Kolumnen_Der Zivilist: Roter Frühling

Roter Frühling

Wenn es immer noch stimmen sollte, daß die Zukunft der Sozialdemokratie gehört, dann wird der Altersdurchschnitt der Mächtigen wohl bald dem der alten KPdSU gleichen.    18.03.2004

Das erst vor kurzem aus dem Boden gestampfte Neue Wiener Messezentrum verbreitet gähnende Leere. Vor dem Haupteingang: nichts. Die Baustellen rundum erinnern an die gigantischen Ausschachtungen für Les Halles in Paris, Anfang der 80er Jahre.

Anders als bei früheren SPÖ-Parteiveranstaltungen fahren diesmal keine Limousinen vor, keine Flutlichter begrüßen ankommende Gäste, umworbene Wähler oder auch Zivilisten. Nachdem das Schleuseneingangstor trotz drohender Klaustrophobie bezwungen ist, darf man ins Innere des Kapitalistenschreins vordringen. Toll, wie blitzblank hier alles ist, da kann man bestimmt vom Boden essen. Oder auch Tausende Asylanten unterbringen...

Findet in diesen schalltoten, menschenleeren Räumlichkeiten der großteils noch ungeborenen Trabantenstadt tatsächlich die Wahlkampfveranstaltung für Dr. Heinz Fischer statt? Ach ja, schon tauchen die ersten Plakate auf. Nur Text, kein Bild. Hier ist man richtig, in dieser Gigantomanie aus Stahl und Panzerglas, die ein heimischer Vorbote der EU-Technokratie sein könnte. Als endlich vereinzelt Menschen auftauchen, wirken diese nicht minder verirrt. Aber vielleicht streben sie ja auch schon der Schleuse in die Außenwelt zu. Auf die Frage nach dem Versteck der Honoratioren entgegnen sie ein hastiges "In der Halle hinten links".

Doch alle Befürchtungen, die Sozialisten hätten ihre letzten Wähler bereits in die Flucht geschlagen, erweisen sich beim Näherkommen als fehlgeleitet. Eine vertraute Stimme erschallt: Michael Häupl mimt gewohnt souverän den Platzhirsch, heute noch geladener als sonst. Gut so. Es geht ja auch nicht um Wurstsemmeln, Grasser-Homepages oder sonstige Belanglosigkeiten.

Nein, gesucht wird der erste Mann im Staate, nicht mehr und nicht weniger. Und heute abend werden alle eingeschworen. Ob die Buttons mit dem holprigen Slogan "Jetzt: Dr. Heinz Fischer" (die österreichische Variante einer vor allem in den USA beliebten Wahlwerbemethode) wirklich das Wahre sind, sei dahingestellt. Außerdem: Was soll´s? Wir haben uns eh schon daran gewöhnt, zuerst an die Anglizismen und dann an die Sympathiewerte.

Endlich erwacht das Publikum. Die Stimmung bessert sich zusehends, als sich Fischer mitten in roten Kernwählerschichten und im Scheinwerferlicht erhebt. Aber das hat man ja schon im Fernsehen gesehen. Nur das Publikum bekam man auf den Bildschirmen kaum zu Gesicht: Die würdigen Gesichter der Pensionisten, Arbeiter und langgedienten SPÖ-Granden legen einmal mehr den Schluß nahe, der ehemals größten Partei des Landes ginge langsam, aber ganz sicher der Nachwuchs aus. Als fleischgewordene Warnung an künftige Wählergenerationen dient Josef Cap, größte Enttäuschung wie einst größte Hoffnung der Jusos.

Nicht einmal der vergebliche Versuch des Parteivorsitzenden Gusenbauer, wieder einmal "elder statesman" zu spielen, kann über das Fehlen der jungen Generation hinwegtäuschen. Wo sind die logischen Nachfolger? Was wurde aus den einstigen roten Kaderschmieden? Doch Happy Heinz strahlt und hat schon wieder recht: "Kein Amt für Amateure".

Der Frühling wird rot. Fahnen-Rot.

Ernst Meyer


 

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