Musik_Autechre - Draft 7.30

Es tanzt das ZNS

Bis zu einem gewissen Grad ist Imitation schmeichelhaft. Doch wenn die Imitatoren anfangen, den Musikmarkt mit lieblos-minderwertigem Material zu überschwemmen, ist es höchste Zeit, daß die Originale wieder in die Bresche springen.    28.04.2003

Gerade als die Frühlingsdepression selbst Mutigen die letzten Lebensgeister zu rauben droht, landen unvermutet schillernde Scheiben auf heimischen Tellern. Autechres "Draft 7.30" zeigt einmal mehr, wer hier das Sagen hat. Nach der verstörenden "Confield" und dem mißverstandenen "Gantz Graf" war es höchste Zeit, ein "Sonic Memorial" zu erschaffen.

Hier werden Territorien abgesteckt. Das ist auch bitter notwendig, stand doch die Trademark in letzter Zeit in Gefahr, von durchgeknallten US-Miamianern (Otto von Schirach, Richard Devine) desavouiert zu werden. Doch die kühlen Briten kochen auch diesmal wieder ihr eigenes Süppchen. Wer es kostet, wird feststellen, daß seit "LP5" kein so schlüssiges Album der Band auf den Markt kam. In Autechres Dialektik bedeutet Kohärenz Schönheit.

Lustig ist auch, daß Autechre der Versuchung nicht widerstehen können, ihren verqueren Tracks Namen zu geben. Diese lesen sich freilich wie Mitschriften von Katatoniepatienten: "v-proc", "6ie.cr" oder "vl al" lassen darauf schließen, daß inzwischen wirklich nur mehr mit Audio-Software komponiert und moduliert wird. Denn immer, wenn man Programme beendet, wird man automatisch aufgefordert, Dateinamen zu vergeben. Und dem Rechner ist es ja egal, ob die Sinn haben ...

Machen wir´s kurz: "Draft 7.30" präsentiert die Herrn Booth und Brown in rhythmischer Tradition: hypnotische Mäander, spulenartiges Auf- und Abwickeln klickender Artefakte, frei schwebende Hallräume und Dark Dark Ambience. Wir kriegen nie genug!

Ernst Meyer

Autechre - Draft 7.30

ØØØØØ


Warp/Zomba (GB 2003)

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