Musik_Marilyn Manson - Eat Me, Drink Me

Wenn Vampire weinen

Der Gruftie-Schockrocker war schon besser drauf. Sein neues Werk zeigt ihn zerschmelzend in unheilvollem Herzschmerz und misogynen Drohungen. Musikalisch hat er dieses Mal auf elektronische Spielereien verzichtet - und läuft so erstmals Gefahr, verwechselt zu werden.    28.06.2007

Vielleicht hätte Mr. Manson einfach auf Joe Dolce hören sollen. Der trällerte schon zu Beginn der 80er Jahre: "If you want to be happy for the rest of your life/Never make a pretty woman your wife". Und tatsächlich währte Mansons Ehe mit dem berühmtesten aller Fetish-Pin-ups (und davon gibt es eine ganze Menge) Dita von Teese nicht besonders lange.

Was sich die Fans des selbstgekrönten Antichristen niemals vorstellen konnten, ist also eingetreten: Manson leidet an gebrochenem Herzen. Ist Verlassenwerden für Normalsterbliche schon schlimm genug, so muß es für einen Vampir von schier unerträglicher Schmerzhaftigkeit sein. Daß Manson zu dieser seltenen Spezies zählt, wissen nicht nur eingeweihte Grufties. Mit Katzenaugen, permanentem weißen Make-up und dick aufgetragenem Kajal meiden Manson und seine Fangemeinde schon seit vielen Jahren das Sonnenlicht. Das Verlassenwerden ist für Vampire aus einem einfachen Grund besonders schrecklich: Mit dem ersten Biß muß der Vampir, um einen Menschen in seinesgleichen zu verwandeln, selbigen nicht nur aussaugen - er muß seinem Opfer auch ein beachtliches Maß an Eigenblut übertragen. Das Versprechen des Vampirs lautet nämlich: ewiges Leben. Und vor allem: ewige Jugend.

Letzteres ist genauso wertvoll, wie man aus der griechischen Mythologie weiß: Eos, die Göttin der Morgenröte, wünschte sich von Zeus für ihren Gemahl Tithonos ebenfalls ewiges Leben, vergaß aber auf die ewige Jugend. Ein schreckliches Versäumnis. Zeus mußte zu guter Letzt den bis zur Unkenntlichkeit verschrumpelten Greis, der nicht sterben durfte, in eine Zikade verwandeln. Zumindest das wird Dita wohl erspart bleiben ...

 

Aber zurück zum Thema: "Eat Me, Drink Me" ist in mehrerer Hinsicht ein bemerkenswertes Manson-Album. Zunächst verzichtet er diesmal gänzlich auf elektronischen Schnickschnack wie Samples oder Drum-Computer, was zur Folge hat, daß die Platte sehr erdig und natürlich klingt (bis auf Mansons Vampirstimme). Anders als bisher findet man nicht eine einzige schnelle Nummer. Was aber nicht heißen soll, daß der Meister seinen Biß verloren hat. Er konzentriert sich nur auf etwas anderes. Statt die Dummheit und Oberflächlichkeit von Konsumidioten anzuprangern, anstelle von sattsam bekannter Anti-US-Agitation steht erstmals seine eigene psychische und physische Befindlichkeit im Zentrum der Analysen. Was dabei herauskommt, ist ein veritabler Seelen-Strip. "Eat Me, Drink Me" ist Mansons bislang persönlichstes, intimstes Album.

Wie im Sturm und Drang üblich, zelebriert Manson sein gebrochenes Herz mit einer gehörigen Portion Pathos und Empathie. Dazu mischt sich auch immer wieder ein klein wenig Torschlußpanik, durchaus seinem (Menschen-)Alter entsprechend. Die Basis der äußerst lyrischen Texte bilden jedoch meist beschwörende Worte - gerichtet an seine Verflossene. Vampire verwandeln Menschen ja nur dann, wenn sie ihre Blutlinie weitergeben wollen. Dita von Teese hat diesen Schwur der ewigen Treue gebrochen - und Manson ist deshalb von Schmerz und Aggression erfüllt.

Gleich der Opener "If I Was Your Vampire" stellt alle Themen vor, die das weitere Album beherrschen: "I love you so much/You must kill me now/We built this tomb together/And I won´t fill it alone". Die Sehnsucht des Alleingelassenen ist unendlich; die Angst vor Einsamkeit entspringt eher seiner Midlife-Crisis. Solch hybride Gefühle ziehen sich wie ein roter Faden durch "Eat Me, Drink Me". Die Singleauskopplung "Heart-Shaped Glasses" klingt ob des markanten Glockenspiels fast nach The Cure (z. B. "Close To Me"), und mit Songs wie "They Said That Hell´s Not Hot" steht Manson zum ersten Mal musikalisch außerhalb seines liebevoll über die Jahre aufgebauten monströsen Rock-Universums. Würde Wayne Hussey diese Nummer singen, wäre sie ein schöner, etwas harter The-Mission-Song.

 

"Just a Car Crash Away" stellt den ersten Höhepunkt auf diesem an Höhepunkten nicht gerade armen Album dar. Wer hätte gedacht, daß Manson sich jemals in einen ungesunden Strudel aus Selbstzerfleischung und Depression fallen lassen würde? Aus dieser Lebenskrise heraus gleich einen ganzen Longplayer einzuspielen, kann sich wirklich nur ein ganz Großer wie er leisten. Er weiß wohl, daß sich "Eat Me, Drink Me" nicht rasend gut verkaufen wird, aber der kathartische Wert übersteigt jeden noch so immensen Verkaufserlös.

Aber zum Glück ist Besserung auch schon in Sicht: Beim heurigen Filmfestival von Cannes zeigte sich der einstige Schockrocker mit seiner neuen Gespielin Evan Rachel Wood. Das Starlet sieht nicht nur aus wie eine blonde Kopie von Dita von Teese, sondern ist auch gleich um 19 Jahre jünger als der Meister selbst. Respekt, Mr. Manson!

Ernst Meyer

Marilyn Manson - Eat Me, Drink Me

ØØØØ


Interscope/Universal (USA 2007)

Links:

Kommentare_

Musik
The Notwist - The Devil, You + Me

Weilheim revisited

Das Wiedersehen mit Bayerns Besten gerät auf deren sechstem Album zu einer sanften und melancholischen Reise ins Innere.  

Musik
The Orb - The Dream

Japanische Träumereien

Die Ambient-Dub-Veteranen geben ein starkes Lebenszeichen von sich. Ihr vor einem Jahr exklusiv für den japanischen Markt erschienenes Album ist nun weltweit erhältlich.  

Musik
Portishead - Third

Scratch is dead

Das mehr als zehn Jahre erwartete dritte Album des nach einer englischen Hafenstadt benannten Trios bietet alles mögliche - nur nicht das, was sich der ausgehungerte Fan erwartet hat ...  

Musik
Nine Inch Nails - Ghosts I-IV

Die Stunde der Geister

Trent Reznors neues Werk besteht aus 36 Instrumental-Songs, die über das Internet vertrieben werden. Trotz fehlenden Gesangs hört man deutlich, wer da an den Reglern saß.  

Stories
Bauhaus - Geschichte eines Stils

Vampire leben länger

Die Gründerväter des Gothic-Rock präsentieren nach 25 Jahren Pause ihr fünftes Studioalbum "Go Away White". Ernst Meyer begibt sich zu diesem Anlaß auf Zeitreise.
 

Musik
Autechre - Quaristice

Popsongs für Synapsen

Zwischenstation Zugänglichkeit? Der neunte Longplayer der Herren Booth und Brown ist in 20 Sound-Miniaturen gegliedert, die man guten Gewissens Popsongs nennen könnte. Na ja, zumindest fast ...