Musik_Clark - Turning Dragon

Ein Drache in Berlin

Chris Clarks viertes Album (das dritte seiner "Körper-Trilogie") ist sein bislang tanzbarstes - und dadurch auch sein konventionellstes. Ein Fortschritt ist es dennoch.    27.02.2008

Clark hat es geschafft: Er folgte dem Strom zahlloser Kreativer aus Medien und Musik nach Berlin, wo der von angelsächsischen Journalisten auserkorene "Thronfolger von Aphex Twin" nun ein neues Zuhause gefunden hat. Dort traf er auf eine Clubszene, die in Großbritannien seit geraumer Zeit ausgestorben ist: auf traditionellen 4/4-Hardfloor nämlich. Nun kann man sich schon ausmalen, in welche Richtung sich Clarks vierter Longplayer "Turning Dragon" dreht.

Fast hat man den Eindruck, als zolle Clark darauf der Berliner Hard-Techno-Szene Tribut. Dieser erste oberflächliche Eindruck täuscht jedoch. Es mag schon sein, daß praktisch alle elf Tracks auf soliden Four-to-the-Floor-Rhythmen aufgebaut sind, doch bei näherem Hinhören (und vor allem Vergleichen mit älteren Aphex-Scheiben) wird man doch Unterschiede feststellen.

Gleich der Opener "New Year Storm" verblüfft mit Kurzwellen-Surf-Geräuschen à la Dexys Midnight Runners´ "Burn it Down". Clark sitzt an seinem Radio und programmiert die für ihn völlig ungewohnten deutschen Sender. Kaum ist das gelungen, fährt er mit seinen bereits von "Body Riddle" bestens bekannten Clap-Snares, Atombomben-Bass-Drums und Detonations-Baßlinien drüber - und katapultiert uns sofort in ein Post-Techno-Paralleluniversum. Im herkömmlichen Hardfloor gab es bisher bekanntlich keinen Platz für derart ausgeklügelte Psychoakustik.

Auch der zweite "Dragon"-Track "Volcan Veins" klingt einigermaßen vertraut. Clark hatte offenbar nicht genug Zeit, für sein neues Album auch neue Sample-Datenbanken zu generieren. Daran war mit Sicherheit nicht nur der Übersiedlungsstreß schuld. Statt in der neuen Wohnung fleißig Knöpfchen zu drehen, zog es ihn wohl eher in die Hardfloor- und Techhouse-Clubs des pulsierenden Berliner Nachtlebens. "Volcan Veins" überrascht erstmals mit DJ-typischen, hineingeschnittenen Soul-Stimmen. Der kurze Nebel, in den diese House-Attacke hinabgleitet, stammt wieder direkt von "Body Riddle", diesmal von "The Autumnal Crush".

Ab der dritten Nummer wird es richtig hart: "Truncation Horn" ist antizyklisch und ultraschnell. Fast hat man Gefühl, daß flüssiges Blei aus den Baßchassis träufelt. Dazu kommen harsche Cut-ups von Frauenstimmen. Doch auch hier fischt Clark in (für ihn) neuen Gewässern. Er ist allerdings nicht der erste, der Cut-up und Shortwave in seine House-Tracks einfließen läßt, ist diese Herangehensweise doch auch jene des kanadischen House-Pioniers Akufen.

 

Clark hat somit genau das gleiche Problem wie alle anderen Warp- bzw. Rephlex-Super-Spezialisten: Kaum bewegen sie sich aus ihrer mühevoll selbst geschlagenen Sound-Nische heraus, dringen sie sofort und völlig unbeabsichtigt in die Claims anderer Elektronikkünstler ein. Verwechslungen drohen - und da elektronische Musik meist ohne Stimme auskommen muß, ist die Gefahr in diesem Genre noch viel größer als vergleichsweise im Metal. Da wie dort herrscht kompositorisch eine immense Drängerei, will doch jeder Proponent einzigartig sein.

Dennoch liegt Clark mit "Turning Dragon" letztendlich genau am Puls der Zeit. Straighte Beats in Tech- oder House-Manier erfreuen sich auch bei uns wieder größerer Beliebtheit. Vielleicht haben es ja die zahlreichen Drum´n´Bass-Veranstalter der letzten Jahre etwas übertrieben. Soll heißen: Nicht nur für Clark bietet diese Platte einen mehr als nur symbolischen Befreiungssschlag. Die kathartische Körper-Trilogie hat er mit diesem tanzwütigen House-Monster jedenfalls erfolgreich abgeschlossen. Also: "Let´s Dance".

Ernst Meyer

Clark – Turning Dragon

ØØØØ

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Warp/edel (GB 2008)

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