Musik_Bola – Kroungrine

Future Funk

Auf seinem fünften Longplayer umreißt Elektronik-Maestro Darrell Fitton sein Klanguniversum neu und modernisiert ganz nebenbei den Funk.    26.09.2007

Es läuft gut für den Bola-Mann Darrell Fitton. Letztes Jahr präsentierte er eine Compilation längst verschollener Tracks ("Shapes" - der EVOLVER berichtete), heuer legt er gleich ein ganzes Album nach - ein ziemlich kontinuierlicher Output für einen, der es früher gewohnt war, bestenfalls alle fünf Jahre einen Tonträger zu veröffentlichen.

Diese Beschleunigung wirkt sich auf seine Kompositions- und Programmierkunst nur insofern aus, als daß die auf "Kroungrine" enthaltenen Stücke deutlich kürzer ausgefallen sind als jene auf dem Vorgänger "Gnayse". Auch setzt Bola heute weniger auf epische Breite, was natürlich der Klangqualität per se keinen Abbruch tut - es wird alles nur übersichtlicher und straffer.

Soll heißen: Statt auf klassische Dark-Ambient-Streicher legt Fitton neuerdings mehr Wert auf funkige Basslines. Nicht nur das, auch die für ihn so typischen multidimensionalen Rhythmus-Pattern werden "downgegradet". In leicht verschrobenen HipHop-Beats schlummert ja ebenfalls so manche mathematische Schönheit.

 

Somit präsentiert sich "Kroungrine" etwas anders als Bolas bisherige Arbeiten. Schon der Opener "Zoft Broiled Ed" weist in eine neue Richtung. Nach einem ungewohnt kurzen Raumfahrt-Rauschen setzen abrupt Breaks ein, darunter brummelt ein deftiger Synth-Baß, und eine Vocoder-Stimme nörgelt vor sich hin. Das Break mit der gefilterten "Straßen von San Francisco"-Gitarre stellt schon dann den ersten Höhepunkt des Albums dar. Klingt fast so, als würde ein altes Transistorradio aus dem Badezimmer plärren. Der Bola-Mann bleibt seinem Stop-and-go-Stil treu, allerdings geht er die Sache ungleich zügiger an als bisher. Dadurch werden die Stücke leichtfüßiger.

"Noop" ist ein echter Killer. Es fängt wieder zart mit funky Filtern an, bis sich ein ultraharter Sägezahn in unsere Gehörgänge bohrt. Simultan setzt auch ein verzerrtes HipHop-Pattern ein. Zugegeben, das alles hat man vielleicht schon einmal gehört, aber weder in dieser Kombination mit ätherischen Synthies noch geshufflet und gerührt in Bolas Mixerhirn. Die Sonne bricht durch, und kurze Zeit schweben wir über dem funkelnden Horizont. Cut.

Auf "Waknuts" versinken wir wieder in Bolas Soundteppich, und eine streng geometrische Wiese breitet sich plötzlich vor uns aus, die einerseits durch ihre naive Melodienfolge an Slow-Motion-Elektroniker wie Isan oder an Infants "Growing Up" erinnert. Letzteres liegt wohl am Sprechgesang - und darin liegt die eigentliche Überraschung von "Kroungrine": Der Bola-Mann erhebt zum allerersten Mal seine Stimme. Sie steht natürlich niemals im Vordergrund, bringt sich eher weiter hinten ins Geschehen ein. Das einzige Problem dabei ist, daß Bola durch das Einsetzen seiner (leisen) Knabenstimme Gefahr läuft, verwechselbar zu werden.

"Halyloolas" weckt dann mit seinem hypnotischen Pulsieren über dem straffen 4/4-Takt schon fast (elektro-)poppige Eindrücke. Dem gegenüber schließen zyklisch drehende Tracks wie "Urenforpuren" oder "Phulcra" eindeutig an frühere epische Alben wie etwa "Gnayse" oder "Fyuti" an - freilich etwas reduzierter. Geblieben ist aber Fittons Vorliebe für helle, oftmals pfeifende Sounds. "Rainslaight" schimmert kristallin und elegant; Bola liebt bekanntlich melancholische Melodien. In dem Song steckt aber noch mehr: Mit seinem markanten Refrain erinnert uns der Bola-Mann an unzählige Interpreten klassischer IDM. Wie an einer Perlenschnur assoziiert man ganz automatisch klingende Namen wie Beaumont Hannant, Black Dog oder Biosphere.

"Diamortem" schließt "Kroungrine" ab: Der mit Abstand düsterste Track kommt wie üblich zum Schluß. Pessimistische Zeitlupen-Zentrifugen verschwinden langsam im Dröhnen einer kurzen Weltall-Passage. Die Wiederbelebung erfolgt gemorpht in einem meditativen TripHop-Pattern.

Nur ganz Große können es sich erlauben, so spielerisch und perfekt mit verschiedensten Genres zu jonglieren. Mit "Kroungrine" beweist der Bola-Mann einmal mehr: Er ist einer von ihnen.

Ernst Meyer

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