten sein.
Der in der Alpenrepublik vorherrschende Trend läßt sich mit "Darf´s ein bisserl mehr sein?" umschreiben: mehr Befugnisse für die Exekutive, mehr Überwachung, mehr Videokameras - mehr Daten. Erklärt werden manche Maßnahmen mit dem Kampf gegen den Terrorismus in einer veränderten Welt, die der freiheitliche Abgeordnete Reinhard Eugen Bösch seinen Kollegen in der 55. Nationalratsversammlung folgendermaßen erklärte: "Es ist nicht mehr der linksextreme Terror der siebziger und achtziger Jahre, mit dem wir es zu tun haben, die Roten Brigaden in Italien, die dort laufend Anschläge verübt und Morde begangen haben, oder die Rote Armee Fraktion in Deutschland, an deren Höhepunkt die Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer gestanden ist. Wir haben es nicht mehr mit diesen kleinräumigen linksextremen Terrorzellen zu tun, sondern mit einem weltweiten Netz, das gesteuert ist. Und wir müssen uns dieser Realität endlich stellen." Wer das nicht versteht, kann nicht gesund sein.
Aber in Wahrheit ist ein Gesunder ja ein Kranker, der es nur noch nicht weiß. Und in dieser Realität, der wir uns endlich stellen müssen, ist zwangsläufig jeder verdächtig. Die Grenzen verschwimmen: Mehr Überwachung wird mit Gewalt zum Synonym für Mehr Sicherheit umdefiniert: "Neusprech" im Orwellschen Sinn und die Basis für noch mehr Kameras und noch mehr Datenbanken, in denen wir gespeichert sind - was uns aber nicht besonders zu stören scheint, an der Lautstärke der Proteste gegen Privacy-Übergriffe gemessen. "Noch vor einem Jahrzehnt gab es massive Proteste gegen die relativ harmlose Datensammlung der Volkszählung", hielten Gunther Tichy und Walter Peissl in ihrem Vortrag "Beeinträchtigung der Privatsphäre in der Informationsgesellschaft" (2001) fest. "Heute wird nicht einmal mehr gegen die problematische Verbindung von Volkszählung und Melderegister-Erhebung durch ein inzwischen privatisiertes Unternehmen - Statistik Austria - protestiert."
Der Big Brother werde zunehmend nicht mehr als eine "Überschreitung soziokultureller Privatheits- und Zivilisationsschranken und als Entgrenzung des bislang Privaten empfunden, er wird akzeptiert." Endemol und die Container-Show haben vielleicht ein bißchen dazu beigetragen, aber die Verantwortung dafür liegt nur bei uns.
Die "Big Brother Awards" werden heuer am 26. Oktober zum sechsten Mal verliehen. Nominierungen können per Internet abgegeben werden, wobei nicht alleine der gesetzliche Tatbestand einer Überschreitung des Datenschutzgesetzes ausschlaggebend ist, sondern auch moralische und Trend-Aspekte. Wichtig: Bei Nominierungen den Tatbestand möglichst exakt beschreiben, da alle Vorwürfe von der Jury der Big Brother Awards ausrecherchiert werden. Die englischen Big Brother Awards werden übrigens am 28. August in London verliehen.
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Big Brother Awards Austria
Informationen über die bisherigen Preisträger der österreichischen "Big Brother Awards" sowie über kommende Veranstaltungen.
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